Wie konnten bei AvP Gelder mutmaßlich beiseite geschafft werden, ohne dass Wirtschaftsprüfer und BaFin es mitbekommen haben? Dies fragen sich derzeit viele Apotheker – und auch, ob ihnen das bei ihrem Rechenzentrum ebenfalls passieren könnte. Rechtsanwalt Peter Haupt aus Moers hat sich Verträge und AGB der großen Abrechner angesehen. Sein Fazit ist erschreckend.
Laut Haupt gibt es drei wesentliche Dienstleistungen der Rechenzentren:
Vor diesem Hintergrund ergeben sich aus seiner Sicht zwei wesentliche Risiken, denen Apotheker derzeit nur teilweise durch die Wahl eines bestimmten Rechenzentrums entgegentreten können.
Beauftragt der Apotheker das Rechenzentrum nicht nur mit der Sortierung, Abrechnung und Einreichung seiner Rezepte, sondern auch mit dem Einzug der sich daraus ergebenden Forderungen, ist bei allen ihm bekannten Anbietern der Einzug auf einem gemeinschaftlichen Fremdgeldkonto vorgesehen. „Dieses Fremdgeldkonto wird nicht nur für einen einzelnen Apotheker geführt, sondern für eine Vielzahl von Apothekern. Daraus ergibt sich, dass der einzelne Apotheker durch die Kontrolle des Kontostandes des Fremdgeldkontos nicht feststellen kann, ob die ihm gehörenden Gelder tatsächlich bei dem von ihm beauftragten Rechenzentrum vorhanden sind oder nicht. Dadurch wird es möglich, dass Gelder veruntreut werden können, ohne dass dies zunächst auffällt.“
Soweit ein solches gemeinschaftliches Fremdgeldkonto zudem dazu verwendet werde, gegenüber Apothekern Vorschüsse auszuzahlen, oder sofern die den Vorschuss finanzierende Bank Guthaben aus dem Fremdgeldkonto als Sicherheit für sich reklamiere, könne der Charakter des Kontos als Fremdgeldkonto infrage gestellt werden. „Dies scheint im Fall der AVP Deutschland GmbH unter anderem der Fall zu sein. Zudem ist es infolge von Vorschussleistungen an Apotheker möglich, dass der jeweilige Kontosaldo dem Fremdgeldsaldo nicht entspricht. Auch das stellt den Charakter des Kontos als Fremdgeldkonto in Frage.“
Aus Haupts Sicht wäre dieses Risiko für alle Rechenzentren leicht zu lösen, indem für jeden Apotheker ein individuelles Fremdgeldkonto geführt oder – im Idealfall – ein dem Apotheker gehörendes Konto vom Rechenzentrum angesteuert werde. „Sofern dieses Konto bei der die Vorschüsse finanzierenden Bank geführt wird, kann dieser auch die notwendige Sicherheit für die Vorschüsse gewährt werden. Ein erhöhter Verwaltungsaufwand dürfte mit Blick auf die mit dem gemeinsamen Fremdgeldkonto einhergehenden Risiken (siehe AVP) durchaus gerechtfertigt sein und hält sich im Rahmen.“
Viele Apotheker verwenden laut Haupt das Rechenzentrum auch zum Factoring ihrer Forderungen. „Dies hat Liquiditätsvorteile und spart Zinsen bei der Bank, führt aber zu erheblichen Risiken“, so seine Einschätzung. Denn wie jedes andere Factoringunternehmen verlangten auch die Rechenzentren, die entsprechende Dienstleistungen anbieten, die (Voraus-)Abtretung der gegenwärtigen und künftigen Forderungen des Apothekers gegen die jeweiligen Krankenkassen. „Sofern – was nach meiner Einschätzung noch nicht feststeht – eine solche Abtretung überhaupt vor tatsächlicher Übergabe der Rezepte rechtlich möglich ist, ergibt sich daraus das Risiko, dass alle durch Rezepteinlösung verdienten Forderungen gegen Krankenkassen bereits dem Rechenzentrum gehören, bevor die entsprechenden Vorschüsse beziehungsweise Kaufpreise für diese Forderungen beim Apotheker eingegangen sind. Im schlimmsten Fall hat der Apotheker dann also Rezeptforderungen abgetreten, ohne die dazu gehörenden Vorschüsse beziehungsweise Kaufpreise vereinnahmt zu haben und im schlimmsten Fall bis zu zwei Monate Umsatzverlust hinzunehmen.“
Aber nicht nur das: Die Inanspruchnahme der Inkassodienstleistung mit Vorfinanzierungsfunktion birgt laut Haupt außerdem das Risiko, dass die an die Rechenzentren übergebenen Rezepte als Sicherheit für bereits ausgereichte Darlehen der die Vorschüsse finanzierenden Banken verwendet werden. „Ist dies der Fall, zieht das Rechenzentrum bei der jeweiligen Krankenkasse trotz Einrichtung eines Fremdgeldkonto keine fremde, dem Apotheker gehörende Forderung mehr ein, sondern eine eigene oder der Bank gehörende Forderung ein. Damit wird der Fremdgeldcharakter des Kontos nach der derzeitigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs infrage gestellt, weil das Konto dann auch für eigene Zwecke verwendet wird. Handelt es sich um ein gemeinschaftliches Fremdgeldkonto, das für mehrere Apotheker geführt wird, schadet bereits der Einzug einer nur von einem Apotheker an das Rechenzentrum abgetretenen Forderung, um den Fremdgeldcharakter des gesamten Kontos zu gefährden.“
Laut Haupt kann sich der Apotheker vor Verlusten im Falle der Inanspruchnahme der Factoring-Dienstleistung nur dadurch schützen, dass er seine Rezepte nur unter dem Vorbehalt der Zahlung des dafür vereinbarten Kaufpreises – oder jedenfalls des unmittelbar zu zahlenden, in der Regel 80 bis 90 Prozent des Nennwerts betragenden Vorschusses – an sein Rechenzentrum verkauft und auf eine Vorausabtretung verzichtet. „Das Rechenzentrum dürfte die Rezepte dann erst an die Krankenkassen weiterreichen und die darin verkörperten Forderungen einziehen, wenn zumindest der größte Teil des Kaufpreises an den Apotheker geflossen ist.“
Sein Fazit lautet daher: „Apotheker, die keine Finanzierungsdienstleistungen durch das Rechenzentrum wünschen oder benötigen, sollten sich einem Rechenzentrum anvertrauen, dass auf Forderungsabtretung verzichtet und den Forderungseinzug im Idealfall auf ein Konto des Apothekers oder mindestens jedoch auf ein individuell für den jeweiligen Apotheker geführtes Fremdgeldkonto veranlasst. Das sollten Apotheker bereits heute von ihrem Rechenzentrum verlangen und keine Ruhe geben, bis diese Lösung angeboten wird.“ Zwischenzeitlich hat die AvP-Pleite laut Haupt zu Initiativen in Richtung Regulierung geführt. „Hier sollte auf ein Verbot des gemeinschaftlichen Fremdgeldkontos für Rechenzentren hingewirkt werden.“
Apotheker, die Finanzierungsdienstleistungen benötigen, sollten dagegen auf eine Ausgestaltung des Vertrags achten, bei der die Inhaberschaft an der in den Rezepten verkörperten Forderung erst dann auf das Rechenzentrum übergeht, wenn zumindest der zunächst vereinbarte Abschlag auf den Kaufpreis für die verkörperten Forderungen beim Apotheker eingegangen ist. „Vorausabtretungen und die vorbehaltlose Übergabe von Rezepten ohne vorherigen Eingang des vereinbarten Kaufpreises beziehungsweise Kaufpreisabschlags sollten tabu sein.“
Laut Haupt wird sich im Zusammenhang mit der AvP-Pleite irgendwann klären, ob Forderungen aus der Einlösung von Rezepten gegen Krankenkassen überhaupt abgetreten werden dürfen. „Dagegen spricht zum einen, dass eine Krankenkasse eine Rezeptforderung nicht mehr einlöst, wenn das Rezept untergegangen ist (also verloren oder sonst wie zerstört wurde). Das spricht dafür, dass es sich um ein Wertpapier handelt, bei dem die Forderung im Papier verkörpert ist. Solche Wertpapiere werden wie Sachen übereignet, also durch Einigung und Übergabe. Mit anderen Worten, ein solches Papier kann nicht wie eine Forderung abgetreten werden.“
Dafür, dass eine Abtretung nicht möglich sei, spreche auch die Tatsache, dass Gerichte hier bereits Schwierigkeiten wegen der Schweigepflicht gemäß § 203 Strafgesetzbuch (StGB), die auch Apotheker treffe, erkannt hätten, so Haupt. In diesem Zusammenhang sei allerdings auch zu berücksichtigen, dass § 300 Sozialgesetzbuch (SGB V) die Einschaltung von Rechenzentrum zum Zwecke der Abrechnung und Einreichung von Rezepten gerade vorsehe, sodass gegebenenfalls doch eine gesetzliche Erlaubnis für die Weitergabe der Rezepte bestehe, so der Anwalt abschließend.
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