Lieferdefekte

Doppel-Belege: DAV verhandelt mit TK Lothar Klein, 05.09.2016 15:17 Uhr

Berlin - 

Die AOK Rheinland/Hamburg ist mit einer „Schattenretaxierung“ in Sachen Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln vorgeprescht. Ab sofort verlangt die AOK von den Apothekern entweder einen direkten Beleg des Herstellers oder eine doppelte Bestätigung von zwei Großhändlern. Die Idee dazu stammt allerdings von der Techniker Krankenkasse (TK). „Darüber befinden wird uns mit dem DAV im Gespräch“, bestätigte eine TK-Sprecherin APOTHEKE ADHOC.

Für Ende September ist der nächste Verhandlungstermin angesetzt. Dann sollen weitere Details geklärt werde. Etwa wie mit Apotheken verfahren wird, die sich nur von einem Großhändler beliefern lassen. Schließlich kann keine Kasse einen Apotheker zwingen, Geschäftsbeziehungen zu mehreren Großhändlern zu unterhalten. Wie weit die Gespräche zwischen TK und DAV gediegen sind, ist Geheimsache.

Im Frühjahr hatten der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der Großhandelsverband Phagro gemeinsam nach einer Lösung für die Retaxproblematik bei Nicht-Lieferfähigkeit gesucht. Der Phagro hatte einen Retax-Gipfel vorgeschlagen: „Es wäre deshalb sinnvoll, wenn unter der Führung des GKV-Spitzenverbandes ein Gespräch mit Vertretern der Industrie, der Apotheker und des Großhandels erfolgt, um klare Definitionen und Regeln aufzustellen, die dann auch für alle praktikabel sind“, forderte Phagro-Chef Dr. Thomas Trümper im März im Interview mit APOTHEKE ADHOC. Doch daraus wurde nichts.

Stattdessen nahm der DAV Gespräche mit dem Verband der Ersatzkassen (VDEK) auf. Die Ergebnisse sollten protokolliert werden und in einer schriftlichen Vereinbarung münden. Diese liegt bis heute allerdings nicht vor. Parallel verhandelt der DAV mit der TK. Ob diese Gespräche zu einem handfesten Ergebnis führen, bleibt abzuwarten. Überrascht ist man bei der TK offenbar, dass die AOK Rheinland/Hamburg den dem DAV unterbreiteten Vorschlag jetzt aufgegriffen und öffentlich gemacht hat.

Bei den Kassen gibt es bei der Dokumentation von Lieferengpässen durch die Apotheker gleich mehrere Probleme: Mit Hilfe des Systems MSV3 kann jeder Apotheker sekundenschnell abfragen, ob ein Arzneimittel bei seinem Großhändler verfügbar ist. Falls nicht, wird häufig die Sonder-PZN eingetragen – vor allem bei Arzneimitteln, die über einen längeren Zeitraum defekt sind.

Aus Sicht der Kassen muss der Apotheker aber in jedem Fall einen Lieferauftrag bei seinem Großhändler auslösen – auch wenn schon klar ist, dass eine Lieferung nicht erfolgen kann. Nur so lässt mit dem zum Auftrag gehörenden Lieferschein mit der negativen Antwort des Großhändlers der exakte Zeitpunkt des Defekts dokumentieren. Mit diesen Defekt-Nachweisen kann die Kassen dann den Hersteller konfrontieren. Das sei insbesondere für Rabattarzneimittel relevant, heißt es im Kassenlager. Denn dann geht es um etwaige Vertragsstrafen.

Im Falle einer eventuellen Retaxation dient der Lieferschein dem Apotheker zudem als Beleg sowohl für mögliche Rechtsstreite als auch für die Steuer. Von Kassenseite hingewiesen wird zudem auf die gesetzliche Vorschrift zur Aufbewahrung von Lieferscheinen.

Die AOK hat nach eigenen Angaben die Abrechnungsdaten für das vierte Quartal 2015 analysiert und einen Abgleich zwischen den Defektmeldungen der Hersteller und verwendeten Sonder-PZN vorgenommen. Dabei sei aufgefallen, dass die von Apotheken für den Abgabezeitpunkt gesetzten Sonderkennzeichen „nicht immer deckungsgleich“ mit den Defektmeldungen oder Zeiträumen des pharmazeutischen Unternehmers waren, so die AOK.

Daher hat die Kasse nach eigenem Bekunden ihr Programm zur Abrechnungsprüfung umgestellt. Aufgrund dieser technischen Veränderung erfolge für alle ab September abgegebenen Arzneimittel „ein maschineller Abgleich“ zwischen Defektmeldung des Herstellers und aufgedruckter Sonder-PZN. Um Retaxationen zu vermeiden, sollen die Apotheken zukünftig das Sonderkennzeichen nur dann verwenden, wenn eine Defektmeldung des Herstellers vorliegt, so die AOK. Die Kasse akzeptiert auch eine Defektmeldung des Großhändlers, „sofern diese auf eine Erklärung des pharmazeutischen Unternehmens beruht“.

Als dritte Variante bietet AOK Rheinland/Hamburg folgendes an: „Für den Fall, dass die Nichtlieferfähigkeit ausschließlich durch einen Großhändler verursacht ist, sollten Sie das Sonderkennzeichen nur dann verwenden, wenn Ihnen von einem weiteren Großhändler ebenfalls ein Nachweis der Nichtlieferfähigkeit vorliegt.“ Unklar ist derzeit, ob weitere Kassen dem Beispiel der AOK Rheinland/Hamburg folgen werden.