Rezepturherstellung

Plausibilitätsprüfung vor Gericht Alexander Müller, 28.06.2016 10:29 Uhr

Berlin - 

Die Politik erwägt zwar eine Erhöhung der Vergütung für Rezepturen, wirtschaftlich lohnend wird deren Anfertigung aber vermutlich auch künftig nicht. Das gilt umso mehr, seit die Apotheker jede Rezeptur auf ihre Plausibilität prüfen müssen. Besonders bitter wird es, wenn der Kunde die Annahme – und Bezahlung – der veränderten Rezeptur anschließend verweigert. Der Grundsatzstreit zwischen einer Apotheke und einer Kundin über Rechte und Pflichten bei der Plausibilitätsprüfung geht jetzt vor Gericht.

Der Streit geht zurück auf ein Privatrezept aus dem Februar 2015. Eine Frauenärztin hatte ihrer Patientin eine Rezeptur mit 10 Prozent Progesteron verschrieben. Bei der Plausibilitätsprüfung in der Münchener Apotheke fiel diese Rezeptur als pharmazeutisch bedenklich durch. Nach Rücksprache mit der Ärztin wurde die Rezeptur angepasst, so dass sie nur noch 5 Prozent des Wirkstoffs enthielt.

Die Ärztin hatte der Änderung zwar laut Apotheke nach Rücksprache explizit zugestimmt, die Kundin jedoch wollte die Rezeptur in dieser Form nicht abnehmen und verweigerte trotz mehrfacher Aufforderung der Apotheke auch die Bezahlung. Sogar die behandelnde Ärztin wurde als Vermittlerin eingeschaltet: Sie wurde von der Apothekerin gebeten, die Rezeptur selbst an die Patientin abzugeben und diese zur Zahlung des Betrages von 84 Euro anzuhalten.

Doch die Patientin – selbst Rechtsanwältin von Beruf – lehnte dies ab. Die Apotheke habe das Rezept eigenmächtig ohne Rücksprache mit ihr geändert und in anderer Zusammensetzung als beauftragt angefertigt, argumentierte sie. Es sei nicht Aufgabe der Apotheke, die Rezeptur zu hinterfragen und ohne Rücksprache zu ändern.

Aus Sicht der Kundin gab es für eine Anpassung ohnehin keinen Grund: Die Ärztin habe bei der Verordnung keine Bedenken gehabt, auch hätten andere Apotheken die Rezeptur seit mehr als zehn Jahren „widerspruchslos“ hergestellt. Sie habe sich die ursprüngliche Rezeptur inzwischen in einer anderen Apotheke besorgt. Zur Schadensminderung hätte die Apotheke die Rezeptur aus ihrer Sicht anderweitig verkaufen können. Die Rechtsanwältin sieht den zweiseitigen Vertrag seitens der Apotheke als nicht erfüllt an und verweigerte weiter die Bezahlung.

Die Münchener Apotheke wollte sich so nicht abspeisen lassen. Im August stellte sie den Fall beim Bayerischen Apothekerverband (BAV) vor. Dieser bestätigte gern, dass die Apotheke zur Plausibilitätsprüfung bei jeder Rezeptur verpflichtet sei. Bei pharmazeutischen Bedenken dürfe das Rezept nicht beliefert werden.

BAV-Justiziar Klaus Laskowski stellte klar, dass es bei der Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht auf den Willen der Kundin ankomme, sondern auf den der Ärztin. Dies sei das Wesen der Verschreibungspflicht. Eine rein zivilrechtliche Betrachtung von Angebot und Annahme lasse arzneimittelrechtliche Besoderheiten außer Acht. Für den Abschluss eines Kaufvertrages sei nur entscheidend, dass die Apotheke überhaupt beauftragt werde. Die genaue Ausgestaltung unterliege dem fachlichen Sachverstand des Arztes und dem pharmazeutischen Sachverstand des Apothekers. Das dürfe als Kundenwille unterstellt werden, so Laskowski. Zum Schluss wies der Jurist noch darauf hin, dass die individuell hergestellte Rezeptur natürlich natürlich nicht anderweitig verkauft werden könne.

Die Kundin bestritt grundsätzlich, dass ihre Ärztin der Änderung der Rezeptur zugestimmt habe. Diese habe die Rezeptur sogar nach diesem Vorfall wieder mit 10 Prozent Wirkstoff verordnet. Die Progesteronsalbe werde zudem seit Jahren so für sie hergestellt, „irgendwelche Bedenken“ könne es also nicht geben. Es habe auch weder Anlass noch Grund für eine Überprüfung der Rezeptur gegeben, findet die Kundin. Im März dieses Jahres kündigte sie erneut an, die „nicht rezeptgemäß hergestellte Salbe“ nicht abzunehmen.

Die Apotheke hatte zwischenzeitlich einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Dieser wies die Kundin darauf hin, dass die Anweisung zur Änderung der Rezeptur entsprechend den apothekenrechtlichen Vorschriften dokumentiert worden sei. Es lägen auch objektiv begründete Bedenken gegen die Verordnung vor. Sollte die Kundin weiterhin die Zahlung verweigern, werde man die Sache Mitte April den Gerichten übergeben.

Dies ist zwischenzeitlich geschehen, morgen wird sich das Amtsgericht München mit dem Fall befassen. Die Ärztin ist als Zeugin geladen. Viel dürfte davon abhängen, ob sie bestätigt, dass die Änderung der Rezeptur mit ihr abgestimmt war. Die Apotheke verwehrt sich gegen den Vorwurf der Urkundenfälschung. Die Änderung der Rezeptur sei mit der Ärztin abgesprochen und von dieser bestätigt worden. Die Apotheke sei zudem durchaus berechtigt, Vermerke auf dem Rezept anzubringen. Die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) verpflichte die Apotheke auch nicht, die Kunden über eine Änderung der Rezeptur zu unterrichten.

Im Verfahren geht es um den Grundsatz der Plausibilitätsprüfung. Diese in ist § 7 ApBetrO geregelt. Dort heißt es: „Die Anforderung über die Herstellung eines Rezepturarzneimittels ist von einem Apotheker nach pharmazeutischen Gesichtspunkten zu beurteilen.“ Die Plausibilitätsprüfung muss demnach Dosierung, Applikationsart, Art, Menge und Kompatibilität der Ausgangsstoffe untereinander sowie die Haltbarkeit des Rezepturarzneimittels berücksichtigen. Im März 2014 hatte die länderübergreifende Arbeitsgruppe Arzneimittel-, Apotheken-, Transfusions- und Betäubungsmittelwesen (AATB) die Empfehlungen zur Plausibilitätsprüfung konkretisiert und 17 Fragen beantwortet.

Die Seite der Apothekerin trägt vor, dass aus der von der Kundin behauptete langfristigen Verschreibung nicht auf eine Plausibilität der Verordnung geschlossen werden könne. Gleiches gelte für die vermeintliche Herstellung von anderen Apotheken. Nach Aussage der Kundin stellt eine andere Apotheke die 10-prozentige Salbe sogar serienmäßig her und gibt sie ohne Wartezeit sofort ab. Der Inhaber könnte auch noch als Zeuge geladen werden.

Aus Sicht der klagenden Apothekerin ist das unerheblich. Jede Apotheke habe die Abgabe im Rahmen ihrer Plausibilitätsprüfung selbst zu verantworten. Sie hafte jedenfalls selbst für jede Rezeptur. Sie weist das Gericht darauf hin, dass zugelassene Fertigarzneimittel nie mehr als 1 Prozent Progesteron enthalten.