Retax trotz pharmazeutischer Bedenken Alexander Müller, 06.07.2015 15:26 Uhr
Die „pharmazeutischen Bedenken“ sind die letzte Bastion der Apotheker gegen die Rabattverträge. Wenn zum Beispiel ein Patient das Rabattarzneimittel nicht verträgt, darf der Apotheker den Austausch ablehnen und seine Bedenken auf dem Rezept vermerken. Aktuell retaxieren die DAK-Gesundheit und die AOK Baden-Württemberg Apotheken, die ihre pharmazeutischen Bedenken aus Sicht der Kassen nicht ausreichend begründen.
Mit der Sonder-PZN 02567024 dokumentiert der Apotheker auf dem Rezept, dass er den Rabattvertrag wegen pharmazeutischer Bedenken nicht befolgt hat. Diese bestehen etwa, wenn der Therapieerfolg des Patienten trotz zusätzlicher Beratung gefährdet ist. Anders ausgedrückt: Wenn der Patient ein ihm unbekanntes Mittel gar nicht nimmt, ist niemandem geholfen.
Neben den allgemeinen Regeln im Rahmenvertrag gibt es dazu einen Kommentar des Deutschen Apothekerverbands (DAV). Darin heißt es, dass der Apotheker den Grund für die Abweichung vom Rabattvertrag im Einzelfall „stichwortartig zu vermerken“ haben. Als Beispiele werden unter anderem Wirkstoffe mit geringer therapeutischer Breite, Non-Compliance oder problematische Dosierungen genannt.
Vorgaben für die schriftliche Begründung gibt es nicht, allerdings gibt es gängige Formulierungen wie: „Gefährdung des Therapieerfolgs durch Non-Compliance.“ Manche Apotheker haben sich sogar Stempel mit diesem Satz anfertigen lassen und fahren nach eigenen Angaben gut damit.
Aktuell treten jedoch vermehrt Retaxationen auf, bei denen Apotheken ihre pharmazeutischen Bedenken nicht oder nicht ausreichend begründet haben. So hat die DAK Verordnungen über L-Thyroxin retaxiert, bei denen der Apotheker ohne weitere Begründung nur die Sonder-PZN aufgedruckt hatte.
Besonders pikant: L-Thyroxin steht mittlerweile auf der Substitutionsausschlussliste und darf überhaupt nicht mehr ausgetauscht werden – auch nicht bei bestehenden Rabattverträgen. Die retaxierte Abgabe erfolgte aber wenige Monate, bevor die Aut-idem-Liste in Kraft trat.
Gleiches Bild bei Phenprocoumon: Der Wirkstoff soll in der zweiten Tranche auf die Aut-idem-Liste kommen. Wiederum retaxierte die DAK eine Verordnung über Marcumar. Die Erklärung der Kasse lautet: „keine Ausreichende Begründung“ zu den pharmazeutischen Bedenken gemäß Rahmenvertrag. Es handelt sich anscheinend um eine feste Formulierung der Prüfstelle, da derselbe Tippfehler wiederholt auftaucht.
Einem DAK-Sprecher zufolge ist die Angabe einer Begründung auf dem Rezept unbedingt nötig, wenn diese Sonder-PZN verwendet wird. Auch von der AOK Baden-Württemberg sind Fälle bekannt, bei denen Apotheken retaxiert wurden, weil die Begründung fehlte.
Apotheken berichten sogar davon, dass sie trotz Angaben von Gründen retaxiert wurden, wenn diese zu knapp waren. „Compliance-Problem“ als Begründung etwa soll in einem Fall nicht anerkannt worden sein. Von welcher Kasse, ist nicht bekannt. Zum Umfang der Begründung heißt es bei der DAK, diese müsse plausibel sein.
Zu den Betroffenen zählt Apotheker Dietmar Frensemeyer. Er wurde von der DAK gleich mehrfach wegen der Sonder-PZN retaxiert. Er hat Einspruch gegen die Absetzungen eingelegt und sich direkt an DAK-Chef Professor Dr. Herbert Rebscher gewandt: „Apotheker haben eine pharmazeutische Kompetenz, die mit einem Staatsexamen zertifiziert ist. Die DAK ist die einzige Krankenkasse, die diese Kompetenz nicht anerkennt! Der Gesetzgeber hat mit der Apothekenbetriebsordnung dem Apotheker ausdrücklich diese Kompetenz zugeteilt.“
Gerade bei Phenprocoumon und L-Thyroxin gebe es jede Menge wissenschaftliche Literatur, die gegen einen Austausch spreche, so der Apotheker. Rabattverträge über diese Wirkstoffe seien deshalb objektiv sinnlos, der Austausch sei mittlerweile sogar teilweise untersagt.
Frensemeyer hat noch ein anderes Beispiel: Der Arzt hatte ein Antibiotikum für 15 Tage verordnet. Das Rabattvertragsarzneimittel der DAK genügte aber nur für zwölf Tage. „Auch hier verweigert die DAK trotz Sonder-PZN und schriftlicher Begründung die Bezahlung zu 100 Prozent und fordert eine ausführliche (was immer das sein mag) Begründung meiner pharmazeutischen Bedenken“, schreibt der Apotheker an Rebscher. Warum genau die DAK die pharmazeutische Kompetenz der Apothekers nicht anerkenne, will Frensemeyer wissen. Eine Antwort der Kasse steht noch aus.