Der Switch von Rx auf OTC bietet den Apotheken nicht nur neue Indikationsfelder für die Selbstmedikation, sondern auch Potential für Umsatzwachstum. Doch nicht jeder Switch der vergangenen Jahre wurde zu einem Kassenschlager. Die Tops und Flops nach Zahlen von Iqvia.
In den vergangenen neun Jahren wurden zahlreiche Wirkstoffe in Deutschland aus der Verschreibungspflicht entlassen. Zu den bedeutendsten Arzneistoffen zählen laut Iqvia Orlistat, die Protonenpumpenhemmer Pantoprazol, Omeprazol und Esomeprazol sowie die Notfallkontrazeptiva Ulipristal und Levonorgestrel und die Glucocorticoide Mometason und Fluticason. Die jüngsten sind Ibuprofen als Schmerzpflaster und die Kombination aus Hydrocortison und Aciclovir zur Behandlung von Lippenherpes.
Jedoch haben nicht alle Wirkstoffe die Erwartungen erfüllen können. Der Hoffnungsträger Orlistat konnte die Umsatzziele beispielsweise nichterreichen. Nach einem kurzen Hoch folgten bald Umsatzeinbruch und Ernüchterung. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hatte den Wirkstoff Ende 2008 in einer Dosierung von 60 Milligramm aus der Rezeptpflicht entlassen. GlaxoSmithKline (GSK) hatte mit Roche als Anbieter des rezeptpflichtigen Orignalpräparats Xenical mit 120 Milligramm im Februar 2007 eine Lizenzvereinbarung getroffen. Im April 2009 kam Alli auf den Markt und durfte nur bei einem BMI von mehr als 28 abgegeben werden. Erst zwei Jahre später, Ende 2011, folgten die ersten Generika. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Euphorie längst verflogen. Die Nachfrage stieg trotz der günstigeren Preise nicht.
Die Einführungsphase war dank zahlreicher Werbemaßnahmen in Print und Fernsehen erfolgreich. Laut Iqvia wurde im Folgemonat der Einführung der höchste Umsatz erreicht, doch bereits im Juni gingen die Umsätze zurück. Im Dezember konnte nur noch ein Drittel des Umsatzes vom Mai erreicht werden. Im gesamten Jahr 2009 wurden etwa 400.000 Packungen abgegeben, im Jahr 2017 jedoch nur noch knapp 120.000 Packungen. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren – Nebenwirkungen oder Indikationsbeschränkungen könnten dazu beigetragen haben.
Mitte 2009 folgte der nächste Switch. Die Protonenpumpenhemmer (PPI) Omeprazol und Pantoprazol und wenig später Esomeprazol wurden aus der Verschreibungspflicht entlassen. Allerdings mit Einschränkung: Die PPI dürfen nur zu maximal 20 mg und in den Packungsgrößen 7 und 14 Stück im Rahmen der Selbstmedikation abgegeben werden. Der Anteil der verschreibungsfreien Ware ist in den Jahren kontinuierlich gestiegen, stagniert jedoch in den vergangenen Jahren. Waren es 2015 etwa 4,5 Millionen Packungen sind es im laufenden Jahr etwa 4,6 Millionen. Stabil sind auch die Zahlen in Bezug auf die Verordnungen. Zwar schwankt die Zahl der rezeptierten Packungen nur gering, dennoch nimmt die Anzahl der verordneten Tabletten zu. Dieser Sachverhalt kann auf das Verordnungsverhalten der Ärzte zurückgeführt werden. Nach Zahlen wurden mehr N2- und N3-Packungen und weniger Packungen der Größe N1 verordnet. Für den Zeitraum zwischen 2009 und 2016 ist eine Zunahme von etwa 1,6 Milliarden auf etwa 2,8 Milliarden Tabletten zu verzeichnen.
Der wohl umstrittenste Switch wurde im März 2014 vollzogen. Ulipristal und Levonorgestrel wurden als Notfallkontrazeptiva aus der Verschreibungspflicht entlassen. Der Absatz zeigt jedoch den Erfolg. Bereits in den Jahren vor dem Switch stieg die Zahl der Verordnungen kontinuierlich an. Waren es 2008 noch 57.000 Packungen zu Lasten der GKV und 298.000 auf Privatrezept wurden 2014 zu Lasten der Kassen 88.000 Verordnungen und 393.000 Privatrezepte gezählt. In den Jahren nach dem Switch verlagerten sich die Zahlen wie folgt: 2015 waren es 45.000 Packungen zu Lasten der GKV, 157.000 auf Privatrezept und 473.000 Packungen wurden im Rahmen der Selbstmedikation abgegeben. Ein Plus von 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
2017 wurden nur noch 20.000 Packungen auf Kosten der GKV abgegeben, denn die Pille danach wird für Frauen unter 20 Jahren von den Kassen übernommen, wenn eine ärztliche Verschreibung vorliegt, 60.000 Packungen wurden privat verordnet und 736.000 Packungen ohne Arztkonsultation abgegeben. Für 2018 wird ein Volumen von 800.000 Packungen im OTC-Geschäft erwartet.
Etwa ein Jahr ist es her, dass Mometason aus der Verschreibungspflicht entlassen wurde. Im Januar 2017 folge das Glucocorticoid Fluticason. Beide Arzneistoffe können seit dem Switch zur symptomatischen nasalen Behandlung der saisonalen allergischen Rhinitis in der Selbstmedikation angewendet werden. Voraussetzung ist, dass die Erstdiagnose durch einen Arzt gestellt wurde.. Außerdem ist die Anwendung auf Erwachsene und eine maximal zulässige Tagesdosis beschränkt. Es folgte ein Ansturm auf das OTC-Mometason. Die Zahl der abgegeben Packungen insgesamt liegt zwar auf Vorjahresniveau, jedoch ist eine Verschiebung zugunsten der apothekenpflichtigen Produkte zu verzeichnen. 2016 wurden etwa 4,7 Millionen Packungen verordnet, 2017 waren es noch 3,9 Millionen Packungen – ein Minus von 18 Prozent. Auf die Selbstmedikation entfallen etwa 1,2 Millionen Packungen, mit einem Abgabeschwerpunkt in der Allergiesaison zwischen März und Juni. Verlierer des Switches ist Beclometason, das schon einige Jahre zuvor aus der Verschreibungspflicht entlassen wurde.
Mometason hat Beclometason klar abgelöst – viele Allergiker waren dankbar, dass sie den Wirkstoff aus Nasonex (MSD Sharp & Dohme) endlich ohne Rezept bekommen konnten. Bereits im Oktober hielt der Newcomer einen Anteil von 17 Prozent; im März entfielen 59 Prozent aller Packungen auf den Wirkstoff. Beclometason kam auf 32 Prozent, Fluticason – im zweiten Monat nach dem OTC-Switch – auf 9 Prozent.
Ein Switch von Rezept- auf Apothekenpflicht kann zum einen auf Antrag des Herstellers oder auf Initiative des Gesetzgebers angestoßen werden. Beantragt ein Unternehmen einen OTC-Switch beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), vergehen im besten Fall neun Monate, bis dieser durch ist. Meist vergeht aber mehr Zeit. Nach Begutachtung und Sichtung wird eine Stellungnahme an den Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht gestellt. Dieser gibt dann eine Empfehlung für das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ab. Es folgt ein Antrag auf Änderung der Verschreibungspflicht und eine Weiterleitung an den Bundesrat, der zustimmt oder den Antrag abschmettert.
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