Pharmafluencer im Escape-Room: Neue Einnahmequellen für Apotheken Laura Schulz, 29.06.2024 07:39 Uhr
Während Hessen zwei Tage lang aus Protest die Apotheken dicht macht, tüftelt die Abda bei ihrer Mitgliederversammlung noch an einer Strategie, um dem Entwurf des lauterbachschen Apothekenreformgesetzes (ApoRG) Paroli zu bieten. Die Ergebnisse überzeugen die Apothekerschaft nicht: Ihr laufen Zeit und Geld davon. Eine Untergrundorganisation aus Inhaberinnen und Inhabern plant nun erste eigene Schritte. Eine Whistleblowerin berichtet.
Da Schließungen – vor allem über mehrere Tage – rein gar nichts bringen und die leiseste Provokation den guten Draht zum Bundesgesundheitsministerium (BMG) gefährden würde, wählt die Abda die modernste Variante überhaupt, um auf die Barrikaden zu gehen: eine Social-Media-Kampagne. Die ersten Entwürfe präsentierte die Standesvertretung bereits: „Plakate, irgendwas durchgestrichen, das rettet unsere Apotheken wohl kaum“, beklagt eine Apothekerin, die unerkannt bleiben will. Denn: Sie gehört einem Zusammenschluss verzweifelter Inhaberinnen und Inhaber an, die ihr Schicksal jetzt selbst in die Hand nehmen wollen.
„Uns geht das Geld aus, viele von uns werden die nächsten Wochen finanziell nicht überleben“, weiß die Whistleblowerin aus erster Hand. Und während das BMG argumentiert, an der Einnahmenseite nichts machen zu können und deswegen die Ausgabenseite in den Blick zu nehmen, machen es die Pharmazeutinnen und Pharmazeuten genau anders herum. Sie haben sich gemeinsam neue Einnahmequellen für ihre finanziell strauchelnden Unternehmen überlegt.
„Die Arbeit auf Social Media lassen wir uns schon mal sponsern“, verrät sie. Dazu wird ihr Team Wasserzeichen bekannter Pharmakonzerne auf ihre Selfies, die im Zuge der Abda-Kampagne auf Instagram, Facebook & Co. gespielt werden, aufbringen. „Wir sprechen natürlich auch Werbeslogans ein und verlinken zu Herstellern, wenn der Preis stimmt.“ Mit einem Selfiestick wird selbstbewusst – allein oder im Team, mit Werbepräparat oder ohne – vor der Kamera posiert: #Pharmafluencer, #DeineApothekeVorOrt, #KommtVorbei.
Doch das ist noch längst nicht alles. Nicht nur ein zweites, sondern gleich drittes und viertes Standbein wollen sich die Apotheken aufbauen: Die verweiste Rezeptur wird als Escape-Room hergerichtet und zum Stundenpreis vermietet, man muss schließlich mit dem Trend gehen. Da es ohnehin zu viele Arbeitsplätze am HV gibt, werden einige PCs ausrangiert und eine Internetcafé-Ecke in der Offizin eingerichtet. Im Beratungsraum werden zukünftig Massagen und Wellnessbehandlungen durchgeführt: „Wenn wir Kompressionsstrümpfe anmessen können, sollte das doch kein Problem sein“, ist sich die Whistleblowerin sicher.
Dass der Bereich Kulinarik zukünftig angeboten wird, liegt natürlich auf der Hand; immerhin steht das Botendienstfahrzeug bereits vor der Tür. „Pizza aus dem Trockenschrank, Frozen-Yoghurt aus dem Topitec und das gekochte Frühstücksei aus dem Wasserbad; alles ist möglich“, stellt die Inhaberin in Aussicht. Eine eigene Laugengebäck-Manufaktor oder selbstgebrannter Schnaps stehen derzeit auch zur Diskussion.
Damit das neue Allround-Konzept die Kunden nicht völlig überfordert, werden bewährte Services weiterhin angeboten: „Natürlich gibt's Zeitungen oder saisonal auch Kalender dazu“, versichert die Apothekerin. Die kann man wunderbar als Vehikel für die apothekeneigene Speisekarte oder den nichtpharmazeutischem Angebotsflyer nutzen: eine echte Win-Win-Situation!
Der Backoffice-Bereich gleicht zukünftig einem Callcenter: Hier wird jedwede Bestellung von den PKA angenommen, hier werden die aufkommenden Aufträge koordiniert. Das ganze Team wird somit eingespannt. Alle ziehen an einem Strang, jedes Teammitglied ist wichtig.
Ganz anders gestaltet sich die Ausrichtung der standeseigenen Kampagne: Hier wird insbesondere die Rolle der Apotheker:innen betont. Also passend zur Haltung: Warum es keine Apotheke ohne Apotheker:in geben darf. PTA und PKA gehen einmal mehr in der ihr aufoktroyierten Unwichtigkeit unter.
Protestvorreiter Hessen geht mit nur teilweiser Rückendeckung auf die Barrikaden. Die Abda positioniert sich dagegen, andere Verbände meinen, ein Protestrotest funktioniere nur, wenn alle mitmachen. Auch die Apotheker:innen sind hin und hergerissen; warten ab, was ihre Verbände und Kammern sagen, warten ab, ob der Kollege nebenan dichtmacht oder nicht. Es bräuchte mehr Geschlossenheit gegen die Pläne, die, sollten sie so wie im Referentenentwurf vorgesehen, kommen, schon genug Sprengkraft haben. Immer wieder wird Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgeworfen, er wolle einen Keil zwischen die Apothekenteams treiben, doch: Dieser Keil steckt bereits tief.