Die Versorgungssituation bei Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil spitzt sich zu. Patient:innen können nicht versorgt werden. Laufende HIV-Therapien und auch die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) müssen unterbrochen werden. Könnte schon bald ein Versorgungsmangel festgestellt werden?
Schon im November haben die Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger HIV-Mediziner:innen (Dagnä), die Deutsche Aids-Gesellschaft (DAIG) und die Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) Alarm geschlagen und über die angespannte Versorgungslage der Wirkstoffkombi Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil und über das Risiko eines Anstieges von HIV-Neuinfektionen informiert.
In den vergangenen Monaten hat sich die Lage weiter verschärft. 90 Prozent der HIV-Schwerpunktpraxen sind von Lieferengpässen betroffen, wie eine Umfrage der Dagnä zeigt. Ein Problem. Die Kombination ist hierzulande die einzige, die zur PrEP zugelassen ist. Rund 40.000 Menschen schützen sich derzeit mit der Einnahme vor einer HIV-Infektion. Aber auch laufende HIV-Therapien mussten umgestellt werden, bestätigen 28 Prozent der Mediziner:innen. Doch nicht immer ist eine Umstellung möglich, beispielsweise wenn die Kombination als Salvage-Therapie eingesetzt wird – wenn andere Behandlungsoptionen ausgeschöpft sind – und es keine Alternative gibt. Dann fehlt ein lebenswichtiges Medikament.
Laut einer DAHKA-Umfrage gaben über 90 Prozent der knapp hundert DAHKA-Mitglieder an, kein Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil mehr auf Lager zu haben. „Es ist schlimmer, als wir zu fürchten gewagt haben“, sagt DAHKA-Vorstand Erik Tenberken.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) habe Ende der vergangenen Woche den Ernst der Lage bestätigt. Derzeit haben drei Hersteller Lieferengpässe beim BfArM gelistet. Diese sichern 71 Prozent des Marktes. Darunter Ratiopharm mit einem Marktanteil von 56 Prozent, dessen Präparat bis mindestens März von Lieferschwierigkeiten betroffen ist. „Das ist nicht mehr durch andere kompensierbar.“
Das BfArM wolle nun prüfen, ob Hersteller im Ausland wirkstoffgleiche Medikamente mit europäischer Zulassung für den deutschen Markt zur Verfügung stellen können. Tenberken und Dagnä-Vorstandsmitglied Dr. med. Stefan Mauss halten es für unwahrscheinlich, dass ausländische Hersteller den Engpass hierzulande kompensieren können. „Die Lage ist nirgendwo so dramatisch wie in Deutschland, aber in den Nachbarländern können meist auch nur die Heimatmärkte bedient werden“, so Tenberken. Schweden, Spanien und Belgien melden ebenfalls Lieferausfälle.
Eine Alternative kann hierzulande das teurere Original Truvada sein. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, so Tenberken. Zwar habe der Hersteller angekündigt, die Produktion hochzufahren, doch für die Apotheken bedeutet die Bestellung ein wirtschaftliches Risiko. Denn sie bleiben auf den Kosten sitzen, wenn die Generika wieder verfügbar sind. „Hier ist der Gesetzgeber gefordert, dass den Apotheken kein Risiko entsteht.“
Außerdem werde das BfArM in den Austausch mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) gehen und klären, ob eine Versorgungsmangel festgestellt werden soll. Dann wäre der Import erleichtert.
Den Apotheken bleibt nur, den Mangel zu verwalten, um die Versorgung zu sichern. In Frage kommen das Stückeln der Dreimonatspackungen oder der Hinweis auf die anlassbezogene PrEP. Diese ist jedoch nicht für alle Nutzer:inen geeignet.
„Die PrEP ist ein wesentlicher Bestandteil der HIV-Prävention – wenn dieser Schutz vor HIV weiter ausfällt, wird das fatale Auswirkungen haben“, sagt Sven Warminsky vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe.
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