Der Rabattvertrag ist unantastbar Alexander Müller, 04.12.2015 12:36 Uhr
Gibt es zu einem Originalpräparat einen Rabattvertrag, wird die Importpflicht ausgestochen. Bei den Ersatzkassen gilt das sogar bei gesetztem Aut-idem-Kreuz. Fehlt der Substitutionsausschluss auf dem Rezept, ist der Apotheker auf jeden Fall zum Austausch gezwungen. Das Sozialgericht Nürnberg (SG) hat die entsprechende Retaxation einer Kasse bestätigt. Demnach hätte der Apotheker das verordnete Importarzneimittel sogar austauschen müssen, wenn es billiger als das rabattierte Original gewesen wäre.
Der Rheumatologe hatte Remicade (Infliximab) als Import verordnet. Drei Trockenampullen mit 100 mg Wirkstoff kosteten rund 2750 Euro. Das Aut-idem-Kreuz war nicht gesetzt. Obwohl in der Software ein Rabattvertrag mit dem Originalhersteller MSD Sharp & Dohme hinterlegt war, gab der Apotheker aus Bayern den verordneten Import ab.
Die Rezeptprüffirma Syntela retaxierte im August 2012 im Auftrag einer Betriebskrankenkasse 35 Prozent des Wertes, also rund 960 Euro. Der Apotheker legte zunächst erfolglos Widerspruch ein und klagte im Februar 2013 schließlich gegen die Absetzung.
Das SG wies die Klage ab. Der Apotheker habe seine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht nicht erfüllt, sondern das Substitutionsgebot für aut-idem verordnete Rabattarzneimittel missachtet, heißt es in der Begründung des Urteils aus dem September 2015. Der Rabattvertrag hat den Richtern zufolge immer Vorrang vor den Importregeln. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Der Apotheker hatte auf die Gesetzesbegründung des AMNOG verwiesen. Darin heißt es wörtlich: „Voraussetzung für die Austauschpflicht der Apotheke ist, dass das rabattierte Arzneimittel nach Abzug des Rabatts preisgünstiger ist.“ Er bestritt ausdrücklich, dass das rabattierte Original von MSD günstiger sei als der Import.
Die BKK wies dies zurück: Der Apotheker habe in seiner Software überhaupt nicht sehen können, welchen Preis die Kasse tatsächlich für das Original-Remicade bezahlen müsse. Die BKK sah sich nicht veranlasst, den Preisvorteil zu belegen, die Beweislast liege beim Apotheker. Im Übrigen sei das Rabattarzneimittel tatsächlich günstiger gewesen als der Import, da der Rabattvertrag ansonsten für die Kasse gar keinen Sinn ergebe. Letztlich komme es darauf aber auch nicht an: Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits entschieden, dass sich Apotheker zwingend an die Rabattverträge halten müssten.
Das sah auch das SG so. Das Sozialgesetzbuch (SGB V) verpflichte den Apotheker „eindeutig und ohne Einschränkung“ zur vorrangigen Abgabe eines Rabattarzneimittels, vor der Abgabe eines Importarzneimittels. Das Gesetz spreche sogar wörtlich von „Vorrang“. „Damit hat der Gesetzgeber den uneingeschränkten Vorrang des Rabattarzneimittels gegenüber dem Importarzneimittel ausdrücklich normiert“, heißt es im Urteil.
Auf den tatsächlichen Preis kommt es laut SG dabei nicht an: Die Passage aus der Gesetzesbegründung zum Preisunterschied stehe nicht im Gesetz selbst. „Somit hat das Kriterium, welches Arzneimittel preisgünstiger ist, im Gesetzestext […] keinen Niederschlag gefunden“, so die Richter.
Eine Wahlmöglichkeit des Apothekers, im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung das jeweils günstigere Arzneimittel abzugeben, sei ausgeschlossen. Der Apotheker sei übrigens schon aus praktischen Gründen gar nicht in der Lage, einen Preisvergleich anzustellen, da er die Rabatte des Herstellers nicht kenne.
Auch ein Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) rettete den Apotheker nicht. Das Ministerium hatte im Juli 2011 an den GKV-Spitzenverband und den Deutschen Apothekerverband (DAV) geschrieben: „Hat eine Krankenkasse für ein patentgeschütztes Bezugsarzneimittel eine Rabattvereinbarung getroffen und ist der sich daraus ergebende Zahlbetrag der Krankenkassen höher als der Schwellenwert für die Preisgünstigkeit von Importen zu marktüblichen Preisen, gilt auch nach dem Inkrafttreten des AMNOG, dass die Krankenkasse die Apotheken nicht zur Abgabe des unwirtschaftlichen Bezugsarzneimittels durch Hinterlegung eines Rabatt-Kennzeichens verpflichten darf. Dies gilt unabhängig vom Inhalt dieses Rabattvertrags zwischen der Krankenkasse und dem pharmazeutischen Unternehmen.“
Das Schreiben erläutere die Rechtsauffassung des BMG, leiste jedoch keinen Beitrag zum maßgeblichen § 129 SGB V, so die Richter. Auch die Kasse hatte darauf hingewiesen, das Schreiben sei nur eine interne Klarstellung, unter welchen Umständen ein Rabattkennzeichen gemeldet werden dürfe. Kohlpharma hatte vor einigen Jahren erfolglos versucht, mit Klagen gegen die AOK und Lilly entsprechende Einträge in der EDV zu verhindern.
Die Kasse verbat sich in diesem Zusammenhang auch, dass der Apotheker die Meldung der Rabattverträge in der Software unter „Generalverdacht“ der Unwirtschaftlichkeit stelle. Denn das würde die Rabattverträge aus Sicht der Kasse auf den Kopf stellen: „Wäre dies möglich, müssten die Kassen die Inhalte der Rabattverträge regelmäßig offenlegen, dann wäre das Substitutionsgebot nicht mehr praktikabel, weil es stets sein könnte, dass ein anderes (Import-)Arzneimittel vielleicht gerade günstiger gewesen wäre“, trug die BKK vor.
Die freihändige Kürzung der BKK war aus Sicht der Richter ebenfalls unproblematisch. Die Kasse hätte aufgrund der BSG-Rechtsprechung schließlich auch auf Null retaxieren können. Daher sei eine Kürzung um 35 Prozent erst recht nicht zu beanstanden.