Apotheken dürfen individuell hergestellte Zubereitungen auch im Rahmen des Sprechstundenbedarfs abgeben, Abnehmer im arzneimittelrechtlichen Sinne sind dann die Ärztin beziehungsweise der Arzt. Das hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein (OVG) in einem seit Jahren schwelenden Rechtsstreit entschieden und in diesem Zusammenhang die Beschränkung auf 100 Einheiten relativiert. Die Sache geht jetzt vor das Bundesverwaltungsgericht.
Thomas Steffens, Inhaber der Kronen-Apotheke am Dreiecksplatz in Kiel, stellte über viele Jahre hinweg eine 10-prozentige Fluorescein-Injektionslösung für die Fluoreszenzangiografie her. Die Spritzen gab er an die Uniklinik in Kiel sowie später auch an weitere Einrichtungen ab, die ihm dazu jeweils Rezepte über jeweils 2 x 64 Stück als Sprechstundenbedarf übermittelten. Doch im Januar 2014 untersagte ihm das Landesamt als Aufsichtsbehörde dieses Vorgehen, parallel wurde ihm die Zubereitung verschiedener Darmspülpulver verboten.
Rezepturen dürfen laut § 1a Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) nur im Einzelfall auf Grund einer Verschreibung hergestellt werden; zur Kennzeichnung muss laut § 14 der Name des Patienten vorliegen. Die Defekturherstellung wiederum erfordert eine nachweislich häufig ärztliche Verschreibung und ist auf 100 abgabefertige Packungen pro Tag beschränkt.
Nachdem das Verwaltungsgericht (VG) im März 2017 noch die Auffassung der Behörde geteilt hatte, entschied das OVG jetzt zugunsten des Apothekers.
Ein Praxisbedarfsrezept erfülle die Voraussetzungen nach ApBetrO: Anwender sei im Fall von Sprechstundenbedarf nicht der Patient, sondern die anfordernden Ärztin oder der anfordernden Arzt – das gelte entsprechend für die Kennzeichnung. „Ein Grund, weshalb der Verordnungsgeber es in der Apothekenbetriebsordnung ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Praxisbedarfs anders regeln wollte, ist nicht erkennbar, sodass von einem redaktionellen Versehen auszugehen ist.“
Zwar würden für den Praxisbedarf womöglich größere Mengen hergestellt als für eine einzelne Patientin oder einen einzelnen Patienten. Aber die Grenze zur apothekenüblichen Herstellung sei erst bei einer Herstellung überschritten, die „nicht (mehr) durch eine handwerkliche, sondern standardisierte oder maschinelle Herstellung gekennzeichnet ist“.
Die Frage, ob die konkret genutzte Herstellungstechnik zur Befüllung der 64 Einmalglasfertigspritzen auf den Spritzentrays durch entsprechende Apparaturen eine industrielle Herstellung darstellt, ließen die Richter genauso offen wie die für die Einordnung als Defektur relevante Frage, ob als „abgabefertige Packung“ die einzelne Spritze oder das gesamte Bundle mit 64 Stück anzusehen ist. Denn mit dem Bescheid seien Herstellung und Inverkehrbringen für verschiedene Patienten vollumfänglich untersagt worden, was jedenfalls rechtswidrig sei. „Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die Herstellungsmenge auf den noch zulässigen Umfang zu kürzen.“
Im Fall der Darmspülpulver wurden die Richter dann doch noch konkreter: Die Beschränkung auf 100 abgabefertige Packungseinheiten sei nicht gleichzusetzen mit einer Beschränkung auf Packungseinheiten für bis zu 100 Patientinnen oder Patienten. „Eine Packung ist die Menge, die an den Verbraucher, was auch eine Ärztin oder einen Arzt einschließt, abgegeben werden soll; sie ist nicht auf eine Patientin oder einen Patienten beschränkt.
Wenn also 108 Beutel herstellt und verpackt und an die Ärztin oder den Arzt für den Praxisbedarf abgegeben würden, entspreche diese Menge einer Packung, so die Richter unter Verweis auf den allgemeinen Sprachgebrauch. „Diese am Wortlaut ausgerichtete Auslegung decke sich auch mit dem Normzweck: „Bei Defekturen handelt es sich um ‚verlängerte Rezepturen‘, bei denen aufgrund der in der Vergangenheit regelmäßig vorgelegten Verschreibungen prognostiziert wird, dass auch künftig mit Verschreibungen zu rechnen ist. Insofern bestimmen die vorherigen Verschreibungen, die überhaupt dazu führen, dass [...] keine Zulassung für diese Arzneimittel erforderlich ist, die Größe der ‚abgabefertigen Packungen‘ oder dieser entsprechenden Menge.“
Insofern sei auch eine Beschränkung auf 100 Patientenportionen nicht geboten, zumal „weder zu erwarten noch arzneimittelrechtlich zulässig“, dass der Apotheker „nunmehr grenzenlos Arzneimittel herstellen könnte.“ Die Herstellung von großen Mengen an Defekturarzneimitteln sei nur im Rahmen der kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen erlaubt – müsse sich beispielweise stets im apothekenüblichen Umfang bewegen und nicht industrieller Natur sein.
Dass, wie von der Behörde behauptet, die Herstellung von Rezepturarzneimitteln nur erlaubt sei, wenn kein vergleichbares Fertigarzneimittel am Markt verfügbar sei, kann laut Gericht weder arzneimittel- noch apothekenrechtlichen Vorschriften entnommen werden.
Zwar gebe es eine Empfehlung des Europarats, nach der Rezeptur und Defektur nur subsidiär erfolgen sollten, wenn eine Versorgungslücke bestehe – aber eben nur eine Empfehlung, der keinerlei rechtliche Verbindlichkeit zukomme und die auch nicht in nationales Recht überführt worden sei.
Die Behörde hatte noch andere Gründe geltend gemacht, die laut Gericht aber mit dem strittigen Bescheid in keinem Zusammenhang stehen. Weder spielten behauptete Qualitätsmängel für den vorliegenden Fall eine Rolle noch angebliche Absprachen mit Ärzten oder Unklarheiten bei der Abrechnung.
Die Behörde will nun vor das Bundesverwaltungsgericht, laut Steffens geht es auch um Geld. Die Herstellung hat er auf Druck des Landesamts vor Jahren einstellen müssen, für seine Arbeit spielt der Ausgang des Verfahrens also keine Rolle mehr. Mittlerweile 81 Jahre alt, hat er die Apotheke ohnehin gerade an seine Tochter übergeben. Im Hintergrund mischt er aber weiter mit und freut sich vor allem über Augentropfen gegen Keratokonus, die er als Medizinprodukt erfolgreich weltweit vertreibt. Vor dem Ausgang des Verfahrens ist ihm nach zahlreichen Prozessen in seinem Berufsleben nicht bange. „Ich überleb sie alle.“
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