Die Apothekerkammer Niedersachsen hat sich die Wut von Homöopathie-Befürwortern zugezogen. Im Februar und März hält Natalie Grams, eine der prominentesten Kritikerinnen von Globuli & Co., Vorträge zu Homöopathie in der Apotheke. Für die Hahnemann-Gesellschaft war das Grund genug, ein Protestschreiben an die Kammer zu senden, Grams darin persönlich anzugreifen und von der Kammer eine andere Referentenwahl zu fordern. Grams lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen.
Die Ankündigung des Vortrags klingt suggestiv, aber alles in allem harmlos: „Homöopathische Arzneimittel werden trotz sinkender Umsatz- und Absatzzahlen immer noch gerne gefordert und abgegeben. Als vermeintlich sanfte Alternative, die Nebenwirkungsfreiheit und Natürlichkeit verspricht, scheint sie nach wie vor einen wichtigen Platz in der Medizin und gerade auch in der Selbstbehandlung einzunehmen“, so die Kammer über die Vorträge in Hannover und Bremen. Grams wolle fragen, ob dieser Platz gerechtfertigt sei und wie eine optimale Beratung zur Homöopathie in der Apotheke aussehen könnte. „Stehen Verkaufs- oder eher Wissenschaftsgesichtspunkte im Vordergrund?“, so die vermeintlich offene Frage.
Für Grams sind solche Vorträge Routine. Die promovierte Ärztin hat bis 2015 selbst eine homöopathische Praxis betrieben, bevor sie zu einer der öffentlichkeitswirksamsten Kritikerin alternativ- und pseudomedizinischer Behandlungsmethoden avancierte. Seitdem spricht sie regelmäßig in Medien und auf öffentlichen Veranstaltungen über Sinn und Unsinn von Homöopathie. Für Homöopathie-Befürworter ist sie deshalb ein Feindbild, sie werfen ihr Agitation gegen Alternativmedizin vor und ziehen ihre medizinische Kenntnis in Zweifel. Ebenfalls Routine sind deshalb die Anfeindungen, denen sie ausgesetzt ist. Für viele Homöopathie-Verfechter ist sie ein rotes Tuch. So auch nun wieder: In einem Protestschreiben hat die Hahnemann-Gesellschaft die Apothekerkammer aufgefordert, die Grams-Vorträge abzublasen. „Wir fordern Sie hiermit dazu auf, die Referentin in beiden Veranstaltungen durch Fachapothekerinnen und Fachapotheker aus Ihren eigenen Reihen zu ersetzen, die die Gebietsbezeichnung ‚Naturheilverfahren und Homöopathie‘ tragen“, so der Vorstand des Verbands. „Ihnen allein steht es zu, das pharmazeutische Personal sachgerecht zu informieren.“
Bereits in der Vortragsankündigung werde „suggeriert, dass Wissenschaftsgesichtspunkte gegen die Homöopathie sprechen würden“. Dem sei jedoch nicht so, vielmehr sei die Evidenz seit 2005 durch die „Versorgungsstudien von Witt et al.“ gegeben. „Sie ist wirksam, sicher und preiswert. Die gute fachliche Beratung zur Homöopathie in den Apotheken durch geschulte Fachkräfte ist eine unerlässliche Säule in der Patientenversorgung“, so der von den Vorstandsmitgliedern Ulrike Fröhlich, Dr. Elisabeth Häcker-Strohbusch und Hans Baitinger unterschriebene Protestbrief.
Doch die drei belassen es nicht bei einer Verteidigung der Homöopathie, sondern gehen Grams direkt an. Sie habe „weder eine Expertise in der Pharmazie noch in der Wissenschaft. Ihre Kenntnisse und Erfahrungen in der Homöopathie sind gering.“ Und mehr noch: „Frau Grams fiel auf akademischem Boden bereits mehrfach bei der Ärzteschaft durch“, so die Hahnemann-Leute. Gemeint sind damit vor allem zwei Veranstaltungen, an denen Grams in der Vergangenheit teilgenommen hat, erklärt Hahnemann-Vorstand Ulrike Fröhlich auf Anfrage: Einmal habe Grams bei einem Vortrag auf Einladung des Instituts für Bioethik der Uni Münster die Nachfragen eines homoöpathischen Arztes nicht ausreichend beantworten können. „Da konnte sie in der Diskussion wissenschaftlich nicht bestehen“, so Fröhlich. Mit dem anderen Fall meint Fröhlich das Chaos um Grams‘ Vortrag an der Uni Mainz Ende 2018. Auch damals hatte die Hahnemann-Gesellschaft versucht, den Vortrag zu verhindern. Am Ende musste er unter Polizeischutz stattfinden – beide Seiten nahmen für sich in Anspruch, diejenigen zu sein, die geschützt wurden.
Gerade, weil es sich beim Publikum um pharmazeutisches Fachpersonal handelt, obliege der Kammer „eine besondere Sorgfaltspflicht in der Auswahl der Referierenden“, schreibt die Hahnemann-Gesellschaft nun in ihrem Protestschreiben. Grams selbst zeigt sich von Kritik an ihrer Person wenig beeindruckt. „Das ist bezeichnend und geht wie immer darum, kritische Bewertungen mundtot zu machen“, erklärt sie auf Anfrage. Durch die Betonung ihrer persönlichen Rolle sehe sie sich eher bestätigt. „Der Motor dieser Schärfe ist, dass die wissenschaftlichen Argumente aufseiten der Kritiker sind“, sagt sie. „Da muss man halt auf Versorgunsgforschung von 2005 zurückgreifen, statt auf aktuelle Erkenntnisse und die bestverfügbare Evidenz. Außer persönlichen Diskreditierungsversuchen bleibt dann wenig.“
Dabei sieht sich Grams nicht nur persönlich falsch dargestellt, sondern auch den Inhalt ihrer Vorträge: Es gehe ihr nämlich keinesfalls darum, bei den Apothekern Propaganda gegen Homöopathie zu betreiben. „Der Vortrag ist in seiner Ankündigung vielleicht schärfer als in seinem Inhalt. Ich will eher die Aufklärungsrolle der Apotheker thematisieren“, sagt sie. Denn die sei zentral. Da die allermeisten homöopathischen Präparate nicht von Ärzten verschrieben werden, sondern in der Selbstmedikation Anwendung finden, komme der Beratung durch Apotheker eine entscheidende Rolle zu. Und mit beraten meint sie nicht zwangsläufig abraten. „Bei Bagatellkrankheiten ist vielleicht auch nichts einzuwenden, wenn Patienten auf Homöopathie vertrauen, aber bei ernsten Beschwerden kommt Apothekern eine wichtige Gatekeeper-Funktion zu.“ Es sei wichtig, dabei „nicht zu vergraulen, sondern aufzuklären“.
Für Apotheker, die trotz mangelnder wissenschaftlicher Evidenz an Homöopathika festhalten, habe sie sogar Verständnis. „Auch die müssen wirtschaftlich überleben, wollen Kunden nicht verprellen oder sind vielleicht aufgrund von eigenen positiven Erfahrungen etwas voreingenommen“, sagt sie. Dennoch oder gerade deswegen, sollten sich Apotheker bewusst sein, dass es sich um eine wichtige Gelegenheit zur Profilierung handele. „Apotheker sind naturwissenschaftlich oft besser ausgebildet als wir Ärzte, aber verkommen oft zu Verkäufern hinterm HV“, so Grams. „Von daher ist es eine vergebene Chance, wenn sie ihre Kompetenz nicht ausspielen, indem sie Patienten über Homöopathie aufklären.“
So sieht man das auch bei der Kammer. Die Forderung, Grams wieder auszuladen, weist deren pharmazeutischer Geschäftsführer Dr. Lukas Kaminski zurück. „Um für alle pharmazeutisch tätigen Mitarbeiter eine möglichst effektive weiterführende und insbesondere ausgewogene Qualifizierung zu gewährleisten, bieten wir Fortbildungen und Themen mit ausgewiesenen Experten aus unterschiedlichen Blickwinkeln an“, so Kaminski. Bisher seien fast nur Homöopathie-Seminare angeboten worden, die sich weniger kritisch mit dem Thema befasst haben: Den zwei Grams-Seminaren stünden 80 Vorträge in den letzten zehn Jahren gegenüber, die über die Anwendung von Homöopathie informierten. Es sei Wunsch aus der Apothekerschaft gewesen, auch einmal eine gegenteilige Perspektive darzustellen. „Es war in der Tat der vielfache Wunsch von unseren Mitgliedern, dass nicht nur Seminare von Homöopathie-Befürwortern angeboten werden“, so Kaminski.
Dass der Vortrag turbulent werden könnte, wie sie es schon das ein oder andere mal erleben musste, befürchtet Grams nach eigener Aussage nicht. „Aus meiner Erfahrung der letzten Jahre kann ich sagen, dass der Wind vorher unglaublich hart ist, in der Veranstaltung selbst dann aber sehr viel ruhiger. Liegt vielleicht auch daran, dass die Zuhörer merken, dass ich nicht aggressiv gegen Homöopathie agitiere, sondern aufklären will.“
APOTHEKE ADHOC Debatte