Schmerz- und Fiebersäfte für Kinder sind in Apotheken Mangelware. Nur vereinzelt sind noch Paracetamol- oder Ibuprofenpräparate verfügbar. Die ersten Apotheken reagieren bereits mit Alternativen aus der Rezeptur. Apotheker Dr. Nojan Nejatian sieht in den kommenden Wochen auch einen Engpass an Zäpfchen kommen und will vorsorgen. Er sicherte sich Paracetamol-Pulver und stellt in Absprache mit dem Regierungspräsidium Säfte auf Vorrat her.
Die aktuelle Situation bei Schmerz- und Fiebersäften sei „eine Katastrophe“, sagt Nejatian. Für den Inhaber der Heegbach Apotheke im hessischen Erzhausen ist dieser Engpass nur die „Spitze des Eisbergs“. Wichtig sei, die Menschen vor Ort weiter versorgen zu können. „Bei Tamoxifen habe ich nichts machen können.“ Doch die Aussicht, dass mittlerweile auch Paracetamol-Zäpfchen schwer erhältlich seien, alarmierte ihn. Denn Babys und Kleinkinder dürften nicht unter dem Engpass leiden.
Der Apotheker nahm sich Zeit und telefonierte verschiedene Anbieter von Rezeptursubstanzen durch. Letztlich erhielt er noch eine kleine Menge an Paracetamol-Pulver. „Allein das Bestellen der Ausgangsstoffe hat zwei bis drei Tage gedauert.“ Mit den zwei Kilogramm will er zunächst im Rahmen der Defektur rund 100 Säfte herstellen. Anfangs arbeitete er mit Tabletten, doch diese erschwerten die Prüfung. Die Produktion ist bereits angelaufen. „Wir haben noch Kirscharoma bestellt, da Paracetamol alleine sehr bitter ist.“
Auf Nachfrage bei der Aufsichtsbehörde habe es geheißen, dass er die Arzneimittel auf Vorrat herstellen dürfe. Denn Defekturen sind laut Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) nur erlaubt, wenn sie häufig durch Ärzt:innen verschrieben werden. Bei Nejatian kommen pro Woche bis zu 15 entsprechende Verordnungen in der Apotheke an. Doch wie bei jedem Rezepturarzneimittel sei auch diese Herstellung nicht wirtschaftlich, sagt er.
Wenn er die Anschaffung der Inhaltsstoffe sowie die Arbeitskosten addiert, kommt ein Betrag zusammen, der mit den Produkten von Generikaanbietern wie Ratiopharm für rund 3 Euro pro Stück nicht mithalten kann. „Wenn ich die Freistellung der Mitarbeiterin vom HV berücksichtige, müsste ich 20 Euro verlangen“, sagt der Apotheker. Doch ihm gehe es bei dem Angebot nicht um Gewinn. „Das ist eine Notsituation, ich will kostendeckend, aber nicht gewinnorientiert arbeiten.“ Er peilt rund 10 Euro pro Saft an. Wie hoch der Preis genau ausfällt, ist etwa bei durch Kinderärzt:innen veordnete Arzneimittel in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelt. Dort wird aufgelistet, wie hoch die Zuschläge für Rezepturen sind. Apothekenpflichtige Präparate unterliegen nicht mehr den Regelungen der AMPreisV.
Für Vor-Ort-Apotheken ergebe sich dadurch wieder die Chance, sich von Mitbewerbern abzuheben und der Politik zu signalisieren, wie „systemrelevant“ die Apotheken seien. „Wir können damit den geplanten Sparmaßnahmen etwas entgegensetzen“, sagt Nejatian. „Auch in diesem Mangel tragen die Apotheken wieder etwas bei.“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) müsse dies sehen und anerkennen. „Das BMG muss sich wie bei Tamoxifen regulierend einschalten. Man muss Anreize für die forschende Pharmaindustrie setzen, wieder hier in Deutschland zu produzieren.“
Der Inhaber fordert, dass sich angesichts des anvisierten Spargesetzes und der Erhöhung des Kassenabschlags nochmals alle Akteure des Gesundheitswesens mit Lauterbach an einen Tisch setzen sollen. „Man hat den Eindruck, dass seine Politik sich nicht für die Apothekerschaft interessiert. Obwohl wir in der Pandemie als verlängerter Arm des BMG gehandelt haben.“ Es müsse eine „nationale Einsparungskonferenz“ mit einem Expertenrat berufen werden.
Auch die Adler Apotheke Rhaunen stellt Schmerzsäfte für Kinder mittlerweile selbst her. Bis vor kurzem seien die Kinder wegen des Paracetamol-Engpasses auf Ibuprofen-Säfte umgestellt worden. Jetzt komme es hier auch zu Engpässen und teilweise Wartelisten für diese „Grundarzneien“. „Wichtig für uns als Apotheke vor Ort ist es jedoch, zu handeln und die Kleinsten nicht im Stich zu lassen.“ PTA stellten deshalb für Notfälle – „trotz enorm hohen Zeitaufwands“ – kleine Mengen her. Auch in der Adler Apotheke werden die Pläne von Lauterbach kritisiert: „Das wird die Apothekenanzahl weiter reduzieren.“
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