„Retax ist Kassensport“ Alexander Müller, 18.01.2016 10:21 Uhr
Apotheker Wolfram Schmidt ist die Nullretaxationen wegen formaler Fehler auf dem Rezept leid. Der Inhaber der Mühlen-Apotheke in Northeim hat sich in einem offenen Brief an den Bundestagsabgeordneten Dr. Roy Kühne (CDU) gewandt und ihn zu einem Praktikum im Notdienst eingeladen. Dabei könne sich Kühne überzeugen, wie viele Rezepte eigentlich zurück zum Arzt gehen müssten.
Die Apotheker seien in der Vergangenheit von Krankenkassen und Politik damit vertröstet worden, dass das Problem von der Selbstverwaltung geregelt würde, schreibt Schmidt. Das sei allerdings nicht gelungen. Tatsächlich sind die mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) vorgeschriebenen Verhandlungen gescheitert, die Sache liegt derzeit bei der Schiedsstelle unter der Leitung von Dr. Rainer Hess.
Schmidt glaubt nicht mehr an ein faires Miteinander: „Einige Krankenkassen scheinen sich inzwischen einen Sport daraus zu machen, fehlende Punkte auf dem Rezept zu finden, ein nicht angebrachtes Ausrufungszeichens als Grund für Nichtbezahlung zu nehmen oder ein fehlendes Kreuz dafür zu nutzen, teilweise Kosten im fünfstelligen Bereich bei Kollegen nicht zu übernehmen“, so der Apotheker. Dies könne bis zur Existenzgefährdung gehen.
Der Apotheker hat auch kein Verständnis dafür, dass ein extra eingeführtes, maschinenlesbares Sonderkennzeichen nicht für Klarheit auf dem Rezept sorgen könne. Denn trotz Sonder-PZN müsse der Apotheker eine Abgabe im Notfall noch einmal handschriftlich bestätigen. Das Gleiche gelte für pharmazeutische Bedenken.
Auch eine maschinell aufgebrachte Mengenangabe „2x“ reiche nicht aus, sondern müsse zusätzlich mit einem Ausrufezeichen versehen werden. „Wenn ein BtM-Rezept mit ,laut schriftlicher ärztlicher Dosierung‘ versehen ist statt ‚gemäß schriftlicher ärztlicher Anweisung‘, führt dies zu Retaxationen“, empört sich Schmidt. Ein befreundeter Jurist habe ihm das nicht geglaubt. „Wir Apotheker/innen müssen es uns aber derzeit gefallen lassen“, so der Apotheker aus Niedersachsen.
Schmidt sieht es grundsätzlich. Aus seiner Sicht können die Apotheker angesichts dieser Verhältnisse ihrer gesetzlichen Pflicht der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln nicht nachkommen. Gerade im Notdienst könne das Apothekengesetz (ApoG) nicht umgesetzt werden. „Keiner kann von uns verlangen, dass wir – dringend benötigte – Arzneimittel abgeben, wenn wir dafür keine Bezahlung erhalten“, so Schmidt.
Bei konsequenter Beachtung aller Formalien könnte sonntags die Hälfte aller Rezepte nicht beliefert werden, weil minimale Fehler darauf seien, bemerkt der Apotheker. Denn die Bereitschaftsärzte und Krankenhausambulanzen machten häufig kleinere Formfehler. Immerhin seien auch sie in erster Linie dafür da, „die Volksgesundheit zu gewährleisten, nicht aber Formalien auf den Verordnungen zu beachten, ihre e-mail-Adresse zu vermerken, die Telefonnummer anzugeben, ihren Vornamen auszuschreiben etc“. Von orthographischer Prüfung der Verordnung stehe auch nichts im ApoG.
Schmidt lädt Kühne zu sich in die Apotheke ein. In einem Notdienst könne er dem CDU-Politiker in der Praxis zeigen, welche Verordnung eigentlich nicht beliefert werden können. „Unsere Apothekerkammer informiert uns, dass wir zur Belieferung verpflichtet sind, die Krankenkassen streichen uns aber die Vergütung“, erklärt Schmidt sein Dilemma.
Natürlich würden die Apotheker dafür einstehen, wenn sie falsche Produkte oder die nicht verordnete Packungsgröße abgeben, formale Fehler dürften aber nicht einer unheilbaren Retaxation führen. „So geht es nicht!“ Er kenne keinen anderen Wirtschaftsbereich, wo man einen Formfehler nicht innerhalb angemessener Zeit korrigieren dürfe. Eine nachträgliche Bestätigung des Verordners müsse anerkannt werden.
Schmidt bittet Kühne, dass der Gesetzgeber das Thema doch noch selbst regelt. Dazu soll der MdB einen entsprechenden Antrag einbringen. „Hierbei sollte per Gesetz oder Verordnung bestimmt werden, dass es für Krankenkassen unzulässig ist, wegen geringer formaler Fehler die Zahlung unzweifelhaft vollbrachter Leistungen zu verweigern.“ Die Kassen sollten verpflichtet werden, aufgrund ärztlicher Verordnungen sachlich richtig gelieferte Arzneimittel auch zu bezahlen.
Retaxationen seien mittlerweile zu einem der beherrschenden Themen für Apotheken geworden. Der Apotheker verweist auf Umfragen unter Kollegen und die umfangreiche Berichterstattung zu Retaxationen. Das zeige, welcher Zündstoff in diesem Thema liege.
Kühne ist Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags und hat sich schon einmal für die Apotheker eingesetzt. Nach einem Austausch mit Niedersachsens Kammerpräsidentin Magdalene Linz hatte sich der Politiker dafür eingesetzt, dass die Arztsoftware „retaxsicher“ werden soll. Mit dem E-Health-Gesetz werden die Praxen verpflichtet, ihre EDV in kürzeren Abständen zu aktualisieren.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Schmidt direkt an Apotheker wendet. Auch den damaligen Kanzleramtsminister Eckart von Klaeden (CDU) hatte er 2010 zu sich in die Apotheke eingeladen. Doch der heutige Daimler-Lobbyist sagte ab, Schmidt war über den Tonfall not amused. Jetzt hofft er auf mehr Verständnis für die Apotheker bei Kühne.
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