Drei Jahre ist es mittlerweile her, dass der Bundesgerichtshof (BGH) sich mit den Rx-Boni von DocMorris befasst hat: Im Mai 2017 gaben die Richter in Karlsruhe dem Oberlandesgericht Köln (OLG) auf, den Streit um die Preisbindung erneut dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Doch passiert ist nichts – weil noch immer auf die Stellungnahme der Bundesregierung in einem anderen Verfahren gewartet wird.
In dem Prozess ging es um die Freundschaftswerbung von DocMorris. Das OLG verbot in zweiter Instanz die ausgelobte Sofortprämie für eingereichte Rezepte, rechnete aber fest damit, dass der BGH seine Rechtssprechung nach sechs Jahren unter den neuen Vorzeichen überdenken oder den Fall sogar beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorlegen würde.
Doch im November 2016 – kurz nachdem der EuGH die Preisbindung gekippt hatte – verwiesen die Richter die Sache zurück: Nach wie vor könne nicht abschließend beurteilt werden, ob die deutsche Rx-Festpreisbindung mit EU-Recht vereinbar sei – weil die EuGH-Entscheidung zu den Rx-Boni von DocMorris „maßgeblich auf ungenügenden Feststellungen“ beruhte, so die überraschende Begründung. Aus Sicht des BGH konnte der EuGH nicht alle Hintergründe kennen – weil das OLG Düsseldorf im damaligen Vorlageverfahren sie nicht mitgeliefert hatte.
Genau dies sollte das OLG Köln jetzt nachholen, entschied der BGH und gab den Kollegen konkrete Handlungsempfehlungen mit. Doch auch nach drei Jahren wurde die Sache noch nicht in Luxemburg vorgelegt, denn beim Gericht wartet man noch auf eine Stellungnahme der Bundesregierung in einem parallelen Verfahren: Das OLG München hatte in einem Streit um Boni des ehemaligen DocMorris-Ablegers Wellsana aus Berlin eine amtliche Auskunft angefordert, mit welchen Daten und Fakten sich die Arzneimittelpreisverordnung zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln rechtfertigen lässt.
„Zur Klärung dieser Frage sieht sich der Senat nach dem zurückverweisenden Urteil des BGH [...] veranlasst“, so ein Sprecher des OLG Köln gegenüber APOTHEKE ADHOC. „Insofern ist jetzt eine erneute Anfrage an das OLG München gerichtet worden, ob die Auskunft der Bundesregierung vorliegt. Der Senat zieht in Erwägung, die hier anhängigen Sachen auch formell im Hinblick auf das Münchener Verfahren auszusetzen.“ Die Regierung will aber erst abwarten, was die EU-Komission zu dem geplanten Rx-Boni-Verbot sagt und ist daher eine Antwort bislang schuldig geblieben.
Damit folgt das OLG Köln der Segelanweisung des BGH. Denn die Richter hatten ihren Kollegen nahegelegt, gemäß Zivilprozessordnung (ZPO) „im Rahmen des weiteren Verfahrens zur Frage der Notwendigkeit von einheitlichen Apothekenabgabepreisen für verschreibungspflichtige Arzneimittel für die Wahrung der Belange der Gesundheit der Bevölkerung eine amtliche Auskunft staatlicher Stellen, insbesondere der Bundesregierung, einzuholen“. Dabei dürfe die Beweislast aber nicht soweit gehen, dass von vornherein her keine andere Maßnahme mehr zulässig sei, so die Botschaft des BGH.
Bei ihrer Vorlage an den EuGH sollten die Richter dann auch darauf abstellen, dass die Mitgliedstaaten die Verantwortung für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie die Organisation des Gesundheitswesens hätten und selbst bestimmen könnten, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit gewährleisten wollten und wie dies erreicht werden solle. Dabei komme ihnen ein Wertungsspielraum zu. Diese Aufgabenverteilung sei von allen Organen der Union zu respektieren, mahnte der BGH: „Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diese Zuständigkeit der Mitgliedstaaten von der Union nicht nur formal, sondern auch im Geist einer loyalen Zusammenarbeit zu beachten ist.“
Laut BGH hatte das OLG Düsseldorf in seinem Vorabentscheidungsersuchen zum Streit zwischen der Deutschen Parkinson-Vereinigung (DPV) und der Wettbewerbszentrale zwar die Frage gestellt, inwiefern sich die Preisbindung mit der gleichmäßigen und flächendeckenden Arzneimittelversorgung rechtfertigen lässt – dazu aber keine Feststellungen getroffen. Der EuGH wiederum habe angenommen, dass das nationale Gericht die von dem betroffenen Mitgliedstaat vorgelegten Beweise prüfen müsse. Aber in dem Verfahren sei die Bundesrepublik gar keine Partei gewesen.
Mit anderen Worten: Bereits das OLG Düsseldorf hätte aus Sicht des BGH die Informationen aufarbeiten und dem EuGH zur Verfügung stellen müssen. So hätten die Richter in Luxemburg nur „zusammengefasst und angenommen, die nationalen Regelung sei nicht in einer Weise untermauert, die den Anforderungen der Rechtssprechung des Gerichtshofs genüge“.
„Damit beruht die fragliche Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union maßgeblich auf ungenügenden Feststellungen in jenem Verfahren“, so der BGH. „Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Feststellungen nachgeholt werden können, müssen die Parteien im vorliegenden Verfahren Gelegenheit erhalten, zur Geeignetheit der deutschen Regelung der arzneimittelrechtlichen Preisbindung für eine flächendeckende und gleichmäßige Arzneimittelversorgung vorzutragen. Sollte dies in schlüssiger Weise geschehen, wird das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben, ohne die sich die Geeignetheit der deutschen Regelung für das erstrebte Ziel nicht abschließend beurteilen lässt.“
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