Unterstützen Pharmakonzerne wie Novartis gezielt Versender wie DocMorris auf Kosten der Apotheken vor Ort? Das behauptet ein Berliner Inhaber. Der Vorwurf wiegt schwer, doch er beruft sich auf Indizien: Arzneimittel, die monatelang weder über den Großhandel noch über Pharmamall verfügbar sind – bei Versandapotheken aber offenbar problemlos jederzeit bestellt werden können.
„Wenn ich diese Augentropfen dringend bräuchte, müsste ich sie in der jetzigen Situation selbst bei DocMorris bestellen“, sagt Jens Friedrich, Inhaber einer kleinen Kiez-Apotheke in Berlin. Eigentlich heißt er anders, er will seinen Namen aber nicht in den Medien lesen, weil er „keine Lust hat auf Ärger mit Herstellern und Großhändlern“, wie er sagt. Doch seine Geschichte wollte er dennoch los werden. Vergangene Woche stand ein Ehepaar in der Offizin und überreichte ihm ein Rezept vom Augenarzt: zwei Packungen DuoTrav 40 µg/ml+5 mg/ml Augentropfen von Novartis.
Da wusste Friedrich schon, dass er wahrscheinlich nicht helfen kann. „Die DuoTrav und deren Generika bekommen wir schon seit Monaten nicht mehr – und wenn, dann nur kurz und kontingentiert“, erklärt er. Er versuchte es dennoch und fand bei seinen Großhändlern: nichts. Also schaute er bei Pharma Mall. Auch dort: nichts. Es tue ihm leid, erklärt er dem Kunden, er habe die Augentropfen nicht da und wisse auch nicht, wann er sie wieder bekomme. Er solle es doch in einer anderen Apotheke versuchen.
Das habe er schon, erwidert der Kunde. Dort sehe aber auch nicht besser aus. Er habe das Rezept vor Ort einlösen wollen, um nicht so lange warten zu müssen. Denn online dauere es zwei bis drei Tage, bis das Medikament in Briefkasten liegt. Das machte Friedrich stutzig und siehe da: „Der Kunde hat dann noch am HV auf sein Smartphone geschaut und mir dann gezeigt, dass sie sowohl bei DocMorris als auch bei Shop-Apotheke verfügbar sind“, erinnert sich Friedrich. „Da dachte ich, ich falle vom Stuhl.“ Handelt es sich vielleicht nur um einen ungünstigen Zufall? Immerhin gibt es auf der Seite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) keinerlei Meldungen zu einem etwaigen Lieferengpass bei DuoTrav.
Es ist also Zeit, sich umzuhören: Fünf zufällig ausgewählte Apotheken in Deutschland sagen auf Nachfrage mehr oder weniger dasselbe: „Die hätte ich, wenn es die gäbe“, scherzt eine Apothekerin aus Bremen. Sie habe selbst erst kürzlich eine Patientin da gehabt, die DuoTrav-Augentropfen wollte. Sie habe sie unverrichteter Dinge wegschicken müssen. „Wir haben noch eine Packung auf Lager, aber lieferbar sind die nicht mehr“, so eine Apothekerin am anderen Ende von Deutschland, in Heidenheim an der Brenz. „Bei einem Großhändler kann ich im Moment welche bekommen“, sagt hingegen ein weiterer Apotheker aus Berlin. „Aber wir haben auch schon seit langer Zeit große Schwierigkeiten damit und Reimporte gibt es sowieso nicht mehr.“ Auch bei den beiden anderen Apotheken sieht es aus wie bei Friedrich: nicht auf Lager, nicht lieferbar.
Dass es schwierig sein könnte, die Augentropfen zu bekommen, sollte man beim Blick auf die Internetseiten von DocMorris und Shop-Apotheke eigentlich nicht vermuten. Dort ist keine Rede davon, dass etwas nicht verfügbar sein könnte. Ganz im Gegenteil prangen dort Banner mit „Bonus sichern!“ und „2,50 € Bonus“ auf dem Arzneimittel. Halten die Versandapotheken etwa hinterm Berg, wenn es um Lieferschwierigkeiten geht? Da muss man wohl persönlich nachfragen – doch das gestaltet sich auf Anhieb gar nicht so leicht. Bei den ersten Versuchen in der DocMorris-Hotline sind gute Nerven gefragt. Erst will eine Stimme aus der Dose, dass man per Taste angibt, weshalb man anruft, nur um dann zu sagen: „Leider kommt es im Moment zu langen Wartezeiten. Rufen Sie uns später erneut an. Der Anruf ist für Sie kostenfrei. Auf Wiederhören.“ Gespräch beendet.
Ein zweiter und dritter Versuch in regelmäßigen Abständen sind nicht viel erfolgreicher. Erst im vierten Anlauf ist ein lebender Mensch an der Leitung und gibt nach Angabe der PZN freundlich Auskunft. „Hier liegen keine Meldungen zu Lieferschwierigkeiten vor, das ist eigentlich immer lieferbar“, sagt er. Noch schneller geht es bei Shop-Apotheke. „Sieht gut aus. Reichlich auf Lager und sofort lieferbar“, sagt ein ebenso freundlicher Mitarbeiter beim ersten Anruf, räumt aber auf Nachfrage auch ein, dass er nur auf das jetzige Lager schauen könne und nicht wisse, ob es eventuell von Herstellerseite Engpässe geben könnte – alles betont im Konjunktiv.
Dabei produziert Novartis nach eigenen Angaben mehr als genug von DuoTrav-Augentropfen: „Aufgrund ungewöhnlich hoher Nachfrage könnte es möglich sein, dass die Reichweiten beim Großhandel zeitweise gering sind, obwohl die Belieferung durch Novartis den Bedarf für den deutschen Markt bequem deckt“, antwortet der Konzern auf die Frage nach möglichen Engpässen. Warum es keine Meldung beim BfArM gibt, obwohl DuoTrav vielerorts nicht verfügbar ist; wie es sein kann, dass es in Vor-Ort-Apotheken seit mehreren Monaten Lieferschwierigkeiten gibt, bei Versendern aber nicht; ob Novartis bevorzugt an Versandapotheken liefert und ein Interesse daran hat, diese gegenüber den Präsenzapotheken zu stärken – all diese Fragen lässt das Unternehmen unbeantwortet.
Stattdessen sieht Novartis mögliche Gründe in der Politik: „Eine weitere Ursache können die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen – unter anderem Festbetragsregelungen – sein. In Deutschland ist das Preisniveau niedriger als teilweise im europäischen Ausland, was zu einem Abfluss von für den deutschen Markt bestimmter Ware führt. Damit kann es zu Lieferengpässen kommen, obwohl Novartis den deutschen Markt mehr als ausreichend beliefert.“ Für die Apotheken hat der Konzern aber noch einen gut gemeinten Rat: „Gegebenenfalls“ könne eine Nachfrage der Apotheke bei mehreren Großhändlern hilfreich sein. „Auch die rechtzeitige Vorbestellung oder gegebenenfalls die Bevorratung der Apotheke mit DuoTrav als Lagerartikel wäre eine Option.“
Aus Friedrichs Sicht hingegen ist die Sachlage auch ohne eine Stellungnahme von Novartis klar, es gehe um den Kampf zwischen kapitalgesteuerten Verandkonzernen und inhabergeführten Kleinbetrieben: „Die Konzerne unterstützen den Versandhandel gezielt. Es ist eine bodenlose Frechheit, wie man mit den Apotheken vor Ort umgeht!“ Er zeigt sich überzeugt, dass Hersteller wie Novartis den großen Versendern bevorzugt Ware verkaufen. „Der Industrie sind die kleinen Apotheken vor Ort doch nur noch ein Dorn im Auge, allein schon, weil es sich viel mehr lohnt, in großen Gebinden zu verkaufen“, sagt er. „Dort können die ihr ganzes Portfolio viel besser unterbringen als in kleinen Apotheken. Denen ist doch egal, ob ihre Produkte in Apotheken verkauft werden oder in einer Schütte im Aldi.“
Und die gemutmaßte Strategie von Novartis gehe auf: „So entsteht beim Verbraucher der Eindruck, dass er im Versand alles kriegt und in der Apotheke nichts.“ Dieser Zustand werde von der Politik nicht nur geduldet, sondern gefördert, schließlich entspreche er der Vorstellung, dass nur durch den Versandhandel eine flächendeckende Versorgung gewährleistet werde. „Und in dem Fall hier hätten die ja damit sogar recht!“, empört er sich. Für Friedrich ist das vermutete Vorgehen von Konzernen wie Novartis ein Puzzleteil in einer größeren strukturellen Entwicklung hin zu einer Konzentration der Gesundheitsversorgung in den Händen einiger großer Aktiengesellschaften und Investoren. „Die Industrie sollte nicht so tun, als wäre sie unser Freund. Die Mittelständler sind das vielleicht, nicht aber die großen Konzerne. Wir sind hier in einer knallharten Schlacht und die fallen uns in den Rücken.“
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