Von Kunden und Ärzten geliebt, von den Mitarbeitern für Führungsqualität, Großzügigkeit und Humor verehrt: Selbstüberschätzung ist auch unter Apothekern offenbar kein seltenes Phänomen. Die Chancen stehen also gut, dass auch Sie Ihr Selbstbild gerne mal beschönigen. Und das ist in vielen Fällen auch gut so. Denn eine Prise Selbstüberschätzung kann sowohl das persönliche Wohlbefinden als auch eine positive berufliche Entwicklung fördern, meint der Psychologe Dr. Michael Dufner von der Universität Leipzig.
Selbstüberschätzung ist ein Massenphänomen. Egal, ob es um einen Intelligenztest, die Leistungen am Arbeitsplatz oder das Talent beim Autofahren geht: Die Mehrheit ist davon überzeugt, besser zu sein als der Rest. Glaubt man Umfragen, dürfte die Bevölkerung nur noch aus Hochbegabten und äußerst kompetenten Experten bestehen, die alles richtig machen.
Dahinter steckt ein psychologischer Mechanismus, den die beiden Ökonomie-Nobelpreisträger Daniel Kahneman und Amos Tversky den „Overconfidence-Effekt“ nennen. Demnach gehen wir, vereinfacht gesagt, davon aus, dass wir viel mehr wissen und mehr können, als das tatsächlich der Fall ist. Wir überschätzen unsere Fähigkeiten in allen möglichen Lebenslagen: Wir glauben im Job mehr drauf zu haben, sind schlauer als unsere Mitmenschen und können überhaupt alles ein bisschen besser als die anderen.
Der Klassiker der Selbstüberschätzung: das Autofahren. Zählen Sie sich zu den besseren Autofahrern? Klasse, willkommen im Klub! Das tun die anderen 80 Prozent der Befragten nämlich ebenfalls, auch auf die Gefahr hin, dass die Rechnung dann nicht mehr aufgeht. Denn definitionsgemäß kann auf jedem Gebiet nur jeder Zweite zu den besseren 50 Prozent gehören.
„Aus statistischer Sicht können solche Einschätzungen natürlich nicht alle gleichermaßen zutreffend sein“, sagt Dufner. „Viele Teilnehmer der Studien müssen sich im Vergleich mit ihren Mitmenschen zu positiv bewertet haben.“ Nach Angaben des Psychologen neigen etwa zwei Drittel der Menschen zu einem geschönten Blick auf sich selbst.
Doch woher kommt Neigung, sich selbst in ein besseres Licht zu rücken? Unsere Anfälligkeit für die Hybris lässt sich Studien zufolge oft auf zwei verschiedene Ursachen zurückführen. Einerseits hänge es mit dem Konkurrenzdruck in der Gesellschaft zusammen: In der Schule, im Job, im Sport gehe es häufig nicht nur um Leistung, sondern auch um Wettbewerb. Es ist in unserem Bewusstsein verankert, immer besser, schneller oder schlauer zu sein als andere, um uns durchzusetzen.
Die zweite Ursache für unsere Selbstüberschätzung: Es lohnt sich. So zeigten zum Beispiel die Wissenschaftler James Fowler und Dominic Johnson von der Universität von Kalifornien in San Diego in ihren spieltheoretischen Versuchen, dass sich Selbstüberschätzung gegenüber einer realistischen Selbstanalyse oft durchsetzt. Wie bei einem Gorilla, der sich auf die Brust trommelt, um Stärke zu demonstrieren und so den kräftezehrenden Kampf zu vermeiden, soll die Selbstüberschätzung Kontrahenten einschüchtern, um das Objekt der Begierde möglichst kampflos zu gewinnen.
Besonders in den persönlich wichtigen Lebensbereichen neigt man Dufner zufolge zur Selbstüberschätzung. So sei es kein Wunder, dass Pharmazeuten glauben, „der beste Apotheker weit und breit zu sein“. „Die Apotheke ist schließlich die Existenzgrundlage und damit immens wichtig“, so Dufner. „Es wäre sowohl für das Geschäft als auch für das persönliche Wohlbefinden verheerend, wenn ein Apotheker der Meinung wäre, seine Kollegen sind allesamt besser und erfolgreicher.“ Konkurrenzsituationen, wie sie bei Apothekern oft zu finden sind, würden die Tendenz, eigene Eigenschaften und Fähigkeiten zu überschätzen, deswegen begünstigen.
In der Tat ist die überwältigende Mehrheit der Apotheker laut einer APOSCOPE-Umfrage davon überzeugt, dass sowohl Kunden und Ärzte als auch Mitarbeiter mit ihnen mehr als zufrieden sind. Aus der Sicht des Psychologen ist der verzerrte Blick in der Regel überhaupt nicht schlimm: „Eine hohe Selbsteinschätzung geht in der Regel mit psychischem Wohlergehen und einer positiveren Grundeinstellung einher“, meint Dufner. Ein bisschen Selbstüberschätzung könne sogar helfen, die Realität besser zu ertragen und Krisen besser zu meistern.
Zugleich mache sie uns etwas ehrgeiziger und mutiger – und in der Folge erreichen wir tatsächlich mehr. „Wenn jemand, der seine Fähigkeiten überschätzt, sich für einen Job bewirbt, besteht eine gute Chance, dass derjenige ihn tatsächlich bekommt“, sagt er. Ein anderer Bewerber, der vielleicht mindestens genauso qualifiziert wäre, aber mehr an sich zweifle, würde eventuell auf eine Bewerbung verzichten oder keinen so guten ersten Eindruck hinterlassen. Der Gorilla-Effekt eben.
Doch nicht alle Menschen neigen gleich stark dazu, sich für besonders toll zu halten. „Männer überschätzen sich hinsichtlich vieler Eigenschaften stärker als Frauen“, sagt Dufner. „Und jüngere Leute stärker als ältere.“ Auch sogenannte Experten überschätzen ihre Fähigkeiten regelmäßig, belegen zum Beispiel Studien des Neurowissenschaftlers Kevin Dunbar von der Universität Toronto: Je sicherer man sich in einem bestimmten Gebiet fühlt, desto schneller tappt man in die Falle der Selbstverliebtheit und glaubt an die eigene Unfehlbarkeit.
„Solange wir uns nur ein bisschen überschätzen, ist alles in Ordnung, aber es gibt natürlich auch Menschen, deren Selbstwahrnehmung extrem ins Positive verzerrt ist“, sagt der Psychologe. Das könne zum Problem werden. Um auf das Beispiel mit Autofahrern zurückzukommen: Derart von den eigenen Fahrkünsten eingenommen, kann das schnell zu Leichtsinn am Steuer, zu gewagten Fahrmanövern und überhöhter Geschwindigkeit führen, weil der- oder diejenige glaubt, die Situation immer noch kontrollieren zu können. Zahlreiche Unfälle sind darauf zurückzuführen.
Oder in der Wirtschaft: Gerade an der Spitze von Unternehmen ist Hybris keine Seltenheit. Kostspielige Fehlentscheidungen, Missmanagement bis hin zur Pleite könnten die Konsequenzen sein. „Die Kunst ist es eben, im richtigen Moment die Selbstüberschätzung zurückzufahren und die eigenen Fähigkeiten möglichst realistisch einzuschätzen“, sagt Dufner. Je wichtiger die Entscheidung, desto kompetenter sollten die Personen sein, die man zu Rate zieht, empfiehlt der Psychologe. Auch kritische Stimmen im eigenen Umfeld seien oft hilfreich.
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