Im Zusammenhang mit der AvP-Pleite hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Zulässigkeit von Forderungsabtretungen gegenüber den Rechenzentren insgesamt in Frage gestellt. Ein Jurist rät jetzt sogar zur zeitnahen Kündigung der Verträge. Wie müssen Apotheken vorgehen?
Der BGH hat kürzlich entschieden, dass im Fall von AvP schon die Abtretungsvereinbarung mit dem Rechenzentrum unwirksam war. Denn AvP habe die Guthaben auch dazu verwendet, „die eigenen Darlehensverbindlichkeiten gegenüber den Banken zu befriedigen“. Und dadurch könnten geschützte Sozialdaten preisgegeben werden, was laut Sozialgesetzbuch (SGB V) explizit verboten sei: Diese dürfen die ihnen übermittelten Daten nur „für im Sozialgesetzbuch bestimmte Zwecke und nur in einer auf diese Zwecke ausgerichteten Weise verarbeiten“.
Laut Dr. Morton Douglas ist damit das klassische Geschäftsmodell der Rechenzentren in Frage gestellt, zumindest sofern eine Abtretung enthalten ist: „Rechenzentren müssen auf solche Klauseln umgehend verzichten, sonst dürfen Apotheken keine Verschreibungen mehr zur Abrechnung liefern“, legte der Jurist von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen beim Kooperationsgipfel in München dar.
Douglas vertritt damit den Standpunkt, dass die bestehenden Vereinbarungen nicht rechtskonform sind und Apotheken auf eine Anpassung drängen oder außerordentlich kündigen müssen. Er selbst vertrete einen Apotheker, der aus anderen Gründen seinem Rechenzentrum fristlos kündigen wolle und für dessen Prozess das Argument des BGH daher von großer Relevanz sei. Zuvor hatte er außerdem das Modell der Direktabrechnung à la Scanacs verteidigt.
Nach seiner Sichtweise müssen Apotheken und Rechenzentren also spätestens bis Ende März reagieren. Denn dann wird das Urteil rechtswirksam, weil die Frist für eine Verfassungsbeschwerde als letztem Rechtsmittel abläuft.
Die Unternehmen geben dagegen Entwarnung: Weder beim NARZ noch in der AVN gebe es eine Forderungsabtretung, sagt Geschäftsführer Marc Beushausen. „Bei uns bleibt seit jeher die Apotheke Inhaberin der Forderungen gegenüber den Kostenträgern. Das BGH-Urteil hat somit für unsere Verträge keine erkennbare Auswirkung.“
Ähnlich sieht man es beim ARZ Haan: Man übernehme zwar für die Apotheken die Abrechnungen der Rezepte und sonstigen Belege gegenüber den Kostenträgern. „Dazu ermächtigt die Apotheke die ARZ Service GmbH aber nur zur Einziehung der Forderungen aus den Rezepten gegenüber den Kostenträgern.“
Im Gegensatz zu der Vertragsgestaltung, die den beiden Urteilen des BGH zugrunde lag, bleibe die Apotheke dabei Rechtsinhaber der abzurechnenden Forderung. „Es erfolgt durch die Apotheken keine Abtretung der entsprechenden Forderungen gegen die Kostenträger an die ARZ Service GmbH. Eine Anpassung der Abrechnungsverträge der ARZ Service GmbH ist daher vor diesem Hintergrund derzeit nicht erforderlich.“
Auch Noventi sieht keinen Grund für Korrekturen der Verträge. „Wir haben das fragliche BGH-Urteil eingehend geprüft. Es ist nach unserer Auffassung auf unsere Verträge nicht übertragbar“, so eine Sprecherin.
Bei Durchsicht eines Vertrags fällt auf, dass es hier zwar tatsächlich die von Douglas zitierte Klausel gibt: Noventi behält sich das Recht vor, „die ihr übertragenen Forderungen ganz oder teilweise zu Kreditsicherungszwecken auf ihre refinanzierenden Banken weiter zu übertragen“. Worauf der Anwalt allerdings in seinem Vortrag nicht einging: Die Abtretung gilt explizit nur unter der Voraussetzung, dass „Ansprüche der refinanzierenden Banken nach § 402 BGB ausgeschlossen werden und die Noventi zur Einziehung der Forderungen ermächtigt bleibt“.
In der genannten Vorschrift geht es um die Urkundenauslieferung bei Forderungsabtretung. Wörtlich heißt es: „Der bisherige Gläubiger ist verpflichtet, dem neuen Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen und ihm die zum Beweis der Forderung dienenden Urkunden, soweit sie sich in seinem Besitz befinden, auszuliefern.“
Die Klausel ist auch in älteren Verträgen zu finden und könnte mit einem höchstrichterlichen Urteil aus dem Jahr 2006 zusammenhängen. Schon damals wurde die Weitergabe von Patienteninformationen kritisch betrachtet.
Es geht um viel: Ohne die Möglichkeit der Weiterabtretung würde das für viele Kunden wichtige Geschäftsmodell der deutlichen Vorfinanzierung im aktuellen Monat wegfallen. Und das würde dann alle befreiten Factoringinstitute betreffen, die ebenfalls auf solche Abtretungsklauseln angewiesen seien, um die Leistung überhaupt erbringen zu können.
Mindestens Dr. Güldener sowie Optadata im Bereich der sonstigen Leistungserbringer bieten ebenfalls Factoringlösungen an, andere Rechenzentren zahlen lediglich Abschläge aus den eingegangenen Auszahlungen der Kostenträger und sind demnach nicht auf die Weiterabtretung an Banken angewiesen.