Abwanderung in Versandhandel

OTC-Preise: „Kaum noch an Kundschaft vermittelbar“

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Berlin -

Regelmäßig benachrichtigen Hersteller die Apotheken über Preiserhöhungen, gerade dreht sich die Preisschraube wieder. „Vor allem im OTC-Bereich kann ich den Kalender danach stellen“, erklärt eine Inhaberin, die namentlich nicht genannt werden will. „Vor allem die Schnelldreher sind oft mit dabei, manche Firmen erhöhen bis zu dreimal pro Jahr ihre Preise“, beklagt sie. Das Problem: „Die Politik nimmt das gerne als Argument, dass die Apotheken dadurch mehr Gewinn erzielen würden, aber das ist nicht wahr.“ Denn die Abverkaufszahlen nehmen im Vergleich zu den Vorjahren drastisch ab – weil die Kunden in den Versandhandel abwandern. Ein Teufelskreis droht.

Die Regelmäßigkeit der Preiserhöhung von OTC-Präparaten ist der Apothekerin schon lange ein Dorn im Auge. „Ich kann den Kalender danach stellen. Es sind überwiegend immer die gleichen Hersteller, die jedes Jahr zum selben Datum ihre Preise erhöhen.“ Am 1. Februar waren das beispielsweise Produkte von Stada, Ratiopharm, Hexal oder auch Bayer. Zum 1. April hat Reckitt bereits die Erhöhung seiner OTC-Preise bekanntgegeben; betroffen sind dann unter anderem Nurofen, Dobendan und Sagrotan.

Das Problem: „Die Politik argumentiert dann so, dass die Apotheken mit der Erhöhung der Preise automatisch den Gewinn steigern. Das ist aber ein absoluter Irrglaube, denn die Absatzzahlen gehen drastisch zurück“, erklärt sie. Das treibe die Kundschaft zum Versandhandel: „Mittlerweile liegt der Versandhandelsanteil bei lukrativen OTC-Produkten bei einem Drittel“, gibt sie zu bedenken.

Manche Hersteller würden die Preise bis zu dreimal im Jahr erhöhen. „Das ist schon frech, denn die hohen Preise sind für uns an den Kunden eigentlich nicht mehr vermittelbar“, so die Apothekerin. Was bleibe, sei das Anbieten von Alternativen: „Ich kann in der Beratung etwas Maßgeschneidertes für meinen Kunden raussuchen, denn oftmals braucht er beispielsweise ein teures Kombipräparat gar nicht. Oder ich kann statt des Originalprodukts einer bekannten Firma ein ähnliches, aber preiswertes Produkt verkaufen“, sagt sie. „Ich erkläre dem Kunden, dass sie oftmals auch die Werbung für bekannte Mittel mitbezahlen. Wir müssen deutlicher zeigen, dass Apotheke eben nicht immer nur teuer ist.“

Feilschen am HV-Tisch

Ähnliche Probleme schildert auch Nojan Nejatian, Inhaber der Heegbach-Apotheke in Erzhausen: „Manche Kunden kommen rein und zeigen mir ein Produkt, dass im Versandhandel viel preiswerter ist, und fragen mich, welchen Preis ich denn machen kann. Ich komme mir manchmal vor wie auf dem türkischen Basar, das hat nichts mehr mit einer Arzneimittelabgabe zu tun.“

Trotzdem bewahrt er in solchen Situationen auch seinen Humor: „Ich erkläre dann, dass es in den Apotheken eben nicht so läuft wie beim bekannten Baumarkt, der 20 Prozent auf alles außer Tiernahrung gibt. Hier findet individuelle Beratung statt“, so Nejatian.

Angestellte in Erklärungsnot

Was die Inhaberin besonders ärgert: „In Supermärkten oder Drogerien stehen einfach Präparate rum, die beratungspflichtig sind. Ich denke nicht, dass dort jede Mitarbeiterin auch einen Sachkundeschein hat, um bei Fragen der Kunden helfen zu können.“ In der Apotheke hingegen werde man drei- und vierfach kontrolliert. „Hier spaziert das Gesundheitsamt rein und schaut nach Lebensmitteln beziehungsweise nicht apothekenpflichtigen Mitteln, die wir verkaufen. Unterschiedlicher kann es nicht zugehen.“

Die Preisspiralen bringen die Angestellten in Erklärungsnot. Denn sie selbst kennen die Diskussionen am HV-Tisch zu Genüge. Bereits vor den aktuellen Erhöhungen kamen sie mitunter in Bredouille, wenn ihnen die Rabatte aus dem Versand vorgehalten wurden.

Was dabei untergeht: Damit die Versender solche „großzügigen“ Rabatte machen können, muss die Industrie zahlen. So kostet die Platzierung auf der Startseite oder mit eigenem Markenshop extra, von Werbekostenzuschüssen und Mengenrabatten gar nicht zu reden. Um die Marken bei den Online-Shoppern im Bewusstsein zu verankern, werden oft auch noch TV-Spots ausgestrahlt, was die Produkte dann noch teurer macht.

Apotheken außen vor

So laufen mittlerweile vor allem hochpreisige Medikamente regelrecht an den Apotheken vorbei. Phoenix-Deutschlandchef Marcus Freitag mahnte unlängst, dass gerade die teureren lukrativen Non-Rx-Produkte zunehmend aus der Offizin verschwinden und bei den niederländischen Versendern landen oder demnächst vielleicht bei Drogerieketten wie dm – dem „Endgegner“, wie Freitag sagte. „Das ist ein großes Problem für den Großhandel und die Apotheken vor Ort“, so Freitag.

Die Folgen seien in der Apotheke klar an der Ertragsverteilung zu sehen: „Früher gaben die Apotheken 70 Prozent Rx und 30 Prozent Non-Rx ab. Heute liegt das Verhältnis bei 90 Prozent Rx und nur noch 10 Prozent Non-Rx“, so Freitag. Daher sei es die Aufgabe der Politik alles zu tun, um die Vor-Ort-Apotheken zu stärken.

Nach Angaben von DatamedIQ und Insight Health liegt der Versandanteil im OTC-Bereich mittlerweile bei einem Viertel, doch Marken wie Priorin, Regaine oder Tebonin weisen deutlich höhere Quoten auf. Mit Konditionen mancher Unternehmen – ein Beispiel ist das Nahrungsergänzungsmittel Norsan, das auch über einen eigenen Webshop des gleichnamigen Herstellers vertrieben wird – können die Apotheken von vornherein gar nicht mithalten.

Eine weitere Apothekerin aus Bayern geht bei den hohen OTC-Preisen sofort in die Defensive: Wenn eine Kundin oder ein Kunde eine Salbe brauche und plötzlich 20 Euro auf den HV-Tisch legen solle, suche sie sofort nach günstigeren Alternativen. Sie erkläre dann, dass die Hersteller für den Anstieg verantwortlich seien.

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