Das kann Apotheker Henning Denkler aus Remscheid nicht auf sich sitzen lassen. Auf die Ausführungen einer Kollegin, Apotheker seien die „Vollidioten des Gesundheitssystems”, erwidert er: Der Beruf sei toll! Eine Analyse des Jammerns und wie man seinen Beruf trotzdem lieben kann.
Der 43-Jährige betreibt zwei Apotheken, hat 25 Mitarbeiter und macht sich viele Gedanken über seine Branche. Er ist nicht blauäugig, im Gegenteil. Zuerst nimmt er alle Kollegen in Schutz, denen es wirtschaftlich nicht gut geht, denn die sollen und dürfen aus seiner Sicht jammern. „Wenn zum Beispiel ein Arzt schließt, dann hat der Apotheker ein Problem.” Auch die vielen Vorschriften und Gesetze und der Umstand, dass es früher bei einigen Apothekern besser lief, sind dem Pharmazeuten bekannt.
Er ist schließlich in einer Apotheke aufgewachsen. „Ich wollte nie etwas anderes werden als Apotheker“, erzählt er. „Ich habe es schon als Kind toll gefunden, wenn ich erlebt habe, wie mein Vater den Kunden helfen konnte.“ Und wie sich oft, wie von Zauberhand, aus Kindersicht Probleme lösten.
Denkler ist überzeugt: „Ich habe einen tollen Beruf. Wir Apotheker kümmern uns um die Gesundheit der Menschen, das macht Freude.” Dann macht er eine kleine Pause: „Schöner ist doch eigentlich nur noch der Beruf einer Hebamme, die das Leben auf die Welt bringt.” Also hat er den zweitschönsten Beruf der Welt, keine schlechte Quote.
Dass Apotheker gerne jammern, liegt aus seiner Sicht quasi schon in den Genen. Um es nachvollziehen zu können, müsse man einen Blick in die Geschichte werfen. „Früher gab es in jeder Stadt einen Stammtisch. Da saßen der Bürgermeister, der Lehrer, der Chef der Feuerwehr, der Pfarrer und der Apotheker”, sagt er. „Apotheker war ein wissenschaftlich hoch angesehener Beruf. Ich erinnere zum Beispiel an Dr. Oetker und dass Coca Cola von einem Apotheker erfunden wurde.”
Das Ansehen hat sich verändert. „Viele Kunden wissen gar nicht, dass man für den Apothekerberuf studieren muss. Der Beruf hat in der öffentlichen Wahrnehmung sehr gelitten. Wir sind für viele Menschen schnöde Einzelhändler geworden.” Schublade auf, Medikament raus, reich werden.
Doch so einfach ist es nicht. „Der Wettbewerb ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden, parallel dazu sind die Verdienstmöglichkeiten gesunken.” Das sind Tatsachen, die man nicht weglächeln kann. Dazu kommt: „Die pharmazeutische Kompetenz wird nach außen hin nicht gut vertreten. Nie lesen oder hören Sie in den Medien den Satz: ‚Wir haben den Experten aus der Hirsch-Apotheke eingeladen.‘ Stattdessen fragt man Ärzte. Im Vergleich zu Apothekern haben viele quasi gar keine Arzneimittelausbildung, weil es im Studium nur kurz behandelt wird. Viele wissen gut Bescheid, aber eben nicht alle. Ich bin mit vielen Ärzten befreundet, wir sind uns einig darüber, dass wir im selben Boot sitzen. Viele Ärzte sagen, dass sie ihren Beruf auch gern anders ausüben würden, aber die Wartezimmer seien voll und sie hätten keine Zeit, um ausführlich mit den Patienten über Medikamente zu sprechen.”
Ein Freund von ihm arbeitet als Arzt in Australien: „Der würde niemals ohne Apotheker auf Station gehen. Weil er sagt, dass dieser die Kompetenz mitbringt. Apotheker dürfen in Ländern wie zum Beispiel Schottland, USA und der Schweiz ungleich mehr als wir hier. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Deutschland das einzige Land ist, das es sich leistet, eine hochwertig ausgebildete und hochmotivierte Berufsgruppe einfach komplett links liegen zu lassen”, so Denkler. Ist das jetzt, siehe oben, gejammert?
Nein, denn Denkler möchte erklären, Ursachen finden. Und träumen dürfen. „Manchmal wünsche ich mir für die Apotheker einen Montgomery, der unsere Interessen vertritt. Er tritt kompetent auf und am Ende haben die Ärzte ein paar Millionen Euro mehr.” Schade, dass man den Mann nicht klonen kann.
Trotz aller Widrigkeiten: „Die Schönheit des Berufes liegt offen vor Dir”, schwärmt der Remscheider Apotheker. „Wenn ich engagiert bin, wird das vom Kunden sehr wohl wertgeschätzt. Und die Dinge, die wir machen ohne dass der Patient sie bemerkt und ohne dass wir Geld dafür bekommen, machen wir ja trotzdem gerne.” Lächelnd sagt er: „Wir Apotheker haben ein krankhaft ausgebildetes Helfersyndrom.”
Seine Philosophie: „Der Kunde muss, wenn er aus der Offizin geht, eine Nuance glücklicher sein, als er gekommen ist. Das ist möglich und sehr leicht.” Schon Zuhören wirke oft wie ein Wunder. „Wenn die Offizin voll ist und ich merke, jemand hat etwas auf der Seele, frage ich, ob er nicht vielleicht in 20 Minuten wiederkommen möchte”, sagt er. „Ich habe einmal in einer Apotheke gearbeitet, in der eine Patientin erzählte, dass gerade ihr Mann gestorben sei. Als ich sie zur Seite nehmen und trösten wollte, sagte mein Chef, ich solle sie wegschicken.” Weil Trost kein Geld bringt. Denkler war entsetzt.
Heute sagt er, seit 2016 selbst Chef, seinen Mitarbeitern: „Wenn Ihr merkt, dass ein Kunde über die Arzneimittel hinaus etwas braucht, möchte ich, dass dieser Bedarf gedeckt wird.” Seine Kunden wissen das zu schätzen. „Unsere Patienten wissen, dass wir uns gern Zeit nehmen.” Dass er deshalb zehn Euro weniger verdient, glaubt er nicht. „Die meisten Menschen wollen gar nicht viel, sie möchten ihr Herz erleichtern, ein bisschen jammern.” Ein guter Apotheker hört da gerne zu. Nicht stundenlang, aber angemessen.
„Es ist so einfach, in unserem Beruf Freude und Spaß zu haben”, sagt der Remscheider. Das mit dem Zuhören, davon ist er überzeugt, wird in Zukunft noch zunehmen: „Die Welt wird immer unsozialer und es gibt immer weniger menschliche Wärme. Früher ging man zum Bäcker, Metzger, in den Blumenladen, wenn man ein bisschen Ansprache brauchte.” Heute hat der Apotheker diese Funktion übernommen. Die Kunst liegt darin, dem Kunden ein Lächeln abzuringen: „Und davon zu zehren.” Und schon hat man den schönsten oder zweitschönsten Beruf der Welt.
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