Pharmazierat: „Wollen Sie nicht lieber schließen?“ Silvia Meixner, 19.12.2018 15:21 Uhr
Eine Goldgrube war die Stitzenburg-Apotheke in Stuttgart nie. Trotzdem hat Apothekerin Sabine Kettemann sie 1996 übernommen. Und gerne mit ihrem kleinen Team in ihrer beeindruckend schönen Jugendstil-Apotheke aus dem Jahr 1901 gearbeitet. Jetzt muss sie zum Jahresende schließen – erdrückt von Bürokratie.
„Kleine Apotheken haben keine Zukunft mehr“, sagt sie. „Ein Opfer der Bürokratie“ hat die Stuttgarter Zeitung sie genannt. Und eines der Umstände. In den vergangenen Jahren haben von vier Arztpraxen im Viertel drei geschlossen. Zudem liegt die Apotheke an einer viel befahrenen Straße ohne Aussicht auf einen schnellen Parkplatz. „Als 1901 eröffnet wurde, war dies eine Haupt- und Prachtstraße mit vielen Läden.“ Davon ist nicht viel übrig geblieben.
Noch während eines Besuches des Pharmazierates im September stand fest: Die Apotheke wird geschlossen. Kettemann schildert den Besuch so: „Der Pharmazierat fragte mich mitten in der Revision, ob ich zufällig vorhätte, die Apotheke zu schließen. Das hatte ich eigentlich nicht. Mir war klar, dass es viele Mängel gibt, aber nicht alle konnten behoben werden. Ich konnte einige schon zuvor protokollierte Mängel leider nicht beheben.“
Von der unvermittelten Frage bezüglich der Schließung war sie dennoch geschockt. „Es ist natürlich legitim zu fragen, ob so eine Apotheke noch überlebensfähig ist. Der Pharmazierat sagte, er würde einen Kaffee trinken gehen und wenn er wiederkäme und keine Entscheidung gefallen sei, die Revision weitermachen.“
Kettemann fühlte sich unter Druck gesetzt. „Es war klar, dass ich Anzeigen entgehen könnte, indem ich schließe. Ich habe mein kleines Team zusammengerufen und ihnen von den aktuellen Ereignissen erzählt.“ Sie beschäftigt zwei Mitarbeiterinnen in Teilzeit. Die Entscheidung fiel innerhalb von wenigen Minuten: Kettemann, des Kämpfens müde, entschied, die Apotheke zum Jahresende zu schließen. „Ich habe keinen Ausweg gesehen.“
Die bestehenden Mängel hätte sie auch finanziell nicht beheben können: „So sollte zum Beispiel eine Klimaanlage in den denkmalgeschützten Räumen eingebaut werden. Dafür hätte man die Kassettendecke abhängen müssen. Auch Labor und Rezeptur sind renovierungsbedürftig.“
Beim QMS, so gesteht sie, gab es Mängel, hier findet sie die Kritik des Pharmazierats berechtigt. Sie hat es jahrelang vernachlässigt.„Wir hatten einfach keine Zeit dafür. Es war mir immer wichtiger, bei den Kunden zu sein. Wir waren auf anthroposophische Pharmazie spezialisiert.“ Apotheken prophezeit sie keine erfreuliche Zukunft: „Sie werden künftig standardisiert sein, ohne jegliche Individualität. Ich habe mir immer genau den Menschen angeschaut und versucht herauszufinden, was er braucht. Damit kann man in Zukunft nicht mehr mithalten. Aber ich will nicht jammern. Ich weiß, dass es vielen anderen Apotheken auch so geht. In den letzten zehn Jahren haben im Viertel von zehn Apotheken sieben geschlossen und nur eine eröffnet.“
Wer noch einmal die schönen Apothekerschränke der Stitzenburg-Apotheke mit ihren alten Fläschchen und die vielen Jugendstil-Details betrachten möchte, muss sich beeilen. Der Gründungsapotheker Albert Wünsch ließ die gesamte Einrichtung maßfertigen, die Ladeneinrichtung ist aus Holz gefertigt und besticht mit vielen floralen Jugendstil-Ornamenten und geschwungenen Linien.
Für die Kunden war die Nachricht der Schließung ebenfalls ein Schock. „Viele Kunden haben geweint, weil wir schließen. Es waren auch viele darunter, von denen ich das niemals geglaubt hätte“, sagt Kettemann. Einige boten an, Fundraising, Petitionen oder Unterschriftenlisten zu initiieren. Aber wen beeindruckt schon eine Unterschriftenliste, wenn wieder eine Apotheke von der Landkarte verschwindet.
„Viele haben gefragt, wie sie mir helfen können“, sagt die Apothekerin. Sie liebt ihren Beruf und will auch in Zukunft als Apothekerin tätig sein. „Ich bin 57 Jahre alt und möchte gern arbeiten, vielleicht als Vertretungsapothekerin.“ Was aus der Immobilie wird, ist unklar. „Dass hier niemand Apotheke macht, ist klar“, sagt Kettemann.