Rx-Boni: DocMorris ätzt gegen EuGH Patrick Hollstein, 03.03.2022 15:35 Uhr
Wann immer eine gesetzliche Regelung für DocMorris ungelegen kommt, wird der Weg zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) gesucht. Doch weil der zuletzt in einem Steuerstreit zu ihren Ungunsten entschied, wollte die Versandapotheke auf einmal vom Urteil aus Luxemburg nichts mehr wissen: In ungewöhnlich bösartiger Form wurde gegen die Richter gekeilt. Der Bundesfinanzhof (BFH) ließ sich nicht darauf ein.
In dem Verfahren ging es um die Frage, ob DocMorris seinen Umsatz um die an seine Kunden ausgeschütteten Rx-Boni kürzen und damit Mehrwertsteuer sparen kann. Dem Vernehmen nach stand ein zweistelliger Millionenbetrag auf dem Spiel. der der Versandapotheke zu entgehen droht.
„Frage nicht verstanden“
Der EuGH lehnte die Idee ab, der BFH musste nun also in der Sache entscheiden. Und plötzlich stellte sich DocMorris auf den Standpunkt, dass das im Streitfall ergangene EuGH-Urteil nicht zur Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen beitrage. Die Richter in Luxemburg hätten „nicht präzise genug gearbeitet“, „die Vorlagefrage nicht richtig verstanden“ und daher „keine für das hiesige Verfahren weiterführende Antwort liefern“ können.
Schwere Vorwürfe einer Partei gegen ein höchstes Gericht, von denen auch der BFH nichts wissen wollte: Aus der Kritik ergebe sich nichts für die materiell-rechtliche Beurteilung des Streitfalls, konterten die Richter eiskalt zurück. Aus dem Urteil „ergibt sich somit ohne jeden Zweifel, dass der EuGH die Annahme einer Entgeltminderung für die hier vorliegende Fallgestaltung ablehnt“. Daher gehe die Annahme fehl, dass es für die Beurteilung im Streitfall noch einer Antwort auf die zweite Frage des Vorlagebeschlusses bedürfe. DocMorris hatte die Sache noch einmal vorlegen wollen.
Und natürlich musste sich DocMorris abermals als Opfer inszenieren, das im Wettbewerb mit deutschen Apotheken benachteiligt werde. Auch hier ließen die Richter die Versandapotheke auflaufen: „Ob sich aus der Versagung einer Entgeltminderung eine Benachteiligung der Klägerin im Vergleich zu Inlandsapotheken ergibt, hat der Senat nach Vorlage an den EuGH und dem EuGH-Urteil nicht zu entscheiden, zumal die Klägerin außer Betracht lässt, dass Inlandsapotheken einem Rabattverbot unterliegen, das der EuGH lediglich zugunsten grenzüberschreitender Apotheken außer Kraft gesetzt hat“, erinnert der BFH an die Rechtslage.
Die Frage nach einer Benachteiligung könnte sich daher nur stellen, wenn feststünde, dass deutsche Apotheken im betreffenden Zeitraum entgegen diesem Verbot Rabatte gewährt und zudem hieraus auch noch die umsatzsteuerrechtliche Rechtsfolge einer Entgeltminderung gezogen hätten. „Derartiges ergibt sich weder aus den von der Klägerin nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des Finanzgerichts noch anderweitig.“
DocMorris beteuerte noch, dass ein Ausschluss von der Versorgung von Kassenversicherten ihrer wirtschaftlichen Existenzvernichtung gleichkäme. Doch davon wollte der BFH ebenfalls nichts wissen: „Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Verneinung eines umsatzsteuerrechtlichen Minderungsausspruchs aufgrund des von ihr ausgesprochenen Verzichts auf die Erhebung von Zuzahlungen bei Kassenversicherten zu einem derartigen Ausschluss oder einer derartigen Gefährdung führen könnte und weshalb dies weitergehend für das Festsetzungsverfahren von Bedeutung sein sollte.“
Arzneimittel-Check als reiner Vorwand
Übrigens: Im Verfahren räumte DocMorris freimütig ein, dass der „Arzneimittel-Check“ eigentlich bloß ein Vorwand für die Gewährung einer Preisermäßigung war und daher nur fiktiven Charakter hatte.
DocMorris wollte seinen Umsatz um die an seine Kunden ausgeschütteten Rx-Boni kürzen und damit Mehrwertsteuer sparen. Während das zuständige Finanzamt dies bei Umsätzen mit Privatkunden nicht beanstandet hatte, ließ es die Sache bei Kassenpatienten nicht durchgehen: Denn diese Lieferungen sind als sogenannter innergemeinschaftlicher Erwerb steuerfrei – DocMorris liefert zum Nettopreis, die Kasse muss als Empfänger die Mehrwertsteuer entrichten. Da also gar keine Steuern zu zahlen sind, wollte DocMorris die Aufwendungen stattdessen bei den Umsätzen im Selbstzahlerbereich als „negative innergemeinschaftliche Erwerbe“ in Abzug bringen und so am Ende die Steuerlast senken.
Das Finanzamt lehnte dies ab: Eine Minderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG komme nicht in Betracht, weil kein Zusammenhang zwischen den an die Kassenpatienten gezahlten Prämien und den Umsätzen mit Selbstzahlern bestehe. Schon innerhalb des GKV-Bereichs seien Empfänger der Leistung (Kasse) und Empfänger der Prämie (Endkunde) nicht identisch.
Nachdem das Finanzgericht Düsseldorf die Klage von DocMorris abgewiesen hatte, ging der Fall vor den BFH. Die Richter in München ließen die Sache vom EuGH klären, und auch der sah zwei verschiedene Lieferungen: nämlich die von der Apotheke an die Krankenkasse und die von dieser Kasse an die bei ihr versicherten Personen. Bei der ersten Lieferung handele es sich um eine innergemeinschaftliche Lieferung, die in den Niederlanden von der Steuer befreit ist. Daher sei die Krankenkasse als juristische Person verpflichtet, die Mehrwertsteuer zu entrichten. Die zweite Lieferung falle dagegen nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer. Daher verfüge DocMorris nicht über eine Steuerbemessungsgrundlage, die Gegenstand einer Berichtigung sein könnte, so der EuGH.
Auch dass DocMorris mangels Mehrwertsteuer im GKV-Bereich die zusätzlichen Ausgaben auf die im Bereich der Selbstzahler generierten Umsätze geltend machen wollte, ließen die Richter nicht gelten: „Wie sowohl das vorlegende Gericht als auch die Europäische Kommission zutreffend ausgeführt haben, ist es im Rahmen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems jedoch ausgeschlossen, die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage hinsichtlich eines Umsatzes auf die Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage eines anderen Umsatzes anzurechnen.“