Strukturwandel

Pfarrer, Arzt, Apotheker – mittwochs ab 13 Uhr geschlossen

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Berlin -

Erst geht der Pfarrer, dann der Arzt und dann der Apotheker – so lautet die Binsenweisheit über den Abwanderungssog auf dem Land. In der Gemeinde Neusäß nahe Augsburg vollzieht sich der Strukturwandel nach dem gleichen Muster. Erst verließen die Geschäfte den Ort und weil die Laufkundschaft wegbleibt, schließt Apotheker Robert Reisewitz seine Raphael-Apotheke mittwochnachmittags: „Da kommen jetzt nur noch wenige Kunden.“

Jetzt postete Reisewitz auf Facebook. „Liebe Freunde, sehr geschätzte Kunden, nach reifer Überlegung und den stetig sinkenden Kundenzahlen am Mittwochnachmittag, haben wir beschlossen, dem Trend zu folgen und ebenfalls die 'Pforten' am Mittwochnachmittag geschlossen zu lassen.“ „Oh je, schlimme Entwicklung“, antwortete ein Kunde.

Weil auch die einzige Arztpraxis am Ort mittwochnachmittags geschlossen hat, ist das Geschäft für die Raphael-Apotheke so gut wie gestorben. Das war früher anders: „Da gab es hier den Drogeriemarkt Schlecker, einen Metzger, eine Boutique, eine Post und ein Laden für Reiterbedarf“, so Reisewitz. Doch nach und nach haben in den vergangenen Jahren alle Geschäfte ihre Türen geschlossen.

Selbst die beiden Banken exitieren nicht mehr. Die Volksbank hat ihre Schalter zugemacht. Die Sparkasse fährt im Notbetrieb nur wenige Stunden in der Woche. Die Laufkundschaft sorgte früher für regen Betrieb. Jetzt herrscht am Standort der Raphael-Apotheke „tote Hose“. Gleich nebenan gibt es noch einen Friseurbetrieb und ein Reisebüro. Aber deren Kundschaft reicht nicht aus.

2001 hat Reisewitz die Raphael-Apotheke im Augsburger Vorort übernommen. Da lief das Geschäft noch gut. Sie war die einzige Apotheke im 5000-Seelen-Ort. Die Bewohner gingen hier einkaufen, es herrschte Betrieb. „Bis vor sieben, acht Jahren war alles gut“, so der Apotheker. Inzwischen hat sich Neusäß-Steppach zu einer reinen Wohn- und Schlafstätte entwickelt. Die Menschen arbeiten in Augsburg oder sogar München. Auf dem Weg zur Arbeit oder dem Heimweg erledigen sie ihre Einkäufe.

Und dann eröffnete kurz hinter der Ausgurger Stadtgrenze in 800 Meter Entfernung noch ein Ärztehaus mit einer eigenen Apotheke. „Das kann ich jetzt kaum noch stemmen“, sagt Reisewitz, der die Kredite für die Apothekenübernhme noch abbezahlen muss. Einen Vertretungsapotheker kann er sich nicht leisten. Nur eine PTA und eine PKA helfen ihm bei der Arbeit. Jeden Notdienst leistet er alleine – alle 24 Tage ist er dran. „Fällt der Notdienst auf einen Sonntag, komme ich erst Montagabend wieder ins Bett.“

Und wenn er mal in den Urlaub fahren will, muss Reisewitz seine Apotheke schließen, so wie zuletzt im August: „Betriebsurlaub“ hatte er auf ein Schild geschrieben. Außer mittwochs öffnet Reisewitz sonst seine Apotheke von 8.30 Uhr bis 13 Uhr und von 14 Uhr bis 18.30 Uhr. Wie lange das noch so geht, weiß er nicht. Reisewitz ist frustriert: „Gemeinsam mit dem vom Europäischen Gerichtshof aufgehobenen Boni-Verbot auf verschreibungspflichtige Medikamente und der ständig steigenden Eigenbeteiligung der Patienten sieht die Zukunft der kleinen Landapotheke sehr düster aus. Im internationalen Vergleich dürften sich selbst die großen Stadtapotheken schwer tun. Und der Countdown läuft weiter, während unsere Politiker die Brisanz nicht erkennen“, so der Aptheker.

Mit seinen Problemen steht Reisewitz nicht alleine da: Ein Apotheker aus einem 14.000-Einwohner-Ort erklärt, warum längere Öffnungszeiten seinem Betrieb nichts bringen: Apotheker Thomas Luft aus der Post-Apotheke in Edingen-Neckarhausen berichtet: „Wir sind hier ländlich geprägt und haben entsprechend schwache Öffnungszeiten.“ Edingen-Neckarhausen liegt im Rhein-Neckar-Kreis in Baden-Württemberg. „Wir liegen nicht ganz in der Pampa, haben Mannheim und Heidelberg vor der Haustür, aber wir können nicht wie ein Einkaufszentrum geöffnet halten. Zum Glück haben wir einen hohen Stammkundenanteil“, erklärt er. Die Post-Apotheke gibt es seit 37 Jahren, Luft führt sie in zweiter Generation.

„Wir machen zwei Stunden Mittagspause. Mittwoch haben wir von 8.30 bis 13 Uhr geöffnet, nachmittags haben wir geschlossen. Auch am Samstag sind wir von 8.30 bis 13 Uhr für unsere Patienten da. Wir können nicht von 8 bis 20 Uhr geöffnet haben. Das ist unserer Lage geschuldet, wir haben hier keine Frequenzlage“, erklärt der Neckarhausener Apotheker.

Auch er hat seine Öffnungszeiten den Ärzten im Umkreis angepasst: „Auch da haben einige mittwochnachmittags wieder geschlossen. Wenn die Ärzte nicht geöffnet haben, gibt es in der Apotheke keine Frequenz, das ist anders als wenn man als Apotheker im Einkaufszentrum ist. Einfach nur geöffnet zu haben, um geöffnet zu haben, ergibt an meinem Standort keinen Sinn.“

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