Nach dem EuGH-Urteil zu Rx-Boni sind deutsche Versandapotheken gegenüber ausländischen im Nachteil, weil sie sich weiter an die Preisbindung halten müssen. Schnell folgten Ankündigungen der einheimischen Versender, man werde nun trotz Verbot Boni gewähren und sich notfalls verklagen lassen. Doch dazu kam es vorerst nicht. Dafür streiten sich jetzt zwei Vor-Ort-Apotheker aus der Region Lüneburg um ein Bonussystem. Es geht um einen Gutschein im Wert von 50 Cent. Auch die Apothekerkammer ist schon aktiv geworden.
In den Wir leben-Apotheken von Dirk Düvel erhalten die Kunden für jeden Besuch einen Wertgutschein in Höhe von 50 Cent. Diesen können sie später beim Kauf von OTC-Arzneimitteln oder Freiwahlprodukten einlösen.
Eine Kollegin aus Winsen schickte einen Testkäufer und belegte damit, dass die Gutscheine auch bei der Rezepteinlösung herausgegeben werden. Aus Sicht ihres Anwalts Christian Karle von der Kanzlei Dr. Schmidt-Felzmann & Kozianka sind die Gutscheine ein Verstoß gegen die Preisbindung und das Heilmittelwerbegesetz (HWG).
Die Apotheker haben sich vor dem Landgericht Lüneburg getroffen. Düvels Seite vertrat Teilnehmern zufolge die Position, dass es sich um eine reine Imagewerbung handele, da Kunden die Gutscheine bei jedem Besuch erhielten. Zudem falle ein Wertgutschein in Höhe von 50 Cent unter die wettbewerbsrechtliche Spürbarkeitsgrenze, wenn ausländische Versandapotheken bis zu 30 Euro Rabatt auf ein Rezept gewährten.
Der Vorsitzende Richter Klaus-Rainer Strunk hatte sich selbst ein Bild von der Sache gemacht und in einer von Düvels Apotheken ein Rezept eingelöst – und den Gutschein erhalten. In der mündlichen Verhandlung hat er aber noch nicht durchblicken lassen, in welche Richtung er entscheiden wird. Verkündungstermin ist am 23. März. Beim Landgericht ist man sich ohnehin sicher, nur eine Durchgangsstation zu sein. Düvel will den Fall notfalls bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) bringen.
Sein Anwalt Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen hätte das Verfahren dem Vernehmen nach sogar gerne ausgesetzt und das Boni-Verbot vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Denn nach dem EuGH-Urteil würden inländische Apotheken diskriminiert. Doch darauf haben sich die Richter am LG nicht eingelassen, sie wollen in der Sache entscheiden.
Die Apothekerkammer Niedersachsen ist in ihrer Funktion als Aufsichtsbehörde ebenfalls schon eingeschritten: Gegenüber Düvel wurde eine Untersagung ausgesprochen, nachdem zuvor eine Anhörung stattgefunden hatte. Ob der Apotheker dagegen vorgehen wird, war bislang nicht zu erfahren. Düvel ist derzeit im Urlaub. Er betreibt unter der Marke „Wir Leben“ zwei Apotheken in Lüneburg und eine in Marschacht sowie die Löwen-Apotheke in Winsen, zu der auch die Versandapotheke Besamex gehört. Die Mini-Kooperation zählt insgesamt ein Dutzend Apotheken im Norden.
Kammerpräsidentin Magdalene Linz kann sich zu Einzelfällen nicht äußern. Die Kammern hatten aber bereits nach der Entscheidung des BGH im Jahr 2010 angekündigt, gegen jede Apotheke vorzugehen, die Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gewährt. „Das war unsere Aussage und das setzen wir auch um“, erklärt Linz.
Aus Sicht der Kammer ist jede Form der Bonifizierung nach deutschem Recht nach wie vor verboten. Linz räumt aber ein, dass es spannend sei, wie die Gerichte im Nachgang zum EuGH-Urteil entscheiden würden. Bislang habe sich an der Rechtsprechung allerdings nichts geändert, so Linz. Und solange dies nicht geschehen sei, müsse die Kammer einschreiten, da Verstößen gegen die Preisbindung ansonsten Tür und Tor geöffnet würde.
Der BGH hatte 2010 gleich in mehreren Verfahren zu Rx-Boni entschieden und dabei eine Bagatellschwelle gezogen. Demnach sind Gutscheine im Wert von bis zu einem Euro wettbewerbsrechtlich nicht spürbar, können aber berufsrechtlich gleichwohl verfolgt werden. Der Gesetzgeber hatte darauf reagiert und im HWG eine Klarstellung vorgenommen, dass Rx-Boni generell verbietet.
Nachdem das EuGH-Verfahren nunmehr endgültig beendet ist, wird die Boni-Frage in anderen Prozessen weiter bearbeitet. Der aktuelle Fall in Lüneburg ist nur einer davon. Denn zwischenzeitlich ruhende Verfahren können jetzt wieder aufgenommen werden: So führt eine Darmstädter Apothekerin ihr Verfahren zu Rx-Boni vor dem Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) weiter – der berühmte „Ofenkrusti-Fall“.
Die Inhaberin hatte im Jahr 2014 Rezeptkunden einen Gutschein über zwei „Wasserweck“ oder ein „Ofenkrusti“ für die nahe gelegenen Bäckerei mitgegeben. Dagegen war die Wettbewerbszentrale vorgegangen, zunächst mit Erfolg. Nach dem Spruch aus Luxemburg fordert der Rechtsanwalt der Apothekerin das OLG jetzt aber auf, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage zurückzuweisen. Die Brötchengutscheine seien ohnehin eine Sachzugabe und damit erlaubt. Auch die Apothekerin will die Sache notfalls vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bringen. Denn die aktuelle Ungleichbehandlung verstößt aus ihrer Sicht gegen das Grundgesetz.
Politisch gibt es von Seiten der SPD den Vorstoß, mit einer zeitlich befristeten Freigabe von Rx-Boni auf das EuGH-Urteil zu reagieren. Die Abgeordneten Dr. Edgar Franke und Sabine Dittmar haben vorgeschlagen, Boni auf einen Euro zu begrenzen und allen Apotheken zu erlauben. Eine Mehrheit für diesen Vorschlag gibt es aber innerhalb der Koalition offenbar nicht. Die Union hält weiter an einem Rx-Versandverbot fest, bei dem die SPD aber bislang nicht mitspielt.
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