Ringsheim: 2000 Einwohner, drei Rezeptkästen APOTHEKE ADHOC, 18.10.2020 08:27 Uhr
Rezeptsammelkästen waren bisher eher die Ausnahme als die Regel und führten schon in der Vergangenheit nicht selten zu Streit. Seit dem Edeka-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist der Weg aber frei – und die Sorgen groß, dass Apotheken vor allem in ländlichen Regionen versuchen könnten, sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Im Ortenaukreis im südwestlichen Baden-Württemberg ist darum nun ein Streit entbrannt: Zwei Apotheken pflastern nach Auffassung zweier Kollegen die Region mit Rezeptsammelkästen zu und greifen ihren Umsatz ab. Die beiden Inhaber wiederum weisen die Vorwürfe zurück: Wer sich so äußere, habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Ringsheim ist eine 2000-Seelen-Gemeinde unweit der französischen Grenze. Eine Apotheke hat sie nicht, dafür aber drei Rezeptsammelkästen. Und nach Auffassung des Bürgermeisters hätten es durchaus auch fünf sein können: An den wendeten sich nämlich kürzlich zwei Apotheker aus dem Umland mit einem vertraulichen Gespräch. Ihr Anliegen: Die Rohan- und die Marien-Apotheke aus dem nahegelegenen Ettenheim haben zusammen bereits drei Rezeptsammelkästen in Ringsheim aufgestellt, in den umliegenden Orten sind es mittlerweile zusammen 13 Stück, darunter welche in Supermärkten und Ärztehäusern. Die beiden Apotheker sehen darin einen Versuch, ihnen die Kundschaft abzulocken. „Es ist eine Frechheit, wir haben ja auch viele Kunden aus Ringsheim. Wie viele von denen da aufspringen und mitmachen, wissen wir natürlich noch nicht, aber uns wird auf jeden Fall Umsatz abgegriffen“, sagt einer der beiden, die anonym bleiben möchten.
Dem Ringsheimer Bürgermeister sei die Problemstellung so gar nicht bekannt gewesen, erzählen sie. „Er sagte, er habe nur das Beste für seine Bürger im Auge gehabt und wollte ihnen diesen Service bieten“, erzählt der Pharmazeut. „Was soll er jetzt auch machen, er kann die Kästen ja nicht wieder abbauen, weil zwei Apotheker aus dem Nachbarort sich beschweren. Er meinte dann, wir können ja unsere Kästen auch noch hinstellen. Dann hätte Ringsheim fünf Rezeptkästen!“
Dass das rechtlich möglich wäre, daran hätten sie schon zuvor keine Zweifel mehr gehabt – denn sie hatten sich eigens an die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg (LAK) gewandt. „Die Rechtsanwältin der LAK hat gesagt, dass da nichts zu machen sei wegen des Gerichtsurteils im April.“ Dennoch käme es für beide gar nicht infrage, sagen sie. Und zwar nicht nur wegen Ringsheim, sondern auch wegen des eigenen Berufsethos. „De jure ist das rechtens – die Frage ist nur, was das mit dem Image des Apothekers macht, wenn überall diese Kästen rumstehen. Wenn ich die Gegend damit zupflastere, kann sich doch jeder nur fragen, was das soll.“
Hinzu komme noch, wie die Rohan-Apotheke die Kästen für ihr Marketing nutze: Auf Facebook hatte sie ein Rezeptkasten-Gewinnspiel gestartet. Die Kunden sollten die Kästen fotografieren und ihr zuschicken. Unter den Einsendungen wurden dann Gewinne verlost. Für den Mitbewerber ein Affront. „Was da passiert, hat mit dem Beruf des Apothekers nichts zu tun!“, sagt er. „Wir sehen den Apotheker als sozialen Heilberuf, aber bei den Kästen geht es nur darum, Umsatz von Mitbewerbern abzugreifen.“
Die beiden beschuldigten Apotheker sehen es naturgemäß ganz anders. Christian Weber, Inhaber der Rohan-Apotheke in Ettenheim, muss lachen, als er auf den Vorwurf angesprochen wird. „Ich hätte das auch nicht von allein getan“, sagt er. „Das ist jetzt natürlich Wildwuchs und ob das so sein muss, weiß ich auch nicht. Ich habe aber nicht den ersten Stein geworfen.“ Vielmehr habe sein Kollege 100 Meter gegenüber damit angefangen, Kästen aufzustellen und Weber wollte sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. „Ich hatte das schon länger im Auge, weil eine Apotheke in der nächsten Kreisstadt das gemacht hat, deshalb hatten wir schon alles vorbereitet. Wir waren aber nicht proaktiv.“
Es sei ihm bewusst, „dass es da Pro und Contra gibt“, wie er sagt, und könne die Kritik sogar nachvollzeihen. Verständnis dafür habe er trotzdem nicht. „Es ist jedem vorbehalten, das zu tun, was die Aufsichtsbehörde zulässt. Ich habe nur Orte gewählt, wo keine andere Apotheke ist, habe also niemandem so eine Kiste vor die Tür gestellt. Da habe ich mich ziemlich fair verhalten. Ich wollte es ursprünglich auch nicht machen, aber ich wurde ja fast dazu gezwungen.“
Die Kastenvermehrung ging also von der Marien-Apotheke aus – die plädiert aber dafür, die Kirche im Dorf zu lassen. „Ich kann die Kritik nachvollziehen, aber ich würde sie zurückweisen“, sagt Inhaber Felix Schulz. „Es ist ja nicht so, als wären die knallvoll und außerdem ist zeitlich absehbar, dass die nicht ewig stehen.“ Denn spätestens, wenn das E-Rezept kommt, sei das Thema erledigt. „Das ist nur eine Übergangsphase, da muss sich keiner Sorgen machen.“ Außerdem zeige die bisherige Erfahrung mit den Kästen, die er zweimal täglich leeren lässt, dass sie hauptsächlich von Anwohnern genutzt würden, die ohnehin schon Kunden der Apotheke sind. „Ich glaube nicht, dass es da innerhalb der örtlichen Apotheken zu einer Verschiebung kommt“, sagt Schulz. „Mir geht es ja nicht darum, die örtliche Konkurrenz auszustechen, sondern als Vor-Ort-Apotheke attraktiver gegenüber dem Versandhandel zu sein.“ Das sieht Weber genauso: „Es ist doch besser, die werfen ihr Rezept hier in unseren Kasten als in einen Brief nach Venlo“, sagt er.
Schulz war zwar der Erste, der in seiner Gegend begonnen hat, Rezeptkästen aufzustellen – er sieht das allerdings als Prophylaxe. „Als ich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gesehen habe, war mir sofort klar, dass da irgendjemand was macht. Also habe ich mich an meinen Rechtsanwalt gewandt, um sicherzugehen, dass das alles rechtens ist.“ Auch an der Facebook-Werbeaktion sei nichts zu beanstanden, wendet Weber ein. „Das war alles mit dem Verband abgeklärt und hat sehr gute Reaktionen erhalten. Wir haben hunderte Zusendungen gekriegt. Sowas können die Kollegen doch auch machen. Es gibt da ein Wort, das man ‚tun‘ schreibt.“
Und jenseits der juristischen Bewertung? Die Kritik an der Außenwirkung weisen beide Inhaber unisono zurück. „Im Gegenteil: alle Maßnahme, die wir in Richtung Kundenzufriedenheit treffen, tragen dazu bei, die Branche zukunftsfest zu machen“, sagt Schulz. „Solche Kritik prallt komplett an mir ab. Ich mache hier so viele Sachen für die Leute, die viele andere Apotheken nicht machen. Ich lehne keine Rezeptur ab, mische sogar Tees auf Anfrage, auch in kleineren Mengen. Wer sich so äußert, hat schlicht die Zeichen der Zeit nicht erkannt“, stimmt Weber ein. „Wir sitzen als Branche in einem Boot. Die Leute, die diesen Heilberufsethos hochhalten, aber nicht gleichzeitig wirtschaftlich denken, die gibt es bald auch nicht mehr.“