Schaden an Corona-Impfstoffen: Wer haftet? APOTHEKE ADHOC, 09.04.2021 11:37 Uhr
Die Zahl der Corona-Impfungen hat mit der Einbindung der Hausarztpraxen einen Sprung nach oben gemacht, schon bald wird die Mehrheit aller in Deutschland verabreichten Impfdosen durch die Hände der Apotheken gehen. Dass es dabei vereinzelt zu Schadensfällen kommen wird, ist absehbar und nicht ungewöhnlich. Doch viele Apotheken fragen sich, wie genau es dabei nun mit Haftung und Versicherung aussieht.
Apotheken reichen den Impfstoff vom Großhandel an die Arztpraxen weiter – sind dabei aber niemals Eigentümer des Impfstoffs, denn das bleibt der Bund, bis die Spritze im Arm ist. Entsprechend sind auch die Verantwortlichkeiten je nach Station: „Kommt es während des Transports des Impfstoffs zur Apotheke zu Unregelmäßigkeiten wie einer Temperaturabweichung oder zu einer Beschädigung des Produkts, wird der Arzneimittelgroßhandel die Apotheke darüber unterrichten. Die betroffenen Kartons werden markiert, gesperrt und nicht der Apotheke ausgehändigt“, erklärte beispielsweise der Berliner Apotheker-Verein (BAV) seinen Mitgliedern in einem Rundschreiben.
Doch wenn der Impfstoff heil angekommen ist, in welcher Beziehungen stehen die Pharmazeuten dann zu ihm? Die Frage ist auch praktischer Natur: Apotheker und PTA spielen bekanntermaßen bereits in Impfzentren und -teams eine entscheidende Rolle – wenn also der befreundete Arzt nebenan fragt, ob man ihm nicht den Gefallen tun könnte, ein paar Handvoll Impfdosen aufzubereiten und aufzuziehen, ist das dann ohne Weiteres machbar oder begibt man sich auf rechtlich dünnes Eis. Eher das Zweite, wie auch der BAV seinen Mitgliedern andeutet: „Die Rekonstitution von Comirnaty von Biontech und die Befüllung der Spritzen in der Apotheke ist nicht vorgesehen und wird mit Blick auf haftungsrechtliche Fragen nicht empfohlen.“
Tatsächlich handelt es sich dabei aber um keine arzneimittelrechtliche Haftung, wie das Bundesgesundheitsministerium (BMG) erklärt: „Im Hinblick auf die derzeit anlaufende Verteilung der vom Bundesministerium für Gesundheit beschafften Impfstoffe gegen Covid-19 über den Großhandel und die Apotheken zu den Arztpraxen kommt eine Haftung der Apothekerinnen und Apotheker auf Basis der arzneimittelrechtlichen Gefährdungshaftung nach § 84 Arzneimittelgesetz (AMG) nicht in Betracht, da Apothekerinnen und Apotheker hier nicht als pharmazeutische Unternehmer anzusehen sind“, so ein Sprecher auf Anfrage.
Allerdings entbindet das die Apotheken nicht aus der Verantwortung. „Davon unberührt bleibt eine mögliche Haftung nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen“, erklärt das BMG weiter und meint damit einen möglichen Schadenersatz, falls Impfstoff durch einen Fehler in der Apotheke unbrauchbar wird: „Eine Verpflichtung der Apothekerinnen und Apotheker zum Abschluss einer Berufs-/Betriebshaftpflichtversicherung zur Absicherung gegen die sich aus der Berufsausübung ergebenden Haftungsrisiken ergibt sich aus landesrechtlichen Vorschriften (Kammergesetze, Berufsordnungen).“
Nur bedingt, erklärt Versicherungsexperte Peter Grimm von der Medical Network Stiftung: „Die Haftpflicht ist grundsätzlich und ausschließlich für versicherte Schäden zuständig, die von der Apotheke anderen zugefügt worden sein sollen und hat nichts mit Werten, Kühlkette oder ähnlichem zu tun. Dabei ist unerheblich, ob der Impfstoff Eigentum oder nur in der Verfügung der Apotheke war“, sagt er. „Deshalb halte ich einen tatsächlich eintretenden Haftpflichtschaden in Bezug auf die Impfstoff-Versorgung von Arztpraxen für das relativ geringste Risiko. Solange der Apotheker nur eine Handelsware abgibt oder verteilt, kann es dafür keine Haftung geben. Wird jedoch beispielsweise die Kühlkette unterbrochen und der Apotheker liefert ein dadurch nicht mehr brauchbares Medikament, kann es haftungsrechtlich durchaus schwierig werden.“ Hier sei dann auch die Frage nach Vorsatz, grober Fahrlässigkeit oder Fahrlässigkeit zu stellen, was Auswirkungen auf den Versicherungsschutz nicht aber auf die Haftung habe. „Für Vorsatz gibt es keinen Versicherungsschutz, Haftung besteht aber. Wenn er die Handelsware verändert, weil er zum Beispiel die Spritzen aufzieht, dann sollte er über eine AMG-Vorsorge-Deckung verfügen.“
Gibt es also entgegen der BMG-Aussage doch eine arzneimittelrechtliche Gefährdungshaftung? Nein, sagt Michael Jeinsen, Fachbereichsleiter Apotheken beim Bundesverband der Sachverständigen für das Versicherungswesen (BVSV), er stimme der Aussage prinzipiell zu. Was allerdings vorkommen könne, seien behauptete Tatbestände – und das sei beim Thema Haftpflicht die absolute Mehrheit der Fälle. „Sollte ein solcher Fall eintreten, dann ginge das vor Gericht und am Ende würde der Richter entscheiden, ob das AMG greift, nicht das BMG.“ Deshalb solle am besten jeder Inhaber prüfen, ob er eine AMG-Vorsorge-Deckung in seiner Police hat, also keine komplette AMG-Deckung, sondern eine bestimmte, meist nicht besonders hohe versicherte Umsatzsumme. „Diese sehr kostengünstige Variante würde ich ohnehin jedem Apotheker empfehlen, der öfter mal auseinzelt, Drogen umverpackt, Impfstoffe aufzieht oder ähnliches.“
Viel wahrscheinlicher als Haftpflichtstreitigkeiten sind aber ohnehin die großen und kleinen Missgeschicke im Arbeitsalltag. Was ist also, wenn Mitarbeitern zum Beispiel Vials in der Apotheke durch ein Missgeschick zu Bruch gehen? „Dazu brauchen Apotheken in der Inhaltsversicherung den Versicherungsbaustein 'Eigenschäden'. Sowas kommt vielfach häufiger vor als das Haftpflicht-Thema“, sagt Jeinsen. „Die Eigenschaden-Klausel sorgt dafür, dass Schäden durch Mitarbeiter wie solche von Fremden behandelt werden.“ Das gelte dann für alle Mitarbeiter – der Inhaber sei jedoch ausgeschlossen: Für Schäden, die unmittelbar von ihm verursacht würden, kommt so gut wie kein Versicherer auf.
Doch die Vials müssen nicht gleich zu Bruch gehen, damit der Impfstoff unbrauchbar wird. Eine Unterbrechung der Kühlkette ohne einen versicherten Sachschaden reicht schon aus. Hier müsse man differenzieren: „Dafür, dass die Impfstoffe sofort in den Kühlschrank kommen, ist in jedem Fall der Inhaber verantwortlich“, sagt Jeinsen. Soll heißen: Wird wegen eines menschlichen Fehlers nicht richtig gekühlt, zahlt der Chef. Das sei Teil seines kaufmännischen Risikos. Ist es die Technik, greift die Versicherung – wenn der richtige Kühlschrank mit einem apothekengerechten Inhaltswert versichert ist. „Wer Hämophilie-Produkte oder Impfstoffe zusätzlich zum normalen Sortiment lagert, sollte mindestens 50.000, besser 75.000 Euro abgesichert haben. Und die gültige Norm für Medikamentenkühlschränke in Apotheken heißt „DIN 58345“. Deswegen sollte spätestens jetzt jeder Apothekeninhaber seine Kühlschränke auf die DIN-Norm und seine Versicherungspolice auf den versicherten Kühlgut-Wert überprüfen.“, so Jeinsen.
Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels stand, dass die Apotheken nicht die Besitzer des Impfstoffs sind. Tatsächlich sind sie nicht die Eigentümer. Wir haben den Fehler korrigiert.