Am Mittwoch ließ Karl Lauterbach (SPD) die Bombe platzen: Die Apothekerschaft solle mit ihren Forderungen mal schön den Ball flach halten, sonst suche man sich andere Partner für Lösungen. Da stehen die Versender doch gerne parat und helfen dem Gesundheitsminister, das System am Laufen zu halten, wenn sich die Apothekerinnen und Apotheker schon so quer stellen.
Statt mit der Apothekenstandesvertretung zu diskutieren oder sich immer wieder die gleichen Forderungen anhören zu müssen, ohne dass ein Konsens gesucht wird, funktioniert der Diskurs auf anderer Ebene ganz gut. Also schauten die CEOs von DocMorris und Redcare im Bundesgesundheitssystem (BMG) vorbei und tauschten sich mit Lauterbach über die Reformpläne aus. Und siehe da: Die Differenzen sind verschwindend gering! Und hier jammert endlich mal niemand über Lieferengpässe (Lauterbach kann es nicht mehr hören) oder Telepharmazie oder Margenumbau.
Das große Schmerzthema der PTA-Vertretung ist für die Versender gar keines. Auch ein neu strukturiertes Honorar für die Belieferung der Kassenrezepte ist den beiden CEOs egal. Sie freuen sich, wenn diese überhaupt hinter der holländischen Grenze landen, und müssen keine heimlichen Boni hintenrum gewähren. Auch beim Thema Telepharmazie gehe man gerne mit der Zeit und unterstütze auch in der Fläche. Macht ja ohnehin keinen Unterschied.
Wenn die Vor-Ort-Apotheken wie bockige Kinder querschießen, ist es also ausgemacht: Das BMG schließt mit den Versendern exklusive Verträge für die Arzneimittelversorgung. Rezepte werden aus den Arztpraxen künftig direkt nach Holland verschickt. Dann braucht auch keiner mehr mit dem Argument der weniger technikaffigen Bevölkerungsgruppen kommen. Die Daten sind doch alle da – sie müssen nur richtig genutzt werden!
Beide Versender teilen sich verschiedene Wirkstoffgruppen auf, um sich jeweils nicht das gesamte Sortiment vorhalten zu müssen. Individuelle Rezepturen werden gesetzlich gestrichen, auch Notdienste werden gestrichen, da ohnehin meist für Schwangerschaftstests und Nasensprays missbraucht. Wer wirklich ein Problem hat, soll künftig ins Notfallzentrum gehen, meint Lauterbach. Es freuen sich auch die anderen wichtigen Verhandlungspartner: Für die Kassen ist der Deal kostensparend und sie haben nun nur noch zwei Ansprechpartner statt mehr als 13.000.
Doch auf die drei Verhandlungspartner kommen nach der Umsetzung doch ungeahnte Probleme zu: Wiedereingeführte Kontrollen an den Grenzen bringen das Versendersystem wiederum an seine Grenzen; tagelang geht gar nichts mehr. Dann stauen sich die LKW auf der Autobahn; und vor den Paketshops, Lottogeschäften und Spätis bilden sich lange Warteschlangen mit kranken Menschen mit Abholscheinen, die dringend auf ihre Medikamente warten. Und bei den Videosprechstunden sieht man wegen der Überlastung minutenlang nur eingefrorene Bilder.
Eine Woche nach dem Start ist Lauterbachs Projekt schon gescheitert. Er will das nicht zugeben, spricht von punktuellen Engpässen und Dingen, die seine Vorgänger zu verantworten haben. Am Ende erinnert man sich im BMG an ein Modell aus der guten, alten Zeit: „Wie wäre es, wenn wir echte Apotheken vor Ort mit echten Menschen hätten?“
Ja, das wär's.
Da hat Lauterbach am Mittwoch beim Treffen mit zehn Apothekerinnen und Apothekern etwas losgetreten. Und bestätigt damit nur die Drohung, die eine Woche zuvor bereits sein Abteilungsleiter Thomas Müller in den Raum stellte. Das BMG werde nicht von den Plänen abrücken, wenn sich nicht auch die Apothekerschaft bewegt. Wirklich mit den Versendern stemmen kann Lauterbach das System aber nicht, was auch ihm klar sein sollte. Dass ihm nicht unbedingt an der Akutversorgung gelegen ist, sondern Chroniker viel interessanter sind, machte DocMorris-Chef Walter Hess gerade erst deutlich.
Wenn ein paar mehr E-Rezepte hinter der Grenze landen würden, würden sich die Versender schon freuen. Allerdings würden sie dann auch selbst einmal merken, wie instabil das System noch ist: Ausfälle bei der Technik oder E-Rezepte, die einfach verschwinden und somit auch nicht erstattet werden, oder Retaxationen – bisher bleiben den Versendern solche Querelen erspart. Dafür entgehen ihnen aber auch die Pauschalen für den Notdienst. 474,02 Euro pro Notdienst gibt es für das zweite Quartal. Nicht abgegolten werden können damit die zunehmend unschönen Ereignisse.
Was den Versendern – und offenbar auch dem BMG – ebenfalls entgeht, sind die anhaltenden Lieferengpässe. Sogar die Bild-Zeitung meldet massive Versorgungsprobleme. Da sieht Lauterbach entsprechende KI-Systeme, die hier helfen, sicher gerne. Aber Hauptsache, es bleibt an den Apotheken, hierfür die Überstunden zu sammeln. Wir wünschen weiterhin viel Spaß beim Sammeln – vielleicht finden Sie etwas anderes als Überstunden.
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