pDL-Vergütung: Kassen scheitern mit Klage Patrick Hollstein, 23.10.2024 12:58 Uhr
Bekommen die Apotheken zu viel Geld für pharmazeutische Dienstleistungen (pDL)? Und gehört die Blutdruckmessung überhaupt dazu? Diese beiden Fragen wurden heute vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) verhandelt. Nachdem ein Vergleich nicht zustande kam, entschied das Gericht: Die Klagen werden abgewiesen.
Die pDL wurden mit dem Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) verabschiedet, der Gesetzgeber beauftragte den GKV-Spitzenverband und den Deutschen Apothekerverband (DAV) damit, die Leistungen und die Vergütung zu regeln. Am Ende stand die Beschreibung für vier pDL, aber nicht die Vergütung. Daher entschied die Schiedsstelle am 29. Mai 2022 über die Honorare, außerdem wurde die Blutdruckmessung als weitere Leistung aufgenommen.
Der GKV-Spitzenverband klagte gegen die Festsetzung der fünften Leistung sowie gegen die Vergütung für alle Leistungen. Parallel klagte die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KV) dagegen, weil sie die Leistungen als rein ärztliche Aufgaben sieht. Der KV-Vorsitzende Frank Dastych pocht auf ein Urteil, da hier in den Sicherstellungsauftrag eingegriffen werde.
Beide Klagen wurden abgewiesen. Die KV sei nicht klageberechtigt, so der Vorsitzende Richter Wolfgang Seifert. Was die Klage des GKV-Spitzenverbands angeht, sei nicht zu beanstanden, dass der Schiedsspruch vom weiten Gestaltungsspielraum der Schiedsstelle gedeckt sei. Was die standardisierte Risikoerfassung des erhöhten Blutdruck angeht, sei vom Gesetzgeber keine Eingrenzung vorgenommen worden, sodass auch hier der Spielraum nicht verlassen worden sei. Was die Frage der Evidenz angeht, sei die Schiedsstelle durch ihre Ausstattung und die zeitlichen Vorgaben limitiert. Daher sei es nicht beanstanden, dass die Studienlage nicht weiter ermittelt worden sei.
Revision wurde zugelassen, in einer Woche sollen die Urteilsgründe vorliegen.
Der Streit über die Höhe der Vergütung fußte unter anderem auf der Annahme, dass der Zeitaufwand wegen der Nutzung von EDV-Systemen viel niedriger ist. Der damalige unparteiische Vorsitzende der Schiedsstelle, Dr. Rainer Hess, argumentierte, dass man diese nicht berücksichtigt habe, weil sie seinerzeit „noch nicht allgemein verfügbar“ gewesen sei. Daher sei man von drei Stunden ausgegangen. Wenn die Apotheken eine Software hätten, müsse neu verhandelt werden, so die damalige Argumentation.
Die Kassen widersprachen sofort: Es habe immer EDV-Systeme gegeben, daher hätte von vornherein ein geringerer Zeitbedarf zugrunde gelegt werden müssen, so Petra Kraftberger von Stabsbereich Justiziariat. Hier wiederum konterte der DAV-Vertreter: Die Software habe überhaupt erst erarbeitet werden müssen und sei nach wie vor nicht auf einem Stand, dass nur die Hälfte der Zeit benötigt werde. Genau dies sei im Schiedsspruch berücksichtigt worden, so Anwalt Dr. Christof Kautzsch von Dentons Europe.
Begründung darf kein Nachteil sein
Zunächst ging es aber um die grundsätzliche Frage, welchen Ermessenspielraum eine Schiedsstelle überhaupt habe. Laut Richter Seifert hat die Schiedsstelle sehr gründlich kalkuliert und damit geradezu überobligatorisch gearbeitet. Laut Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im AMNOG-Verfahren wäre das alles nicht erforderlich gewesen. „Von daher tun wir uns sehr schwer, bei der Vergütung etwas Beanstandeswertes zu finden.“ Die Schiedsstelle habe so viel offen gelegt, dass einzelne Abweichungen oder Inkonsistenzen nicht ins Gewicht fielen, solange kein unzutreffender Sachverhalt zugrunde liege. Denn dann sei ein Schiedsspruch umso angreifbarer, je genauer er begründet werde.
Kraftberger vom GKV-Spitzenverband verwies auf denklogische Fehler, die keinen Ermessensspielraum zuließen. Dies betreffe das Blutdruckmessen und die Einweisung in Inhalativa. Außerdem seien zwei Minuten aus dem Folgegespräch anders als in der Sitzung besprochen nicht gestrichen worden, sondern „mitreingeflutscht“. Auch hier gebe es einen Fehler.
Blutdruckmessung wirklich neu?
Was die Blutdruckmessung angeht, ist die Lage laut dem Vorsitzenden Richter schwieriger. Mit dem VOASG seien die pDL eingeführt worden, um den Apotheken ein neues Tätigkeitsfeld zu eröffnen und sie so gegenüber dem Versandhandel zu stärken. Als „Dienstleistung“ müsse eine pDL mehr sein als eine Tätigkeit, die im normalen Apothekenbetrieb ohnehin angeboten werden. Die Blutdruckmessung gehöre eigentlich in letztere Kategorie der apothekenüblichen Services. Dann könnte die Schiedsstelle ihren Ermessensspielraum überschritten haben, so Seifert.
Die Kassen hatten auch argumentiert, dass die Selbstmessung im Grund denselben Effekt habe. Auch der Vorsitzende Richter findet die Leistung allzu standardisiert: „Da könnte man sich schon fragen, was das Weiterführende ist und wo die Evidenz ist.“ Allerdings könne man auch argumentieren, dass die Schiedsstelle hier nach dem Grundsatz argumentieren dürfen: Alles, was nützt, ist abgedeckt.
Der Anwalt des DAV verwies auf das Gesunde-Herz-Gesetz (GHG), mit dem gerade die Blutdruckmessung forciert werden solle. „Von daher fände ich es überraschend, wenn man jetzt sagen würde, das hat keinen Nutzen“, so Kautzsch. Dies gelte selbst dann, wenn man davon ausgehe, dass es sich nicht um eine vergleichsweise einfache und keine hochakademische Leistung handele. Nina Griese-Mammen, Abteilungsleiterin im Geschäftsbereich Arzneimittel der Abda, sprach von einer „unglaublich sinnvollen und werthaltigen Leistung für die Patientinnen und Patienten“.
Kraftberger vom GKV-Spitzenverband betonte, dass das VOASG mit den pDL keine „Wohltat“ für die Apotheken vorgesehen habe, sondern dass ein Nutzen für die Patienten essentiell sei. „Das haben wir beim Blutdruckmessen nicht, weil da gar nichts an pharmazeutischer Dienstleistung drin ist, sondern weil es eine reine Vermessung ist. Die behauptete pharmazeutische Beratung findet dabei nicht statt.“ Sie sei auch im Curriculum nicht vorgeschrieben. „Wir kommen eindeutig zu dem Ergebnis, das nicht der Hauch einer pharmazeutischen Dienstleistung stattfindet.“
Die häusliche Messung sei genauso gut, auch die vom DAV eingereichte „Studienflut“ zeige nichts anderes. Eine einmalige Messung bringe nichts, wer wiederum unter Bluthochdruck leide, gehe ohnehin regelmäßig zum Arzt.
GHG gilt nicht
Der Vorsitzende Richter verwies ebenfalls auf das GHG, stellte aber die Frage, ob man den Entwurf berücksichtigen könne. Hätte man vor einem halben Jahr verhandelt, wäre man bei ansonsten gleicher Sachlage zu einem anderen Ergebnis gekommen. Allerdings habe auch das BSG schon zu einer solchen „Argumentationskrücke“ gegriffen, so Seifert.
Laut GKV-Spitzenverband verfolgt das GHG allerdings ohnehin einen ganz anderen und viel weiter reichenden Ansatz. So würden die Zielgruppen einen Voucher erhalten und konkret zur Blutdruckmessung aufgefordert. Schon daher sei davon auszugehen, dass die Blutdruckmessung als Prävention eine Erweiterung der bisherigen pDL sei und bislang eben nicht abgedeckt sei. Auch sei hier die Beratung explizit vorgesehen, sodass auch nur Approbierte in Frage kämen. „Es ist etwas ganz anderes, was hier vorgesehen ist.“
Replik vom DAV: „Wenn der Gesundheitsminister das jetzt in die Fläche bringen möchte, kann das Bisherige ja nicht falsch gewesen sein.“ Und natürlich finde in der Apotheke eine Beratung statt.
Der DAV-Anwalt brachte selbst die hohen Rücklagen ins Spiel. Diese seien umso mehr ein Hinweis darauf, dass der Ermessensspielraum der Schiedsstelle nicht überschritten worden sei. Anders sähe es aus, wenn ständig neue Leistungen ins Spiel gebracht würden. „Das jetzt hier abzuschneiden, wäre ein vollkommen falsches Signal“, so Kautzsch.
Laut Richter Seifert sind die tatsächlichen wirtschaftlichen Folgen allerdings unbeachtlich. Auch der GKV-Spitzenverband protestierte umgehend: Es könne doch nicht das Argument sein, dass Geld im Fonds sei, das man jetzt einfach einmal ausgebe, so Frank-Ullrich Schmidt, Referatsleiter Arzneimittel. „Es gehe um fast 400 Millionen Euro, die alleine 9 Millionen Euro an Zinsen brächten.
Bei so unterschiedlichen Sichtweisen: Wie wäre es mit einem Vergleich? Die Kassen wollten das nicht ausschließen; man könne ja auch überlegen, die bislang abgerechneten Leistungen nicht zurückzufordern. Nun meldete sich Hess zu Wort: Man sei davon ausgegangen, dass die Blutdruckmessung eingebunden sei in die apothekerliche Beratung. Wenn das gestrichen worden sei, habe er eine falsche, womöglich überstürzte Entscheidung in der heißen Phase getroffen. „Man könnte sich doch darauf einigen, eine verpflichtende apothekerliche Beratung aufzunehmen. Dann hätte der Patient auch einen tatsächlichen Nutzen.“
Nach einer Pause wurde über einen Vergleich verhandelt – ohne Erfolg. Laut Kautzsch hat die Apothekerseite angeboten, die Leistung in Hinblick auf die Beratung zu konkretisieren. Die Kassen hätten das abgelehnt und vorgeschlagen, das Blutdruckmessen insgesamt fallen zu lassen, was der DAV nicht akzeptieren könne. Das Gericht musste daher entscheiden, ob die Blutdruckmessung weiter als pDL gilt und ob die Vergütung angemessen ist.