Retaxationen

Barmer: Taxe statt Verstand

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Berlin -

Die Barmer GEK und ihre Rezeptprüfstelle GfS haben eine neue Retax-Masche entdeckt: Wenn Arzneimittel abgegeben werden, die in Arzt- und Apothekensoftware unterschiedlich gekennzeichnet sind, kreist die Axt. Da hilft auch gesunder Menschenverstand nicht weiter.

Die Barmer GEK retaxiert seit einiger Zeit bundesweit Apotheken wegen der Belieferung von Rezepten, auf denen Xeomin (Botulinumtoxin) verordnet war. Das Präparat von Merz ist in zwei Dosierungen erhältlich: Dem 2005 eingeführten Original mit 100 Einheiten wurde Anfang 2012 eine Variante zur Seite gestellt, die halb soviel Wirkstoff enthält.

Die niedrig dosierte Variante wurde unter dem Namen „Xeomin 50 LD50“ in Verkehr gebracht. Die ursprüngliche Version hieß aber weiter nur Xeomin – ohne Zusatz. Erst im April 2013 fügte der Hersteller die Dosierung hinzu: „Xeomin 100 LD50“. In der Arztsoftware wurde die Änderung allerdings erst zum 1. Juli dieses Jahres umgesetzt.

Die GfS beanstandet Rezepte, auf denen auf der Grundlage der alten EDV-Einträge nur „Xeomin“ verordnet war. Bei einer Apothekerin aus Sachsen war das Präparat im Herbst vergangenen Jahres in beiden Wirkstärken auf ein- und demselben Rezept verordnet. Unklare Verordnung, befand GfS trotzdem: Es liege „keine Übereinstimmung der abgegebenen Arzneimittel mit der Verordnung“ vor.

Laut Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) müssen die abgegebenen Arzneimittel den Verschreibungen und den damit verbundenen Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB V) zur Arzneimittelversorgung entsprechen. „Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist.“

Die Apothekerin verwies darauf, dass zwei unterschiedliche Produkte verordnet gewesen seien und dass die Verordnung schon deswegen ausreichend plausibel gewesen sei. Außerdem bot sie Kopien der Einträge in Arzt-EDV und Roter Liste an und machte darauf aufmerksam, dass selbst in der Apothekensoftware von ADG das Präparat bis zum 30. Juni unter der alten Bezeichnung geführt wurde.

Die Kasse und ihre Retaxfirma ließen sich nicht beeindrucken: Die Abgabe von Arzneimitteln erfolge nach den Regelungen des Rahmenvertrags, der Arzneiliefervertrags und des Arzneiversorgungsvertrags. Als Datenbasis sei demnach alleine die Große Deutsche Spezialitätentaxe heranzuziehen – und gemäß der Darstellung könne bei einer Verordnung über „Xeomin“ keine eindeutige Stärkenzuweisung erfolgen. Entsprechend hätte die Apotheke die Eindeutigkeit durch Rücksprache mit dem Arzt konkretisieren müssen. „Dies ist zum Zeitpunkt der Abgabe nicht dokumentiert worden.“

„Die Apotheke hat somit die Regelungen zur Abgabe von Arzneimitteln nicht beachtet, was grundsätzlich eine Vollabsetzung zur Folge hätte“, so GfS weiter. „Entgegenkommend“ habe man lediglich ein Kürzung auf die günstigere Packung vorgenommen. „Sofern Ihre Darstellung der von Ihnen genutzten Software ursächlich für die fehlerhafte Angabe sein sollte, steht es Ihnen frei, sich an den Softwarehersteller zu wenden.“

Der Hersteller Merz gab gegenüber der Apothekerin zu Protokoll, dass in der Arztsoftware zwar nur „Xeomin“ ausgegeben worden sei; in der Spalte weiter rechts sei aber die Wirkstärke angegeben worden. Der Arzt entscheide sich daher bewusst für eins der beiden Präparate, zumal eine weitere Differenzierung dadurch möglich sei, dass nur die höhere Dosierung in unterschiedlichen Packungsgrößen verfügbar sei.

Grundlage für die Arztsoftwaresysteme sei die Arzneimitteldatenbank der Compugroup-Tochter Ifap, die ihrerseits Daten von der IFA beziehe. Für die Apotheken-EDV würden zwar über die ABDATA ebenfalls Daten der IFA genutzt; diese würden jedoch in Eschborn einem internen Clearing unterzogen, sodass in der Offizin auch in der Vergangenheit der korrekte Name dargestellt worden sei.

Ganz eindeutig zu sein scheint die Sache nicht. Laut Sozialgesetzbuch (SGB-V) sind die Hersteller lediglich verpflichtet, die erforderlichen Preis- und Produktangaben an die Apothekerverbände zu liefern. Der Ersatzkassenvertrag bezieht sich an einer Stelle auf dieses nicht näher beschriebene Preis- und Produktverzeichnis. Im Rahmenvertrag wird zwar die Spezialitätentaxe genannt, allerdings nur im Zusammenhang mit der Austauschbarkeit und Preisbildung von Arzneimitteln.

Laut Arzneiverordnungsreport wurde Xeomin zuletzt 22.000 Mal auf Kassenrezept verordnet. Die Nettoausgaben der Kassen lagen bei 12 Millionen Euro. Neben dem Original gibt es Reimporte, die teilweise deutlich preiswerter sind.

Das Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung ist zugelassen zur symptomatischen Behandlung von Blepharospasmus und einer zervikalen Dystonie mit überwiegend rotatorischer Komponente (Torticollis spasmodicus) sowie seit 2009 zur Behandlung der Spastik der oberen Extremitäten mit Handgelenkbeugung und gefausteter Hand bei Erwachsenen.

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