Schlimmer als zu DDR-Zeiten – auf diese Formel bringt Apothekerin Daniela Hänel den aktuellen Kampf gegen die immer massiveren Lieferengpässe. Aus ihrer Sicht wird das ganze Ausmaß des Problems bei den Herstellern noch gar nicht wahrgenommen. Auch von ihrem Großhändler fühlt sie sich aktuell alleine gelassen.
85 Produkte standen zuletzt auf der Defektliste in Hänels Apotheke im sächsischen Zwickau. Das Team geht damit um, wie viele Apotheken es tun: Die fehlenden Arzneimittel werden zur Nachlieferung bestellt. Hänel wiederholt das regelmäßig, wenn sie Chroniker zu versorgen hat, weil solche Anfragen nach einiger Zeit wieder gelöscht werden. Bei Hänels Großhändler Phoenix geschieht das nach drei Monaten.
Man müsse eben darauf achten, sich nicht immer wieder ganz hinten an der Schlange anzustellen, wenn der Bedarf akut ist, verrät die Apothekerin ihre Taktik. Denn kein Patient hat etwas davon, wenn sein Arzneimittel Monate später nachgeliefert wird. Allerdings hilft auch dieses emsige Nachfragen nur, wenn überhaupt Ware verfügbar ist. Neuerdings hat Hänel eine veränderte Situation beobachtet. Sie kann bei Phoenix keine Artikel mehr vorbestellen, die als „nicht lieferbar“ gekennzeichnet sind, wenn der Hinweis „Nachlieferung möglich“ fehlt.
Phoenix will damit die Nachfragen besser managen. Denn wenn ein Lieferengpass absehbar oder gar laut Hersteller über Monate anhalten wird, macht auch die Warteliste wenig Sinn. Der Großhändler verhält sich einem Sprecher zufolge generell „schnittstellenkonform“ hinsichtlich der MSV-3-Schnittstelle. „Die Defektrückmeldung ‚nicht lieferbar‘ bei nicht verfügbaren Artikeln kann mit dem Hinweis ‚Nachlieferung möglich‘ ergänzt werden. Diese inhaltliche Ergänzung ‚Nachlieferung möglich‘ zeigt unseren Kunden mit einer verbesserten Logik noch detaillierter die Möglichkeit der artikelspezifischen Reservierung an.“
Hänel zufolge boten zuletzt nur 17 jener 85 Mittel auf der Defektliste die Möglichkeit der Nachlieferung. Und was sie besonders stört: Verliert ein Präparat die Option der Nachlieferung, wird die Hänels Nachfrage automatisch gelöscht. So habe sie schon vor langer Zoely bestellt, sei aber jetzt wieder „ganz hinten auf der Liste“ gelandet, weil sie die Anfrage erneuern musste. Dabei habe sie fast täglich Kundenanfragen wegen des zuletzt fehlenden Kontrazeptivums. Und gleichzeitig werde der Status der Verfügbarkeit vom Großhändler angepasst, ohne dass die Apothekerin darüber informiert wird. Das erhöht aus Sicht der Apothekerin den täglichen Aufwand, auch Phoenix werde mit ständigen Verfügbarkeitsabfragen überflutet.
Und Hänel hat es sogar noch vergleichsweise gut: Ihre Linda-Apotheke in der Nordvorstadt in Zwickau wird von Phoenix in Leipzig und dem entsprechenden Verbund beliefert, die Apotheke an der Gartenstraße in Plauen dagegen von der Niederlassung in Fürth. Im Notfall kann sie über eine Apotheke bestellen und die Medikamente selbst 50 Kilometer über Land zur anderen Apotheke fahren. Bei Dauerdefekten ist aber auch das keine Lösung – zumal die Großhändler selbst schon alles unternehmen, um die Apotheken zu beliefern. Kundenzufriedenheit und eigenes wirtschaftliches Interesse gehen dabei Hand in Hand.
Die Großhändler hängen ihrerseits am Tropf der Hersteller, die ihre Ware kontingentieren. Ein Leid, das Hänel auch aus dem Direktgeschäft kennt. Diese verlangten immer öfter Abverkaufsstatistiken als Beweis für den Bedarf. Das habe sich schon von MSD für das Produkt Gardasil erlebt, ebenso bei Tecfidera von Biogen. Nur: Wie soll sie den Abverkauf verweisen, wenn auch in der Vergangenheit keine Ware da war, die sie hätte abgeben können. Die Apotheken seien quasi gezwungen, immer ihr Kontingent abzugreifen, um bei nächsten Mal wieder berücksichtigt zu werden. Aber das sei mit Blick auf Zahlungsfristen und Liquidität eigentlich auch keine Lösung.
APOTHEKE ADHOC Debatte