Versandapotheken

Sanicare: Jetzt spricht Witwe Ingrid Schein APOTHEKE ADHOC, 17.10.2017 11:23 Uhr

Berlin - 

Seit mehr als einem Jahr wird mit zunehmender Schärfe um die Versandapotheke Sanicare gestritten. Ingrid Schein, die Witwe des im Juli 2016 verstorbenen Inhabers Dr. Volkmar Schein, will mehrere Übertragungen von Gesellschafts- und Markenrechten für ungültig erklären lassen. Ihre Anwälte werfen der Gegenseite vor, den Apotheker aus der Firma gedrängt zu haben. Im Interview erzählt sie ihre Version der Geschichte.

ADHOC: Wie kam es zur Übernahme von Sanicare?
SCHEIN: In den Jahren 2011/12 gab es bei den Partnern – also Detlef Dusel, Christoph Bertram, Marc Möckel und meinem Mann – Überlegungen, die Versandapotheke DocMorris zu übernehmen. Dieses Projekt ist aber gescheitert. Ich weiß noch, dass sich alle als nicht genug vorbereitet fühlten. Über das Projekt Sanicare wurde ich dann gar nicht mehr groß informiert, daraus wurde von allen ein großes Geheimnis gemacht. Der Kontakt kam über Herrn Bertram zustande, der den früheren Inhaber Johannes Mönter kannte. Im Dezember 2012 erzählte mir mein Mann, die „Gruppe“ wolle Sanicare übernehmen.

ADHOC: Es war aber nicht die Gruppe, die Sanicare übernahm.
SCHEIN: Man hat meinen Mann quasi überredet mit dem Argument, für ihn sei es ja kein Problem nach Bad Laer zu ziehen, da er kein schulpflichtiges Kind mehr zu Hause habe und auch nur eine Apotheke verkaufen müsse. Davon hat er sich überzeugen lassen. Über die Details hat er mich nicht informiert. Ich wusste nichts über Finanzierungs- oder Haftungsfragen. Ich wusste nur, dass dieses Projekt ansteht und dass er quasi „auserkoren“ wurde von dem weiteren Dreiergremium.

ADHOC: Warum hat Ihr Mann sich darauf eingelassen?
SCHEIN: Nach meinem Dafürhalten war es so, dass sich mein Mann damals schon sehr stark von Herrn Dusel beeinflussen ließ. Er glaubte seinen Versprechen, seinen Visionen und seinen Vorhersagen fast bedingungslos und war weder fähig noch in der Lage, hier auch nur irgendeinen Ansatz von Kritik an Herrn Dusel hinzunehmen. Mir erschien dieser bedingungslose Glaube damals merkwürdig.

ADHOC: Trotzdem haben Sie nicht interveniert.
SCHEIN: Ich wurde letzten Endes vor vollendete Tatsachen gestellt. Mein Mann hat mir mitgeteilt, dass wir die Apotheke in Losheim an Frau Möckel verkaufen. Außerdem war im Gremium offenbar beschlossen worden, dass ich die Parfümerie als Geschäftsführerin weiterführen sollte. Dass diese Entscheidung über meinen Kopf hinweg getroffen wurde, hat mich sehr verärgert. Ich habe eingewilligt, um meinen Mann vor den anderen nicht zu brüskieren.

ADHOC: Wie ging es dann weiter?
SCHEIN: Meine Tätigkeit in der Parfümerie dauerte sage und schreibe zwei Wochen. Alle Entscheidungen wurden über meinen Kopf hinweg getroffen, ich durfte keinerlei Entscheidungen treffen. Also habe ich erklärt, dass ich so nicht arbeiten würde. Das war im April 2013. Mein Mann hat dann noch die Idee an mich herangetragen, in Bad Laer eine Parfümerie zu eröffnen und die Logistik von Sanicare für den Webshop zu nutzen. Das haben wir dann auch eine Zeitlang gemacht.

ADHOC: Wann kamen Ihnen erstmals Zweifel?
SCHEIN: Ich kann mich erinnern, dass mein Mann Ende 2013 an einem Abend von der Heimreise aus Bad Laer nach Losheim plötzlich losgeweint hat. Er war auf einmal völlig verzweifelt, dass er diesen Schritt getan hatte, und sagte: „Das wollte ich ja gar nicht.“ Er hat sehr bedauert, dass er sich dazu verleiten lassen hatte, die Apotheke aufzugeben. Das war von diesem Zeitpunkt an immer wieder ein Thema, wobei es für ihn offenbar keine Option war, alles rückgängig zu machen. Ich hatte den Eindruck, dass er keinen Ausweg mehr sah. Er war mehr als einmal ausgesprochen verzweifelt.

ADHOC: Wie kam es, dass Sanicare in eine OHG umgewandelt wurde?
SCHEIN: Es gab Anfang 2014 ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen meinen Mann. Dies hat Herr Dusel zum Anlass genommen, ihn massivst unter Druck zu setzen. Er erklärte, es würde den Ruin für alle bedeuten, wenn er die Approbation verliere, und man müsse jetzt dringend „tätig“ werden. In diesem Zusammenhang hatte ich dann das Gefühl, dass mein Mann völlig panisch war, was die Zukunft anbetraf.

ADHOC: Und dann?
SCHEIN: Es gab dann irgendwann ein Treffen in Ludwigshafen, bei dem zunächst einmal nur die drei anderen Partner zugegen waren. Was dabei besprochen wurde, weiß ich nicht. Als mein Mann später hinzukam, wurde er vor vollendete Tatsachen gestellt: Man habe beschlossen, dass Herr Bertram nun „einsteige“ – zu „Sicherungszwecken“.

ADHOC: Ihr Mann stimmte zu?
SCHEIN: Ich hatte das Gefühl, dass er stark bedrängt wurde und sich auch unter Druck gesetzt fühlte. Dass er quasi keine andere Möglichkeit mehr sah, als in alle „Beschlüsse“ des Dreiergremiums einzuwilligen. Ich habe vehement widersprochen, dass Herr Bertram Anteile meines Mannes übertragen bekommt, ohne auch nur irgendeine Zahlung zu leisten. Ich habe dies weder verstanden, noch war ich zu irgendeinem Zeitpunkt damit einverstanden. Mein Mann meinte dann einfach nur lapidar, dies sei schon in Ordnung.

ADHOC: Und Sie beließen es dabei?
SCHEIN: Bis dahin hatte mein Mann sich stets um die Finanzen gekümmert und seine Angelegenheit meist über Herrn Dusel abgewickelt. Über seine privaten Geschäfte mit Dusel hat er mich nie informiert. Mitunter sagte er nur, Herr Dusel habe ihn davon überzeugt, dass es sich um exzellente Geschäfte handele, wie man sein Geld anlegen könne.

ADHOC: Wie ging es weiter?
SCHEIN: Mein Mann zeigte bereits zu Beginn dieser „Zusammenarbeit“, jedoch ganz massiv und verstärkt ab Anfang 2014 massive Überlastungs-, Überforderungssymptome. Es war zu bemerken, dass er mit der Situation, seiner Entscheidung und den ganzen Auswirkungen nicht mehr zurecht kam. Im Mai 2015 wurde ihm plötzlich vorgeworfen, gemeinsam mit mir Ware in der Parfümerie unterschlagen zu haben. Wir konnten zwar nachweisen, dass die Diskrepanz lediglich durch falsche Verbuchung infolge von Umstellungen in der EDV-Anlage zustande gekommen war. Für mich war aber offensichtlich, dass auch dieser Vorwurf lediglich dazu dienen sollte, meinen Mann weiter unter Druck zu setzen und zu manipulieren. Mein Mann zeigte sich zunehmend psychisch instabil, auch weil ich ihn ab diesem Zeitpunkt nicht mehr bei den Fahrten nach Bad Laer begleitete.

ADHOC: Wie entwickelte sich das Verhältnis zwischen Ihrem Mann, Herrn Bertram und Herrn Dusel?
SCHEIN: Wegen des Streits haben wir noch im Mai 2015 das erste Mal anwaltliche Hilfe gesucht. Denn nun hatten wir endgültig das Gefühl, dass mein Mann der ganzen Situation hilflos ausgeliefert war und hier auf seinem Rücken für ihn massiv nachteilige Entscheidungen getroffen wurden. Der damalige Rechtsanwalt machte meinem Mann erst einmal massive Vorwürfe, wie er denn überhaupt solche nicht nachvollziehbaren Entscheidungen treffen konnte. Volkmar war völlig teilnahmslos und ließ das Ganze über sich ergehen. Der Anwalt unternahm dann noch einen Vermittlungsversuch, um die Wogen zwischen ihm und Herrn Bertram zu glätten. Dies hat aber nicht mehr gefruchtet.

ADHOC: Seitdem herrschte Funkstille?
SCHEIN: Mein Mann hatte im Juni 2015 noch einmal versucht, mit Dusel und Bertram zu sprechen, um eine Einigung zu finden. Auch dies ist jedoch nicht geglückt. Nach diesem Gespräch war er völlig desolat.

ADHOC: Trotzdem hat ihr Mann weiter gearbeitet?
SCHEIN: Was sollte er denn sonst tun? Er war immerhin der verantwortliche Apotheker. Es war jedoch nicht zu übersehen, dass es ihm gesundheitlich immer schlechter ging, er immer mehr verunsichert und psychisch instabil wurde. Bei Telefonaten weinte er sehr heftig, auch wenn er sie mit unserer Tochter führte. Er war schon in ärztlicher Behandlung, aber ich habe mehrfach darauf gedrängt, dass er nicht mehr nach Bad Laer fährt, weil ich zu diesem Zeitpunkt bereits ernsthafte Befürchtungen hatte, dass er sich etwas antut. Ich habe damals mehrfach zu meiner Tochter gesagt: „Ich habe Angst, dass er gegen einen Baum fährt.“ Sein ganzes Verhalten und seine Reaktionen deuteten für mich auf ein Desaster hin, welches ja ein Jahr später auch eingetreten ist.

ADHOC: Wie reagierten Bertram und Dusel?
SCHEIN: Im September 2015 besuchten mein Mann und ich einen Parfümeriekongress am Timmendorfer Strand. An diesem Wochenende ging es Volkmar so schlecht, dass er nicht am Sonntag – wie beabsichtigt – nach Bad Laer gefahren ist, sondern erst am Montag. Am Dienstag rief er mich an, er könne nicht arbeiten, er sitze in der Wohnung. Ich bin sofort dort hingefahren. Wir haben Herrn Dusel informiert, der in die Wohnung kam und sich selbst ein Bild über den gesundheitlichen Zustand meines Mannes machen konnte. Er meinte lapidar, diese Situation sei für ihn nicht nachvollziehbar. Dann schlug er vor, Volkmar müsse erst einmal gesund werden und sich hierfür Zeit nehmen.

ADHOC: Das half nichts?
SCHEIN: In den zwei Wochen, die wir im Oktober 2015 dann in Urlaub waren, hat sich mein Mann nicht einmal ansatzweise regeneriert. Er war kaum ansprechbar. Das „fröhliche Urlaubsfoto“, das Herr Dusel jetzt herumreicht, hat meine Tochter aufgenommen. Sie hatte ihren Vater inständig gebeten, doch wenigstens einmal zu lachen, damit ein schönes Urlaubsfoto entsteht.

ADHOC: Wie kam es zur zweiten Anteilsübertragung?
SCHEIN: Nach unserer Rückkehr wurde meinem Mann ein Schreiben übermittelt, mit dem er zu einem Treffen Anfang November 2015 in Bad Laer geladen wurde. Ich habe zu diesem Zeitpunkt bereits alle Mails für ihn geschrieben, da mein Mann noch nicht einmal dazu in der Lage war, und geantwortet, dass ich an diesem Termin teilnehmen werde.

Mein Mann hat mir dann, als wir in Bad Laer ankamen, noch im Parkhaus gesagt: „Ich kann da nicht reingehen.“ Ich bin dann zunächst alleine zu dem Treffen gegangen, Herr Bertram hat mich aber des Raumes verwiesen mit der Begründung, dass ich dort nichts zu suchen hätte.

Nach einer halben Stunde ist mein Mann wieder herausgekommen mit dem zweiten Vertrag, mit dem er seine restlichen Anteile übertragen sollte. Er sagte, er müsse noch am gleichen Tag unterzeichnen, da man laut Dusel sonst in der kommenden Woche Insolvenz anmelden müsse. Dann wäre er auch noch schuld daran, dass 350 Mitarbeiter von einer Minute auf die andere arbeitslos würden. Mein Mann war völlig verzweifelt.

ADHOC: Hat er unterschrieben?
SCHEIN: Am gleichen Tag hat er nichts unterzeichnet. Ob und wann er später etwas unterschrieben hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

ADHOC: Wann haben Sie die Sache an sich genommen?
SCHEIN: Mein Mann hat zu diesem Zeitpunkt kaum noch geredet, sich nicht mehr mitgeteilt. Er war in eine völlig abgeschiedene eigene Welt abgetaucht und ist noch im November 2015 in die stationäre Behandlung gegangen.
Weil mein Mann offenkundig seit geraumer Zeit nicht mehr geschäftsfähig und darüber hinaus massivstem Druck ausgesetzt war, war meines Erachtens nach auch die Übertragung der Anteile – sowohl die erste, definitiv aber die zweite – unrechtmäßig. Ich kam zu dem Ergebnis, dass dringend etwas passieren musste, bevor wir in jedweder Hinsicht ruiniert würden. Ich weiß noch, dass mein Mann bei unserem ersten Termin in der Kanzlei Comtesse völlig lethargisch war, am ganzen Körper zitterte und überhaupt nicht in der Lagre war, irgendwelche Sachverhalte zusammenhängend und konsequent zu schildern. Es war für uns zunächst außerordentlich schwer, die komplexen Sachverhalte überhaupt nachzuvollziehen.

ADHOC: Gab es noch Gespräche mit der Gegenseite?
SCHEIN: Es gab noch ein Treffen in Bad Laer. Ich werde nie vergessen, wie Herr Dusel sich im Sessel zurücklehnte und lapidar zu meinem Anwalt meinte: „Ich habe ja schon einmal gegen einen Provinzanwalt aus dem Saarland gewonnen.“ Dies sollte offensichtlich dazu dienen, uns einzuschüchtern.

ADHOC: Das war offensichtlich nicht von Erfolg gekrönt.
SCHEIN: Ich habe damals entschieden, mich nicht unterkriegen zu lassen und unsere Rechte wahrzunehmen – im Interesse meines Mannes, aber auch unserer gemeinsamen Tochter. Das war für mich eine sehr schwierige Zeit, da Volkmar in jedweder Hinsicht ausgefallen ist und sich dauernd stationär behandeln lassen musste. Er war in dieser Zeit nur noch „abwesend“, es kamen keinerlei emotionale Regungen mehr. Eigentlich habe ich unterschwellig wohl damit gerechnet, dass er sich etwas antut. Ich war zunächst einmal beruhigt über die stationären Aufenthalte.

ADHOC: Wie schwer fällt Ihnen der Streit heute?
SCHEIN: Konsequenter als zuvor habe ich nach seinem Ableben beschlossen, dass er auf jeden Fall Rehabilitation erfahren soll. Diese ganze Geschichte darf nicht einfach sang- und klanglos zu Ende sein, ohne dass zutage tritt und auch rechtlich umfassend bewertet wird, wie mit meinem Mann umgegangen wurde. Umso mehr, da Sanicare letztlich mit der Zahlung aus seiner Lebensversicherung, die nach seinem Freitod fällig wurde, schuldenfrei gestellt wurde.