Lieferengpass bei Defektbelegen Alexander Müller, 13.12.2016 15:11 Uhr
Für Apotheken im Bezirk der AOK Rheinland/Hamburg verursachen Lieferengpässe einen besonders großen Aufwand. Denn die Kasse verlangt Defektnachweise von zwei Großhändlern oder dem Hersteller selbst. Dass das gar nicht so leicht ist, muss aktuell ein Apotheker aus Duisburg erfahren. Bislang wollte ihm niemand den Engpass bestätigen. Auch ein Schreiben an den betroffenen Hersteller Pharm-Allergan (vormals Aptalis) und den Vorstandsvorsitzenden der AOK Rheinland/Hamburg, Günter Wältermann, half ihm nicht.
Mitte Oktober wurde in der Hubertus-Apotheke von Dr. Christoph Herrmann ein Rezept über ein Pankreasenzym-haltiges Medikament vorgelegt. Aufgrund eines Rabattvertrags der AOK hätte der Apotheker Panzytrat 40.000, 200 Stück, von Pharm-Allergan abgeben müssen. Doch über seinen Großhändler Noweda war das Präparat nicht zu bekommen, ein befreundeter Kollege hatte bei seinem Lieferanten ebenfalls kein Glück. Seit Monaten gab es bei den verschiedenen Herstellern Lieferprobleme.
Weil der AOK ein Defektbeleg nicht ausreicht, versuchte Herrmann es direkt beim Hersteller. Nach seiner Schilderung wurde ihm die Erstellung eines solchen Beleges zugesagt. Die Mitarbeiterin des Herstellers habe zudem mündlich bestätigt, dass das Produkt tatsächlich nicht lieferfähig gewesen sei und es schon eine ähnliche Anfrage zu einem Beleg gegeben habe.
Doch weiter geschah nichts. Bei seinem zweiten Anruf Anfang November wurde der Apotheker etwas energischer und erhielt die Telefonnummer eines für das Produkt zuständigen Mitarbeiters, der allerdings an diesem Tag nicht erreichbar war. Der versprochene Rückruf sei allerdings nie erfolgt. Da eine Woche später auch noch keine Defektbestätigung da, rief der Apotheker den benannten Mitarbeiter Mitte November erneut an. Dieser sei mit der Problematik vertraut gewesen und habe die Zusendung einer entsprechenden Bestätigung zugesagt. Nur gekommen ist diese immer noch nicht. Die Namen der Mitarbeiter und die Uhrzeit der Telefonate hat Herrmann protokolliert.
Den Sachverhalt hat der Apotheker in seinem Brief auch Enzo Cangiolini, Geschäftsführer von Pharm-Allergan in Frankfurt, und AOK-Chef Wältermann geschildert. Sein Fazit: „In meiner Apotheke wurde zuerst erhebliche Arbeitszeit auf die Besorgung des Produktes verwendet (Telefonat mit dem Großhändler, Kontaktierung verschiedener Kollegen). Danach habe ich nun bereits mindestens eine Arbeitsstunde in die Erlangung des Nicht-Lieferbarkeits-Nachweises investiert (die Erstellung dieses Briefes, ohne den ich einen entsprechenden Nachweis offensichtlich nicht erhalten werde, nicht eingerechnet). Trotzdem kann ich das Ersatz-Produkt nicht rechtssicher abrechnen, da die AOK Rheinland/Hamburg mit der (moralisch recht fragwürdigen) Vollabsetzung droht.“
Er bittet deshalb ganz direkt um die Erstellung eines Nicht-Lieferbarkeitsnachweises seitens des Herstellers oder eine rechtsverbindliche Bestätigung von die AOK, dass ein solcher Nachweis nicht nötig ist. „Außerdem, sehr geehrter Herr Wältermann, wäre es mittelfristig sicherlich sehr bedenkenswert, dieses Apotheker-Folterinstrument wieder abzuschaffen“, so Herrmann. Um der Abgelengeheit Nachdruck zu verleihen, hat er den Brief in Kopie auch an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geschickt.
Den Brief hat er am 24. November abgeschickt, am vergangenen Freitag erneut per Fax und Mail. Immerhin der Hersteller hat sich zwischenzeitlich gemeldet. Angeblich sei ein Schreiben an die Apotheke verschickt worden, ein weiteres an die Filiale. Der Hersteller will den Engpass jetzt bestätigen. Für den Apotheker ist es jetzt vermutlich zu spät: Die Abrechnungsfrist für das Rezept aus Oktober ist mit Schließung der Monatsabrechnung November bei den Rechenzentren jetzt abgelaufen.
Bei Pharm-Allergan heißt es auf Nachfrage, dass es aktuell keine Engpässe bei Panzytrat 40.000 in der Einheit mit 200 Stück gebe. Die Ware werde allerdings kontingentiert ausgeliefert. Dabei achte der Hersteller auch darauf, dass alle Niederlassungen der Großhändler bedacht würden und nicht alles an einen Standort geliefert werde. Wenn ein Präparat einmal tatsächlich ausfalle, stelle man selbstverständlich auch einen Defektbeleg aus, heißt es aus Frankfurt.
Die AOK Rheinland/Hamburg hatte zuvor angekündigt, ab September fehlende Nachweise zu retaxieren, trotz gesetzter Sonder-PZN. Zur Warnung wurden Ende August bereits „Schattenretaxierungen“ für das vierte Quartal 2015 an die Apotheken verschickt. Die Kasse hat diesen Begriff selbst geprägt, weil diese Retaxationen nicht umgesetzt werden sollen. In den kommenden Tagen steht laut einer AOK-Sprecherin ein Gespräch mit dem Apothekerverband Nordrhein an (AVNR).
Bei der AOK Rheinland/Hamburg geht man bislang davon aus, dass die Hersteller selbstverständlich bereit seien, schriftlich eine Lieferunfähigkeit zu bestätigen. Weil das in der Praxis nicht immer der Fall ist, hat schon vor Herrmann ein Apotheker seinen Fall öffentlich gemacht: Als der Generikahersteller Aurobindo seinen längeren Engpass bei Quetiapin nicht bestätigen wollte, schrieb der Apotheker persönlich an Wältermann. Eine Kopie des Briefes schickte er an den Hersteller sowie NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Bündnis 90/Die Grünen) und den Chef des Apothekerverbands Nordrhein, Thomas Preis. Daraufhin kam der Defektbeleg.