Im Pfusch-Prozess von Bottrop gerät die für die Alte Apotheke zuständige Amtsapothekerin Hannelie L. unter Druck: Wie das Recherchenetzwerk Correctiv berichtet, wurde sie im April 2016 von einem PTA-Lehrer darüber informiert, dass in der Apotheke abgelaufene Medikamente verarbeitet würden. Der Informant widerspricht der Aussage, die L. gestern vor Gericht gemacht hatte.
L. ist Amtsapothekerin für den Kreis Recklinghausen, Gelsenkirchen und Bottrop und damit auch für die Aufsicht der Alten Apotheke zuständig. Im April 2016 wurde sie in den Räumen des Kreishauses in Recklinghausen von einem PTA-Lehrer darüber informiert, dass in der Apotheke abgelaufene Medikamente verarbeitet würden. Das Treffen wurde von L. vor Gericht bestätigt, allerdings bezog sie sich lediglich auf die Verarbeitung sogenannter „Anbrüche“. Dies sei kein Vergehen.
Laut Correctiv-Bericht sagte L. vor Gericht aus, der Ausbilder habe sie lediglich darüber informiert, dass Restmengen von angebrochenen Wirkstoffen verwendet würden. Diese Restmengen seien infolge der Öffnung formal abgelaufen – stellten aber keine Gefahr dar. Es habe also kein Grund bestanden, einzugreifen.
Der Informant berichtet dagegen, er habe die Amtsapothekerin im Beisein eines Mitarbeiters gezielt vor Missständen in der Apotheke gewarnt. Hier würden Wirkstoffe verarbeitet, deren Verfallsdatum nicht nur formal aufgrund der Öffnung abgelaufen sei, sondern die per se längst abgelaufen seien. Die Tür zum Büro sei extra geschlossen worden, als der Name der Alten Apotheke fiel.
Es steht Aussage gegen Aussage. Correctiv liegt über diese Angaben des PTA-Lehrers eine eidesstattliche Erklärung vor. Der Ausbilder hatte nach eigenem Bekunden seine Informationen aus erster Hand, ein Mitarbeiter des Zyto-Labors der Alten Apotheke hatte es ihm gesagt. Tatsächlich ist mittlerweile bekannt, dass in einem Keller im Haus der Apotheke abgelaufene Krebsmedikamente gelagert wurden.
Auf Nachfrage von Correctiv betonte der PTA-Lehrer noch einmal, dass er nicht von „Anbrüchen“ geredet habe, sondern von „Wirkstoffen mit abgelaufener Gültigkeit“. Er kenne als Ausbilder den Unterschied zwischen Anbrüchen und abgelaufenen Wirkstoffen sehr genau. Wegen „Anbrüche für Salben“ wäre er sicher nicht zur Amtsapothekerin gegangen.
Auch die Reaktion der Amtsapothekerin beschreibt der PTA-Lehrer anders als die Kontrolleurin selbst: Demnach habe sie ihm bei dem Treffen gesagt, dass sie von mehreren Personen Hinweise bekommen habe, dass in der Alten Apotheke etwas nicht richtig liefe. Weiter sagte der PTA-Ausbilder, L. habe berichtet, sie habe keine Handhabe gegen die Alte Apotheke. Zudem gebe es die Gefahr von falschen Anzeigen aus Neid.
Dann soll die Amtsapothekerin laut eidesstattlicher Versicherung des PTA-Lehrers gesagt haben, dass ihr Eingreifen sowieso sinnlos sei. Selbst wenn sie bei einer Kontrolle in der Apotheke verfallene Wirkstoffe finden würde, könne sofort für Ersatz gesorgt werden. Am nächsten Tag sei dann alles wieder gut. L. und ihr Assistent hätten „ratlos“ gewirkt, schreibt der PTA-Ausbilder in der eidesstattlichen Versicherung.
Sollte der Bericht stimmen, hätte die Amtsapothekerin einen Hinweis auf Unregelmäßigkeiten in der Alten Apotheke bekommen, bevor die Kriminalbeamten in dem Fall ermittelten – und nichts unternommen. Die Nebenklage will den PTA-Lehrer deshalb im Prozess als Zeugen vorladen lassen.
Die Amtsapothekerin hatte vor Gericht zunächst versucht, die Aussage zu verweigern. Ihr Anwalt sagte, sie wolle sich nicht einmal einem Anfangsverdacht aussetzen, sich strafbar gemacht zu haben. Das Gericht wies diese Auskunftsverweigerung zurück und zwang sie zur Aussage.
Dabei sagte L. laut Correctiv aus, dass sie von dem Hinweis des PTA-Lehrers der Kriminalpolizei berichtet habe. Das Recherchenetzwerk zweifelt daran: Laut einem schriftlichen Bericht sagte die Amtsapothekerin den Ermittlern, dass sie von mehreren Personen verschiedene Hinweise zu kleineren Missständen in der Alten Apotheke bekommen habe – aber keinen von einem so großen Ausmaß. Ein Verfahren sei zudem eingestellt worden. In den Unterlagen sei nicht die Rede davon, dass in der Alten Apotheke „Anbrüche“ verkauft würden – oder dass ein PTA-Ausbilder vor dem Handel mit abgelaufenen Krebsmitteln gewarnt habe, schreibt Correctiv.
Die Rolle der Amtsapothekerin ist auch für zivilrechtliche Ansprüche relevant. Ein Anwalt der Nebenklage will die Stadt Bottrop wegen Behördenversagen in Amtshaftung nehmen. Gegenüber Correctiv äußerten sich weder die Stadt Bottrop, der Kreis Recklinghausen noch die Amtsapothekerin und ihr Mitarbeiter.
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