Warum bemerkten die Behörden nicht, dass Peter S. jahrelang Krebsmedikamente streckte? Zu dieser Frage musste heute vor dem Landgericht Essen die zuständige Amtsapothekerin aussagen. Sie hatte zuvor versucht, die Aussage zu verweigern.
Die Amtsapothekerin war verantwortlich für die Überwachung der Alten Apotheke. Zwischen 2001 und 2016 führte sie drei offizielle Kontrollen durch, bei denen die Panschereien aber unentdeckt blieben. In der vergangenen Woche hatte eine Pharmazeutin aus der Alten Apotheke ausgesagt, die Amtsapothekerin habe mit S. Kaffee getrunken, bevor die Kontrolle begann.
Die Amtsapothekerin sollte eigentlich schon im November aussagen, der Termin wurde aber wegen Krankheit verschoben. Gleich zu Beginn der Verhandlung heute beantragte ihr Anwalt ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht, wie das Recherchekollektiv Correctiv berichtet. Die Staatsanwaltschaft und die Anwälte der Nebenklage lehnten den Antrag ab. Die Verteidiger von S. wollen der Amtsapothekerin das Verweigerungsrecht zugestehen. Der Richter lehnte den Antrag schließlich ab, einzelne Fragen könne sie allerdings verweigern.
Sie sei immer mit S. und der Alten Apotheke in Kontakt gewesen, berichtete die Amtsapothekerin L., er sei immer sehr schnell gewesen. Als 2016 das neue Labor abgenommen wurde, habe es drei Mängel gegeben. Kurz darauf habe S. schriftlich gemeldet, dass diese beseitigt seien. Es sei üblich, dass sich Amtsapotheker das Abstellen von Mängeln per Unterschrift bestätigen lassen und nicht selbst vor Ort noch einmal kontrollieren.
Analysen der Infusionen seien nicht vorgenommen worden. L. habe nirgendwo Zyto-Proben gezogen. Es habe nach ihrem Kenntnisstand kein Labor in Deutschland gegeben, dass diese Proben hätte untersuchen können. Der Nebenklage-Anwalt verwies auf die Proben des Landeszentrums Gesundheit und des Paul-Ehrlich-Instituts. Die Amtsapothekerin sagte, diese hätten Vorlaufzeit gehabt und die Verfahren zunächst validieren müssen.
Laut L. gibt es einen Widerspruch zwischen einem Erlass des Gesundheitsministeriums und dem Gesetz. Das Gesetz sage, Proben seien zu ziehen. Der Erlass sage, Proben zu ziehen sei möglich. „Ich stand in engem Kontakt mit S. Wir haben Punkt für Punkt besprochen, wie man das umsetzen kann. Das ist auch eine Form der Überwachung“, sagte die Amtsapothekerin. Bei Kontrollen sei S. immer anwesend gewesen, Mitarbeiter alleine habe sie nicht gesprochen.
Die Amtsapothekerin war auch bei der Razzia in der Alten Apotheke anwesend. Dabei habe sie gesehen, dass Anbrüche nicht dokumentiert wurden. Im April 2016 kam ein Lehrer einer PTA-Schule in ihr Büro, um ihr mitzuteilen, dass in der Alten Apotheke Anbrüche nach Verfallsdatum verbraucht werden. „Ich habe ihm gesagt, dass das bekannt ist und bundesweit so gemacht wird“, zitiert Correctiv die Amtsapothekerin. Die Quelle des Lehrers kenne sie nicht, sie wisse nur, dass dieser Lehrer mit einem Mitarbeiter der Alten Apotheke befreundet sei.
Auf die Frage der Verteidigung, warum sie am Tag der Razzia das Zyto-Labor geschlossen habe, antwortete L., es habe der Verdacht der Unterdosierung von Medikamenten bestanden. Deshalb habe sie zum Schutz der Bevölkerung Sofortmaßnahmen ergriffen. Von der Razzia wusste die Amtsapothekerin laut eigener Aussage einen Tag vorher durch die Kripo.
Die Nebenklage befragte die Amtsapothekerin auch zum Projekt Zytok. Bei diesen Kontrollen wurden in ganz NRW Wirkstoffgehalte von Zytostatika überprüft. Die Stadt Bottrop berief sich auf datenschutzrechtliche Bedenken und nahm nicht teil. Es seien keine Proben aus Bottrop und der Alten Apotheke untersucht worden, sagte L. Laut Correctiv. Generell sei die „Aussagekraft des Projektes enorm geschmälert, weil 80 Prozent der Proben extra für das Projekt hergestellt wurden“.
Nach Beratung beschloss der Richter, dass die Frage, warum die Stadt Bottrop und die Alte Apotheke nicht am Projekt Zytok teilnahmen, nicht zulässig sei. Es bestehe kein Sachzusammenhang zum Fall, weil keine Proben aus der Alten Apotheke untersucht wurden.
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