Eine vergessene Arztunterschrift führt normalerweise ohne Umwege zur Nullretaxation. Doch ein Ergotherapeut hatte sich vor Jahren gegen eine entsprechende Vollabsetzung gewehrt. Und die AOK Niedersachsen hat tatsächlich eingelenkt und im Verfahren ein Anerkenntnis abgegeben. Einem Sprecher zufolge ist die Kasse insgesamt kulant bei Formfehlern – nur bei T-Rezepten ist man auch in Hannover streng.
Der Therapeut hatte eine vom Arzt unterschriebene Kopie des Rezeptes vorgelegt, da er die zehn Behandlungen nachweislich erbracht hatte. Seine Klage stützte er auf das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Demnach konnte der Arzt seine Unterschrift nachholen und damit das Rechtsgeschäft nachträglich bestätigen. Denn auch das Sozialgesetzbuch (SGB V) sehe eine Geltung der BGB-Vorschriften ausdrücklich vor. Die AOK erkannte seine Forderung schließlich „dem Grunde nach“ an.
Lässt die Kasse eine fehlende Arztunterschrift jetzt immer nachholen? „Es ist für die AOK Niedersachsen gelebte Praxis, dass wir Formfehler mit Augenmaß und ausschließlich im Interesse der Patientensicherheit behandeln“, so ein Sprecher. So sei ein fehlender Arztvorname oder eine fehlende Telefonnummer des Arztes im Arztstempel von vornherein kein Anlass für eine Absetzung. „In anderen Fallkonstellationen lassen wir auch eine nachträgliche Heilung durch den verordnenden Arzt zu“, so der Sprecher.
Eine Retaxierung aufgrund einer fehlenden Arztunterschrift kommt in der Praxis allerdings extrem selten vor. „In aller Regel fällt ein solches Versehen des Arztes – beziehungsweise der Praxis – direkt in der Apotheke auf, diese ungültigen Rezepte gelangen somit gar nicht erst in die Abrechnung“, so der Sprecher. Die AOK habe aktuell landesweit keinen einzigen Fall, in dem ein Rezept nur aufgrund einer fehlenden Unterschrift beanstandet werden muss.
Nur in einem Fall lässt auch die AOK Niedersachsen nicht mit sich reden: Wenn durch fehlende Angaben auf dem Rezept die Sicherheit des Patienten gefährdet ist. Der Sprecher nannte als Beispiel Formfehler auf den speziellen T-Rezepten für die Verordnung der teratogenen Wirkstoffe Thalidomid, Lenalidomid und Pomalidomid. „Hier müssen wir im Sinne der Patientensicherheit auf eine besonders intensive Kontrolle in der Apotheke bauen. In diesem sensiblen Bereich können wir auch keine nachträgliche Heilung akzeptieren.“
Allerdings haben sich Apotheker auch gegen solche Retaxationen schon erfolgreich gewehrt: Das Sozialgericht Braunschweig etwa hat eine Nullretaxation der DAK Gesundheit in Höhe von knapp 7000 Euro aufgehoben. Anders als für die DAK war für das Gericht erkennbar, dass der Versicherte keinem Risiko ausgesetzt war. Der Patient hatte das Arzneimittel noch während der ärztlichen Behandlung erhalten und war auch schon in der Zeit davor mit Revlimid versorgt worden. Das Gericht bezeichnete das Vorgehen der DAK sogar als „rechtsmissbräuchlich“. Die Kasse ist in Berufung gegangen.
Bislang haben sich in vergleichbaren Fällen vor Gericht meist die Krankenkassen durchgesetzt. Allein die DAK hat mehrere Verfahren zu Null-Retaxationen bei T-Rezepten gewonnen. Doch es geht auch anders: Die AOK Bayern hat einen Richterspruch des Sozialgerichts München akzeptiert und zahlte einem Apotheker die strittige Summe zurück.
Derzeit verhandeln der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband vor der Schiedsstelle neue Regeln zum Umgang mit Formfehlern. Die bisherigen Treffen haben kein Ergebnis gebracht, doch im April will der unabhängige Vorsitzende Dr. Rainer Hess einen Vorschlag für einen Schiedsspruch präsentieren.
Der AOK-Bundesverband hatte sich in seiner Stellungnahme zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) gegen den Retaxkatalog ausgesprochen. Regionalen Lösungen sollte grundsätzlich der Vorzug gegeben werden, „denn hier erarbeiten die regionalen Vertragspartner vor dem Hintergrund ihres bestehenden detaillierten Regelwerks gemeinsame Lösungen“.
Auf Landesebene, etwa in Hamburg oder Nordrhein-Westfalen, gibt es bereits Regelungen, die Nullretaxationen bei Formfehlern ausschließen. Auch die AOK Plus und die AOK Nordost haben bereits entsprechende Modelle. Die AOK Niedersachsen hatte vor einem Jahr rund 30 „AOK-Berater“ in Arztpraxen und Apotheken geschickt, um die Rabattquoten zu besprechen.
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