Was sind patientenindividuell hergestellte Zytostatikazubereitungen? Die arzneimittelrechtliche Definition beschäftigt derzeit die Gerichte. Eigentlich schien die Sache geklärt, als der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) 2012 entschied, dass der Prozess keine Rezeptur ist. Doch aktuell sehen es sowohl das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) als auch der Fünfte Strafsenat des BGH anders. In ihrer Urteilsbegründung erklären die Karlsruher Richter, warum sie – anders als ihre Kollegen – einen Apotheker freigesprochen haben, der nicht verkehrsfähige Arzneimittel eingesetzt hatte, und warum parenterale Zubereitungen als Rezepturen angesehen werden sollten.
In dem Fall ging es um einen Apotheker, dem vorgeworfen wurde, zwischen 2003 und 2007 zur Zytostatika-Herstellung Arzneimittel verwendet zu haben, die in Deutschland nicht zugelassen waren. Durch den Einkauf der Arzneimittel für insgesamt 1,2 Millionen Euro bei einem ausländischen Unternehmen soll sich der Apotheker einen Preisvorteil von mindestens 10 Prozent verschafft haben. Ihm wurde außerdem vorgeworfen, die Arzneimittel wie verkehrsfähige Ware abgerechnet und nicht auf ihre Herkunft hingewiesen zu haben.
Das Verfahren um den Braunschweiger Zytoapotheker läuft bereits seit August 2011: Weil der Angeklagte erkrankt war, war der Prozess kurz nach Beginn ausgesetzt worden. Aufgrund der Verzögerungen musste die Hauptverhandlung 2012 komplett wiederholt werden. Die Verteidiger zweifelten erfolglos die Unabhängigkeit des zuständigen Richters an. Nach elf Verhandlungstagen wurde 2013 die Entscheidung gefällt: Das Landgericht Braunschweig verurteilte den Apotheker mit Verweis auf das BGH-Urteil von 2012 zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten.
Ende des vergangenen Jahres beschäftigte sich nun der Fünfte Senat mit dem Fall und sprach den Apotheker frei. Das Urteil steht im Widerspruch zu dem des Ersten Senats aus dem Jahr 2012. Üblicherweise wird in solchen Fällen die Sache dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt. Beim aktuellen Fall sind die Richter aber der Überzeugung, dass ihrem Verfahren andere Maßstäbe zugrunde liegen: Es gehe weniger darum, wie Zytostatika-Lösungen zu definieren seien, sondern vielmehr darum, was seinerzeit Konsens war.
Grundsätzlich finden die Richter, dass es „vorzugswürdig erscheint, eine in der Apotheke zubereitete Zytostatika-Lösung als Rezepturarzneimittel einzustufen“. Sie verweisen dabei auf die Bedeutung der Wirkstoffkonzentration, deren individuell-patientenbezogen verordnete Dosierung erst im Rahmen eines vergleichsweise aufwendigen Herstellungsprozesses zustande komme. Außerdem seien die Apotheken besonderen Anforderungen unterworfen. Beim Herstellungsprozess fänden zudem auch die Bestimmungen der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) über Rezepturarzneimittel Anwendung.
Letztendlich komme es in dem Verfahren auf diese Frage aber gar nicht an: Entscheidend sei vielmehr, dass die maßgeblichen Verkehrskreise zur Tatzeit einhellig der Meinung gewesen seien, dass Zytostatika-Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln als Rezepturarzneimittel anzusehen seien.
Der Senat führt beispielsweise eine Richtlinie der Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) von 1998 an, sowie die Begründung des Gesetzgebers zur Änderung des Apothekengesetzes von 2002, in der Zytostatika-Zubereitungen ausdrücklich als Rezepturen bezeichnet wurden.
1999 seien in der von Apothekern und Kassen vereinbarten Hilfstaxe Regelungen für „Zytostatika-Rezepturen“ festgelegt worden, so die Richter weiter. Die im Tatzeitraum gültige Fassung habe den Anwendungsbereich auf parenterale Lösungen erweitert, zu denen aber weiterhin ausdrücklich „zytostatikahaltige Lösungen“ zählten. „Beide Spitzenvereinigungen stimmten mithin darin überein, dass in Apotheken herstellte Zytostatika-Zubereitungen als Rezepturarzneimittel abzurechnen waren“, stellten die Richter fest. Und auch der Verordnungsgeber sehe inzwischen ausdrücklich zytostatikahaltige Lösungen als nach Rezepturpreisen abzurechnende Arzneimittel an.
Da Zytostatika-Lösungen aber als Rezepturarzneimittel eingestuft wurden, kommt es aus Sicht der Richter bei der Erstattung der Zubereitungen „nur auf deren Verkehrsfähigkeit und nicht auf die der verarbeiteten Fertigarzneimittel“ an. Denn dass die Leistungspflicht der Kassen bei fehlender Verkehrsfähigkeit entfalle, gelte nur bei der Abgabe nicht zugelassener Fertigarzneimittel – nicht aber für Rezepturarzneimittel.
Als betrügerisches Verhalten kam aus Sicht der Richter somit lediglich in Betracht, dass der Apotheker bei der Abrechnung nicht die tatsächlich gezahlten Einkaufspreise angegeben hatte. Dies setze aber voraus, dass der tatsächliche Einkaufspreis für die Höhe des Erstattungsanspruchs von Belang gewesen wäre, weil der Einkaufsvorteil an die Kassen weiterzugeben gewesen wäre. Dies sei aber nicht der Fall gewesen, da den Krankenkassen selbst im Falle einer Offenlegung keine Abschläge zugestanden hätten, so die Richter.
Dass die Preise zugrunde gelegt werden durften, die in der Lauer-Taxe für ein entsprechendes zugelassenes Präparat genannt waren, ergibt sich demnach aus der Vorgabe einheitlicher Apothekenabgabepreise: Zur Tatzeit habe es keine ausdrückliche Regelung dafür gegeben, welche Einkaufspreise für die Abrechnung genutzt werden sollten, wenn das Fertigarzneimittel gelistet sei, so die Richter. Wegen des Gebots einheitlicher Apothekenabgabepreise habe dieses Problem nur durch einen Rückgriff auf die Referenzpreise der Lauer-Taxe gelöst werden können.
Mit der AMG-Novelle 2009 wurde die Regelungslücke geschlossen: Mit der Änderung der AMPreisV sind Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen von der Preisbindung ausgenommen. Apotheker und Kassen verhandeln seitdem über die Preise. Kommt zwischen ihnen keine Vereinbarung zustande, wird die Berechnung anhand der tatsächlichen Einkaufspreise vorgenommen.
Ohnehin dürfen seit 2012 laut Hilfstaxe nur noch Zytostatika abgerechnet werden, für deren Herstellung nur in Deutschland zugelassene und verkehrsfähige Arzneimittel verwendet wurden.
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