Apotheker müssen L-Thyrox-Ausfall stemmen Alexander Müller, 02.04.2015 15:08 Uhr
Anfang März räumte der Hersteller Hexal erstmals Lieferengpässe bei L-Thyroxin 25 µg ein, jetzt folgt der Rückruf von zahlreichen Chargen mit der Wirkstärke 25 µg und 50 µg in den Größen 50 und 100 Stück. Auch die Konzernschwester 1A Pharma ist betroffen. In den Apotheken droht Ärger, weil die Schilddrüsenpräparate nicht einfach ausgetauscht werden dürfen und die Ärzte nicht informiert sind. Engpässe in der Versorgung dürfte es nach den Erwartungen anderer Hersteller zwar nicht geben, aber eigentlich nicht erwünschte Umstellungen von Patienten.
Insgesamt 27 Chargen L-Thyrox 25 µg und 50 µg in den Größen 50 und 100 Stück müssen die Hersteller zurückrufen. Beim Wirkstoffgehalt und bei Abbauprodukten wurde eine Überschreitung der Spezifikation festgestellt, teilte Hexal mit. Bei dem Rückruf handele es sich nicht um einen „kompletten“ Rückruf, so eine Konzernsprecherin. „Die große Mehrheit der Ware bleibt im Verkehr.“
Der Ausfall ist trotzdem doppelt bitter, da L-Thyroxin einer der acht Wirkstoffe auf der Aut-idem-Liste ist. Diese Präparate dürfen aus Sicherheitsgründen auf keinen Fall substitutiert werden – was mit Blick auf den Grund des Rückrufs bei Hexal recht skurril ist. Hat der Arzt ein Medikament der Aut-idem-Liste verordnet, das nicht verfügbar ist, muss der Patient in die Praxis zurückgeschickt werden und sich ein neues Rezept besorgen. Dass die Ärzte kein System haben, um Ausfälle und Engpässe zeitnah in ihrer Software abzubilden, verschärft das Problem.
Patienten müssen also auf Konkurrenzprodukte umgestellt werden. Marktführer Sanofi hat nach eigenen Angaben aktuell keine Probleme, bislang könne man die Nachfrage bedienen. „Wir sind nicht knapp und können liefern“, sagte eine Sprecherin. Sie kann aber aktuell nicht versprechen, dass der Ausfall von Hexal aufgefangen werden könne: „Das wäre ein Blick in die Glaskugel. Wir werden sehen, was auf uns zurollt.“
Bei Aristo geht man dagegen davon aus, dass man „zu nahezu 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit“ den Bedarf decken könne. „Wir produzieren in Deutschland und können sehr schnell reagieren“, sagt Geschäftsführer Dr. Stefan Koch. Die Produktion sei schon hochgefahren worden. Den bereits bestehenden Engpass von L-Thyrox Hexal mit 25 µg habe man schon kompensiert. Aber auch bei der höheren Wirkstärke sieht Koch kein Probleme.
Betapharm ist nach eigenen Angaben ebenfalls in allen Stärken bevorratet und lieferfähig. Aber auch bei der Dr. Reddy's-Tochter weiß man noch nicht, was jetzt auf die anderen Hersteller zukommt.
Apotheker berichten allerdings, dass sie wegen der wiederkehrenden Ausfälle von Hexal ihre Patienten in Abstimmung mit dem Arzt ohnehin schon umgestellt hätten. Einer meinte, die Meldung zum Rückruf sogar als Aprilscherz enttarnt zu haben: „Seit Monaten gibt es das Zeug doch gar nicht mehr, wie kann man da etwas zurückrufen?“, fragt der Apotheker lakonisch. Wegen der aktuellen Engpässe haben viele Kollegen schon die Ärzte aus dem direkten Umfeld informiert, damit diese ihr Verordnungsverhalten anpassen.
Hexal hat selbst auch nicht nur die Apotheken über die Lieferprobleme informiert. „Mit den Ärzten stehen wir über unseren Außendienst in engem Kontakt. Mit Hochdruck arbeiten wir daran, dass wir zukünftig mit allen Wirkstoffen und Packungsgrößen lieferfähig sind“, so die Konzernsprecherin.
Unabhängig von dem aktuellen Rückruf kommt es der Sprecherin zufolge bei L-Thyrox 25 µg zu Verzögerungen, verursacht durch Anpassungen am Produktionsprozess. Solche Anpassungen verursachten zeitintensive Evaluierungen, da sie – gemäß allgemein gültigen Qualitätsstandards – getestet und bewertet werden müssten. „Leider können wir deshalb aktuell keinen festen Liefertermin nennen“, so die Sprecherin.
Mit sieben Millionen Verordnungen liegt L-Thyroxin Henning von Sanofi laut Arzneiverordnungsreport auf Platz 6 unter den am häufigsten abgegebenen Arzneimitteln in der Apotheke. Das Sanofi-Schwesterprodukt L-Thyroxin Winthrop folgt mit 2 Millionen Verordnungen hinter L-Thyrox von Hexal mit 4,8 Millionen Verordnungen und Euthyrox von Merck mit 3,3 Millionen Verordnungen. Die Produkte von 1A Pharma mit 570 und Betapharm mit 550.000 und Aristo mit 500.000 Verordnungen folgen mit einigem Abstand.
Insgesamt werden jährlich knapp 1,2 Milliarden Tagestherapiedosen verschrieben. Zusätzlich gibt es Kombinationsprodukte mit Iodid; Liothryronin spielt eine untergeordnete Rolle.