Import-Retax

Apotheker dürfen Arzt nicht hinterfragen Alexander Müller, 21.04.2017 09:56 Uhr

Berlin - 

Die Rabattverträge sind den Krankenkassen das Allerheiligste – wichtiger als die Importquote und in dieser Konstellation sogar wichtiger als ein Substitutionsausschluss: Das Aut-idem-Kreuz müssen Apotheker ignorieren, wenn es im Verhältnis Original/Import einen Rabattvertrag gibt. Aus Sicht des Sozialgerichts (SG) Bremen sticht dagegen das Kreuzchen – selbst wenn der Arzt nur allgemein einen Reimport gewünscht hat. Die Richter haben eine Null-Retax kassiert und die Kasse zur Rückzahlung verpflichtet – mit einer erstaunlichen Begründung.

Eine Apothekerin hatte im Herbst 2013 eine Packung Copaxone (Glatirameracetat) abgegeben. Der Arzt hatte einen Reimport verordnet und das Aut-idem-Kreuz gesetzt. Die Software zeigte zwar einen Rabattvertrag für das Originalpräparat von Teva an, doch die Apothekerin hielt sich an den Substitutionsausschluss.

Die Kasse kündigte im Juni 2014 eine Retaxation von 1264,76 Euro an. Als der Einspruch der Apothekerin erfolglos blieb, erhob sie Klage vor dem Sozialgericht. Sie ist der Ansicht, es habe zwingend ein importiertes Medikament ausgegeben werden müssen, da der Arzt das Aut-idem-Feld angekreuzt habe. Zum Zeitpunkt der Abgabe sei zudem nicht zu erkennen gewesen, dass das rabattbegünstigte Originalpräparat tatsächlich günstiger gewesen wäre als das abgegebene Importprodukt.

Die Kasse dagegen pochte auf ihren Rabattvertrag. Dieser sei in der Software angezeigt worden, die Apothekerin habe daher gegen die Abgabebedingungen verstoßen. Die Nullretaxierung sei daher rechtmäßig gewesen. Das sah das Sozialgericht anders: „Die von der Beklagten vorgenommene Retaxierung erfolgte rechtswidrig“, heißt es in der Begründung, da die Apothekerin beziehungsweise ihre Angestellten „im Einklang mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften gehandelt haben“.

Aus Sicht der Richter waren die Voraussetzungen für eine Substitution nicht erfüllt, da der Arzt diese explizit ausgeschlossen habe. „Er hat mit seiner ärztlichen Verordnung eine Konkretisierung beziehungsweise Einschränkung dahingehend vorgenommen, dass er das abzugebende Medikament dem Produktnamen nach bezeichnet und mit dem Zusatz Reimport versehen hat. Damit hat er im Rahmen seiner Therapiehoheit als Arzt der abgebenden Apotheke Vorgaben gemacht, die von dieser nicht hinterfragt werden durften“, heißt es im Urteil.

Einen gewissen Spielraum gestehen die Richter der Apotheke aber überraschend zu: „Diese durfte allein ein Reimport ausgeben und musste lediglich innerhalb der zur Verfügung stehenden Reimporte eine kostengünstige Variante wählen“, heißt es in der Begründung. Und weiter: „Zwar mag es zutreffen, dass zwischen dem Reimport und dem Originalpräparat hinsichtlich Wirkstoff und Beiprodukten keine wesentlichen oder gar keine Unterschiede bestanden haben, so dass ein Austausch ohne weiteres möglich gewesen wäre.“

Mit abschließender Sicherheit könne dies jedoch nicht festgestellt werden, zumal gelegentlich hinsichtlich der Art der Spritzen und des Vorhandenseins von Hilfen zur Verabreichung des Medikamentes Unterschiede zwischen Reimport und Originalpräparat bestünden. „Nach Auffassung des Gerichts kann jedoch einem Apotheker nicht abverlangt werden, die ärztliche Verordnung insoweit infrage zu stellen und anstelle des ausdrücklich verordneten Reimportes das Originalpräparat auszugeben, selbst wenn für dieses ein Rabattvertrag bestand.“

Aus Sicht des SG Bremen kann es nicht sein, dass Apotheker eine ärztliche Verordnung im Hinblick auf ihre medizinische Sinnhaftigkeit überprüfen müssen. „Dies würde die Therapiehoheit des Arztes in unzulässigem Maße einschränken und gleichermaßen überhöhte Anforderungen an den Apotheker stellen“, heißt es im Urteil.

Die Bremer Richter verweisen unter anderem auf eine Entscheidung des SG Koblenz. In diesem Fall war allerdings ein Import namentlich und mit PZN verordnet worden, inklusive Aut-idem-Kreuz. Das Besondere am Koblenzer Urteil ist aber vor allem, dass sich Apotheker und Kassen im Rahmen der Selbstverwaltung darauf verständigt haben, es in der Praxis zu ignorieren und den Austausch anders zu handhaben.

Mit dem „Retax-Deal“ hatten der GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband (DAV) im Mai 2016 im Schiedsverfahren auch Regeln für die Substitution von Importen festgelegt. Nach dem neugefassten Rahmenvertrag dürfen Apotheken demnach trotz Aut-idem-Kreuz hier substituieren. Dasselbe gilt für namentlich verordnete Arzneimittel, solange das abgegebene nicht teurer ist. Die Vertragspartner haben sich darauf verständigt, das Urteil des SG Koblenz zu Importen nicht anzuwenden. Zum Aut-idem-Kreuz wurde übrigens auch noch vereinbart, dass dieses auch handschriftlich gesetzt sein darf. Über die Wirkung des Kreuzchens werden jetzt wohl weiter die Gerichte streiten: Das Urteil des SG Bremen, das allerdings einen Fall vor der Einigung betrifft, ist nicht rechtskräftig.