Apotheken sind oft Familienbetriebe und das ist in den allermeisten Fällen auch gut so. Umso schwerer kann es dann jedoch wiegen, wenn aufgrund der aktuellen Situation harte Einschnitte anstehen: Dr. Johannes Ungvari hat es besonders schwer getroffen. Weil er normalerweise zusammen mit seiner Frau in der Offizin steht, musste er sich aus Gründen des Infektionsschutzes von seiner eigenen Familie isolieren: Frau, Kinder, Mutter, Vater. Seit über einer Woche kann er sie maximal aus der Ferne sehen – und ein Ende der Maßnahme ist noch nicht in Sicht.
Eigentlich ist Ungvaris Apotheke nicht in der schlechtesten Personalsituation. „Formell habe ich vier Vertretungsberechtigte“, sagt der Inhaber der Aesculap-Apotheke im thüringischen Altenburg. „Aber mit sowas rechnet ja keiner!“ Sowas, das ist die aktuelle Coronakrise. Denn nach wie vor sind die behördlichen Maßnahmen, die beispielsweise im Falle einer Infektion innerhalb eines Apothekenteams ergriffen werden, ein Flickenteppich. Es sind die jeweiligen Gesundheitsämter, die beschließen, was im Fall der Fälle getan werden muss. Deshalb griff Ungvari zum Telefon und fragte das zuständige Gesundheitsamt: Was passiert, falls wir eine Infektion im Team haben? Die Antwort bereitete ihm Kopfzerbrechen: Dann muss das gesamte Apothekenteam in Quarantäne – schließlich hatten ja dann alle Kontakt zur infizierten Person.
Für Ungvari war das der Startschuss, seine bereits zuvor gemachten Pläne für einen Schichtbetrieb mit zwei Teams umzusetzen: Team 1 arbeitet Montag, Mittwoch und Freitag, Team 2 Dienstag, Donnerstag und Samstag. In der Folgewoche tauschen beide Teams die Schicht, damit alle trotz Minusstunden zumindest auf die gleiche Stundenzahl kommen und nicht ein Team mehr arbeiten muss als das andere.
Doch ab da wurde es kompliziert: Von den vier Vertretungsberechtigten ist nämlich eine seine Frau, eine seine Mutter und die anderen beiden sind Pharmazieingenieure. Hinzu kommt ein Schicksalsschlag: Der Vater von einer der beiden Pharmazieingenieure wurde positiv auf Sars-CoV-2 getestet – seine Mitarbeiterin ist daher als Kontaktperson noch bis zum 6. April in Quarantäne und fällt aus. Der anderen Pharmazieingenieurin könne er nicht zumuten, möglicherweise über Wochen ein Team allein zu führen, sagt Ungvari.
Seine Mutter könnte das, fällt aber auch aus: Der Vater ist Dialysepatient und gehört damit zu einer Risikogruppe. „Deshalb lasse ich sie schon seit drei Wochen nicht mehr raus“, sagt er. Das Risiko für seinen Vater wäre schlicht zu hoch. Einen Vertretungsapotheker zu finden, sieht er auch nicht als gangbaren Weg. „Dann bräuchte ich ja jemanden, der sofort könnte und bereits eingespielt ist“, sagt Ungvari. „Die Besetzung ist ja schon sehr knapp und wir machen auch noch Minusstunden. So jemanden wird man kaum finden.“
Es blieb also nur noch seine Frau, um das zweite Team zu leiten. Doch einem Virus sind Arbeitszeiten herzlich egal. „Wenn wir in getrennten Teams arbeiten, uns dann aber jeden Abend privat sehen, führt das System doch komplett ad absurdum“, stellt er fest. Was sind also die Optionen? Im Zweifelsfall die Schließung der Apotheke in Kauf zu nehmen, kommt für Ungvari nicht infrage. Die Apotheke wird vor Ort gebraucht und er könne seine Patienten nicht allein lassen, sagt er. Dazu zählen insbesondere Drogenkranke: Die Aesculap-Apotheke ist in ihrem Umfeld die einzige, die Substitutionspatienten betreut. Würde sie schließen, hätten die ein großes Problem. „Die kann ich nicht allein lassen“, sagt er. „Außerdem trage ich meinen Mitarbeitern gegenüber eine Verantwortung.“ Auch die wirtschaftlichen Folgen einer möglicherweise wochenlangen Schließung seien nicht abzuschätzen.
Also mussten die Ungvaris eine schwere Entscheidung treffen: „Wir haben schweren Herzens entschieden, dass ich so lange ausziehen muss“, sagt er. Untergekommen ist er in einer Ferienwohnung, die er eigens angemietet hat. Immerhin ein kleiner positiver Nebeneffekt: Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen leiden wie kaum eine andere Branche unter der derzeitigen Situation, vielerorts beträgt der Ausfall an die 100 Prozent. Auch Ungvari musste auf Nummer sicher gehen: Er schrieb den Betreibern einen Zettel, in dem er darauf hinwies, dass er die Ferienwohnung nicht aus Freizeitgründen anmieten will, und seine Situation erklärte.
Den Moment des Abschieds habe er kurzhalten wollten, dennoch sind ein paar Tränen geflossen. „Vor allem meiner Tochter fiel die Trennung schwer“, sagt er. Sieben und elf Jahre sind die Kinder der beiden – verstehen also schon sehr gut, was gerade passiert. „Dass keine Schule ist, finden beide natürlich okay, aber dass das eine angespannte Situation ist, merken sie natürlich. Sie gehen aber gut mit der Situation um.“ Ein weiteres Problem war natürlich die Betreuung: Die Schule ist geschlossen, Mama aber nur jeden zweiten Tag da. Auch da haben die Eltern aber eine gute Lösung gefunden.
Und so fristet Ungvari nun seit vergangenem Dienstag ein unfreiwilliges Junggesellendasein. „Vor allem die ersten zwei, drei Tage waren hart, auch weil man sich ein bisschen selbst leidtut“, sagt er. „Sich selbst leidzutun ist aber keine Option!“ Die freie Zeit, die sonst Frau und Kindern gehörte, verbringt er nun verstärkt mit seinem Hobby: „Die letzten Tage war hier ganz gutes Wetter, da habe ich ein paar Rennradtouren durchs Land gemacht. Aber das ersetzt natürlich kein Familienleben.“ Seine Liebsten hat er in letzter Zeit nur aus der Ferne gesehen, seine Frau höchstens beim Schichtwechsel und die Kinder aus der Distanz, als er kürzlich den heimischen Garten besuchte. Ein trauriges Timing war auch der Geburtstag seiner Frau am Montag. „Da bin ich ans Haus gefahren und habe ihr ein Geschenk vor die Tür gestellt.“
Er könne es kaum erwarten, dass die Zeit vorbeigeht. Er habe etwas Hoffnung, dass die Regeln des Gesundheitsamts angepasst werden könnten – also in systemrelevanten Bereichen wie Apotheken im einzelnen Infektionsfall nicht gleich ganze Teams in Quarantäne geschickt werden. Eine komplette Erlösung würde ohnehin nur ein Ende der akuten Krisensituation und der Kontaktsperren schaffen. Am Mittwoch einigten sich Bund und Länder darauf, die bisherigen Kontaktsperren bis mindestens zum 19. April zu verlängern. „Wenn ich das höre, gibt mir das wenig Hoffnung“, sagt Ungvari. „Immerhin, wenn das jetzt alles funktioniert, kann ich ohne ein blaues Auge aus der Geschichte herauskommen.“
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