Pille danach

Frauenärzte: Apotheker müssen falsch beraten

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Berlin -

Die „Pille danach“ an der Notdienstklappe – seit einem Jahr ist Wirklichkeit, wovor die Frauenärzte so nachdrücklich gewarnt hatten. Die Apotheker sind mit dem OTC-Switch zufrieden, doch die Mediziner haben noch keinen Frieden damit gemacht. Aus Sicht von Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF), werden Notfallkontrazeptiva heute zu oft abgegeben – weil die Apotheker falsch beraten.

ADHOC: Sind die Apotheker schuld, dass mehr Notfallkontrazeptiva abgegeben werden?
ALBRING: Apotheker haben nach einer – weniger als einstündigen – gynäkologischen Schulung kein endokrinologisches Grundwissen, das es ihnen ermöglichen würde, eine individuelle, ausführliche Zyklusanamnese beziehungsweise eine Bewertung eines Pillenfehlers vorzunehmen. In Situationen, in denen ein Frauenarzt entscheiden kann, dass trotz eines ungeschützten Geschlechtsverkehrs eine Empfängnis nicht möglich sein kann, muss ein Apotheker im Zweifelsfall lieber eine „Pille danach“ aushändigen. Dadurch nehmen mehr Mädchen und Frauen diese hochdosierten Arzneimittel ein als notwendig und setzen sich den Nebenwirkungen aus. Das ist nicht zu ändern und politisch gewollt.

ADHOC: Beraten die Apotheker insgesamt gut oder schlecht?
ALBRING: Das können wir im Einzelfall nicht beurteilen. Jedoch stellt die Bundesapothekerkammer bis heute keine vollständigen und korrekten Curricula und Handlungsempfehlungen für Apotheker zur Verfügung.

ADHOC: Es gibt doch eine Hilfestellung von der Bundesapothekerkammer.
ALBRING: Die Dokumente auf der ABDA-Homepage sind nach wie vor auf dem Stand vom 28. Januar, wobei damals schon wichtige Fakten fehlten. Die ABDA hat dann auf die Einwände der Frauenärzte hin – wir haben uns im März an Friedemann Schmidt, Martin Schulz und auch an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe gewandt – im April erneut um Kommentierung gebeten. Diese ausführliche Kommentierung haben die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Geburtshilfe, die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Berufsverband der Frauenärzte gemeinsam verfasst.

ADHOC: Was ist aus dieser Empfehlung geworden?
ALBRING: Sie ist zeitgerecht bei der ABDA eingegangen. Was die ABDA mit diesen Texten dann gemacht hat, ist uns nicht bekannt. Jedenfalls wurde wohl eine überarbeitete Fassung der Curricula und Gesprächsempfehlungen von der ABDA im Juni ans BMG gegeben, das im Juli eine Fassung dieser Texte an die ABDA als verbindlich zurückgegeben hat, die in vielen Punkten die Positionen der frauenärztlichen Institutionen aufgegriffen hat. Der ABDA hat das wohl nicht gepasst: Seitdem werden diese Texte unseres Wissens erneut blockiert, obwohl sie sogar das „Siegel“ des BMG tragen.

ADHOC: Welche Folgen hat das für die Beratung?
ALBRING: Die Apotheker Deutschlands haben unseres Erachtens bis heute keine umfassenden und fachlich korrekten Unterlagen ihrer Bundesapothekerkammer für die Beratung zur Notfallverhütung erhalten. Unvollständige und damit dann auch falsche Beratungen von Mädchen und Frauen sind so keine unerfreulichen Einzelfälle, sondern von der Bundesapothekerkammer und der ABDA verursacht.

ADHOC: Welche Fehler machen die Apotheker bei der Beratung?
ALBRING: Nach den fehlerhaften Empfehlungen der ABDA soll es angeblich keine Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen Levonorgestrel (LNG) und Ulipristalacetat (UPA) geben. Das ist nicht korrekt, UPA wirkt zu jedem Zeitpunkt der Einnahme zuverlässiger als LNG und verliert – anders als LNG – seine Wirksamkeit auch bei einem BMI über 25 nicht, sondern erst ab einem BMI von 30. Dann muss eine Kupferspirale gelegt werden. Apotheker, die sich an die Curricula ihrer Kammer halten, beraten also grundsätzlich unvollständig und fehlerhaft.

ADHOC: Wie sieht das in der Praxis aus?
ALBRING: Auf jeden Fall wird UPA auch nach dem OTC-Switch häufiger abgegeben als LNG, und das ist begrüßenswert, weil UPA zu jeder Zeit der Abgabe den Eisprung sicherer verhindern kann als LNG, und weil es bei erhöhtem Körpergewicht zuverlässiger wirkt.

ADHOC: Was muss bei dem moderneren Wirkstoff beachtet werden?
ALBRING: Vor der Einnahme vor allem von UPA sollte eine Schwangerschaft durch eine sorgfältige Zyklusanamnese ausgeschlossen sein; liegt die letzte Blutung länger als üblich zurück oder war sie schwächer als normal, so kann es sein, dass die Frau bereits schwanger ist. Ob Apotheker eine solche Anamnese vor der Abgabe von UPA immer durchführen, ist uns nicht bekannt.

ADHOC: Wie bewerten Sie das erste halbe Jahr mit der rezeptfreien „Pille danach“ insgesamt?
ALBRING: Die ersten sechs Monate sind im Prinzip so gelaufen, wie wir das erwartet haben. Die Verkaufszahlen sind um etwa 40 Prozent gestiegen, statt, wie von ProFamilia, Herstellern und der Politik – aus internationalen Vergleichen – ausgerechnet, um das Vierfache. Das bedeutet, dass es bei der vorigen Regelung mit der Rezeptpflicht keineswegs eine eklatante Unterversorgung gab. Da Apotheker keine Zyklusberechnung machen können und sollten, geben sie natürlich jeder Frau, die um die „Pille danach“ bittet, das Arzneimittel aus. Das entspricht auch unserer Empfehlung für das OTC-Szenario.

ADHOC: Warum sollten Apotheker keine Zyklusberechnung vornehmen?
ALBRING: Es gibt wenige Zeiten im Zyklus, zu denen man einen Eisprung von vornherein ganz sicher ausschließen könnte – weder kurz nach der Menstruation noch nach drei Wochen. Nur bei Frauen, die einen sehr regelmäßigen Zyklus, aktuell keine Reisen hinter sich, und keine großen Unregelmäßigkeiten in ihrem Tagesablauf haben, kann man einigermaßen zuverlässige Zyklusberechnungen machen.

ADHOC: Welche Rolle spielt der inzwischen bessere Bekanntheitsgrad der „Pille danach“ beim Anstieg der Abgaben?
ALBRING: Sicherlich spielt das eine Rolle. Man wird sehen, ob sich Frauen im ersten Quartal bevorratet haben, so dass vielleicht die Verkaufszahlen in Zukunft sogar wieder zurückgehen. Es ist aber auch wünschenswert, dass eine Frau nach ungeschützten Sex zu dieser Lösung greift, statt abzuwarten und einen Schwangerschaftsabbruch zu riskieren.

ADHOC: Wenn Frauen nachts keinen Gynäkologen erreichen, sind sie bei einem anderen Arzt oder in der Apotheke besser aufgehoben?
ALBRING: Diese Frage stellt sich heute nicht mehr. Die Politik hat sich für die Rezeptfreiheit entschieden. Ärzte sind geschult, Indikation und Diagnose zu erstellen. Apotheker beraten zu Nebenwirkungen und Kontraindikationen von Medikamenten. Frauenärzte hätten jedoch das Dispensierrecht für Frauenärzte und Ärzte im Notdienst für die Pille danach vorgezogen, weil die Frau die kompetentere Beratung zusammen mit der Pille danach in optimalen Räumen erhalten hätte.

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