Null-Retax zu Lyrica APOTHEKE ADHOC, 08.09.2015 15:19 Uhr
Beim Antiepileptikum Lyrica (Pregabalin) sind die Apotheken zwischen den Rabattverträgen und dem Patentrecht gefangen. Weil Pfizer für eine Indikation noch Patentschutz genießt, dürfen die Apotheken das Originalpräparat in diesen Fällen aus patentrechtlicher Sicht nicht austauschen. Für andere Indikationen gibt es dagegen Generika – und Rabattverträge. Eine Apotheke ist nun offenbar zwischen die Fronten geraten und wurde retaxiert.
Der Arzt hatte Lyrica als Reimport von Kohlpharma verordnet. Doch das Präparat war nicht lieferbar. Der Apotheker druckte eine entsprechende Sonder-PZN auf und gab im April das Original ab. Der Preis beträgt knapp 250 Euro. Die BKK24 retaxierte die Apotheke im August auf Null und verwies auf ihre Rabattverträge über Pregabilin. Die Kasse hat Vereinbarungen mit der Hexal-Tochter 1A Pharma, Glenmark und der Stada-Tochter Aliud geschlossen.
Der Einspruch des Apothekers blieb erfolglos. Die Kasse verwies in der Ablehnung auf den Rahmenvertrag, der die Apotheke zum Austausch verpflichte: „Rechtliche Fragen über die Austauschbarkeit sind nur vonseiten der Firma zu klären, nicht von der Apotheke“, schrieb die Prüfstelle der BKK24.
Pregabalin ist seit einem Jahr patentfrei. Allerdings hat Pfizer noch einen Patentschutz für die gängige Indikation zur Behandlung neuropathischer Schmerzen. Seit August erhalten Anwender von Winapo einen Hinweis, dass sie Lyrica nicht immer austauschen dürfen: „Behandlung neuropathischer Schmerzen: Patentschutz für Lyrica beachten!“ Pfizer und die Tochterfirma Warner-Lambert weisen auf den Patentschutz hin und dass die Therapie dann ausschließlich mit Lyrica erfolgen dürfe.
In den Apotheken hatte diese Meldung für Verwirrung gesorgt. Denn einerseits ist die Indikation in den meisten Fällen überhaupt nicht bekannt. Andererseits hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) schon 2009 nach längerem Streit zwischen AOK und Pro Generika klargestellt, dass für den Austausch kein deckungsgleicher Indikationsbereich vorliegen muss.
Bereits eine Überschneidung im Anwendungsgebiet sei ausreichend, um Rabattverträge zu bedienen, hieß es damals aus dem BMG. Insofern ergäben sich weder haftungsrechtliche Konsequenzen, noch sei eine Verunsicherung der Patienten wahrscheinlich. Entsprechend wurden bei Ausschreibungen bislang nur vereinzelt konkrete Indikationen abgerufen; in der Regel wird der Wirkstoff rabattiert.
Der Patent- und Arzneimittelmittelrechtsexperte Peter von Czettritz von der Münchener Kanzlei Preu Bohlig & Partner riet Apothekern, zuvorderst darauf zu achten, nicht gegen die sie direkt betreffenden Verpflichtungen zu verstoßen.
Unter patentrechtlichen Gesichtspunkten wurde die Frage bislang allerdings noch nicht geklärt. Pfizer verteidigt sein sogenanntes Second-Medical-Use-Patent mit Nachdruck: Mehrere Ausschreibungen wurden vor der Vergabekammer des Bundes angegriffen. Mit Spectrum K und GWQ einigte sich der Hersteller in einem Vergleich, die KKH kämpft vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf um einen Rabattvertrag für den Wirkstoff. Ein neuer Termin ist für Ende September anberaumt.
Mit den Generikaherstellern streitet Pfizer seit Ende vergangenen Jahres. So wurden beispielsweise Informationsschreiben für Ärzte beanstandet, in denen die Besonderheit von Lyrica nicht aktiv angesprochen wurde.
Im April stärkte das Landgericht (LG) Hamburg dem Konzern den Rücken: So müssen Ratiopharm, Hexal/1A, Aliud und Glenmark bei Rabattverträgen explizit darauf hinweisen, dass ihr Generikum nicht für die geschützte Indikation eingesetzt werden darf. Ein Teil der Firmen hat sich der einstweiligen Verfügung unterworfen, andere sind vor das Hanseatische OLG gezogen. Hexal will das Patent sogar für nichtig erklären lassen.
Pfizer hatte Lyrica 2004 in Deutschland auf den Markt gebracht, das zusätzliche Patent war zwei Jahre nach dem ursprünglichen erteilt worden und gilt damit bis Juli 2017.
Laut Arzneiverordnungsreport stand das Antiepileptikum 2013 mit 2,4 Millionen Verordnungen im Wert von 281 Millionen Euro zu Apothekenverkaufspreisen auf Platz 26 der am häufigsten verordneten Medikamente. Die Autoren sehen bei dem Medikament auch das größte Einsparpotenzial: Konsequent ausgetauscht gegen das bereits generische Lamotrigin, könnten die Kosten um 83 Prozent gesenkt werden.
Weltweit macht Pfizer 4,6 Milliarden US-Dollar mit dem Medikament; nach dem Patentablauf von Sortis/Lipitor ist es das meistverkaufte Präparat des Konzerns. In den USA streitet der Hersteller seit 2009 mit Generikaanbietern über die Patentrechte. In Kanada ist das Präparat seit einem Jahr patentfrei. In Großbritannien hatte sich der Konzern unlängst bei Ärzten für die Probleme im Zusammenhang mit dem erweiterten Patentschutz entschuldigt.