„Wir sind Apotheker, die erst einmal helfen wollen“

Notdienst, Heimversorgung, Hilfskredit: Kollegen greifen sich unter die Arme

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Berlin -

Es ist der Tag nach der großen Unwetterkatastrophe: Während Helfer von Feuerwehr über THW bis Bundeswehr die schwersten Schäden beseitigen, müssen viele Apotheken in der Region ihr Bestes geben, um die Arzneimittelversorgung aufrecht zu erhalten. Entweder sind sie selbst betroffen oder sie müssen für betroffene Kollegen einspringen. Die Kooperation Invida versucht gerade beides: Sie hat 38 Apotheken, die überwiegend in den am schwersten getroffenen Gebieten liegen. Apotheker Dr. Michael Bur organisiert derzeit ein Hilfsprogramm für seine Kollegen – und schaut, wie die Heimversorgung in der Gegend aufrechterhalten werden kann.

Inhaber Michael Raber ist glimpflich davongekommen: Er hat zwei Apotheken nahe der Mosel in Trier. Seine Mosel-Apotheke liegt unweit des besonders schwer betroffenen Stadtteils Ehrang – die dortige Kylltal-Apotheke wurde komplett verwüstet, seine Mosel-Apotheke war nur indirekt betroffen. „Mit der Apotheke selbst ist nichts Schlimmes passiert, aber ich habe Mitarbeiter, die Opfer der Katastrophe sind, weil sie in Häusern wohnen, die überschwemmt wurden“, erzählt er. „Es ist wirklich schlimm für den Ort. Die Kylltal-Apotheke ist komplett ausgefallen, ich habe gestern schon versucht, zu der Kollegin Kontakt aufzunehmen, um zu schauen, wie wir ihr helfen können. Ich drücke den Kollegen dort wirklich die Daumen, dass sie schnell wieder auf die Beine kommen.“

Dabei hat Raber momentan selbst mehr als genug zu tun: Er versorgt mit seiner Mosel- und seiner St. Babara-Apotheke auf dem gegenüberliegenden Mosel-Ufer zwei Seniorenheime in der Gegend – doch beide mussten Donnerstagabend evakuiert werden. „Wir verblistern für beide Häuser und müssen jetzt herausfinden, wo die Bewohner sind. Denn die wurden nicht alle an denselben Ort evakuiert“, erzählt er. „Und das ist gar nicht einfach, denn wir haben ständig Stromausfälle, Telefone und Internet fallen oft aus – es ist gerade schwer, an Informationen zu kommen.“

Und hinzu kommt der Zeitdruck: Denn nicht nur müssen den evakuierten Heimbewohnern irgendwie ihre Arzneimittel gebracht werden – es muss auch erst einmal herausgefunden werden, wer was kriegt. „In den evakuierten Heimen ist ja auch die ganze EDV abgesoffen“, so Raber. „Nur wir haben noch die Medikationspläne. Jetzt müssen wir die raussuchen und versuchen, sie irgendwie den Pflegekräften zukommen lassen.“ Und hinzu kommen noch die regulären Patienten der betroffenen Apotheken im Umkreis. „Das Wochenende steht bevor, und viele Leute haben wegen der Katastrophe ihre Arzneimittel nicht bekommen. Wir müssen jetzt sehen, dass wir das alles noch vor dem Wochenende gewuppt kriegen und diese Menschen alle versorgt werden.“

Immerhin steht Raber nicht allein auf weiter Flur: Er ist Vorstandsvorsitzender des Apothekenverbunds Invida, der derzeit versucht, Hilfe für seine Mitglieder auf die Beine zu stellen. Die Organisationsarbeit übernimmt derzeit sein Vorstandskollege Dr. Michael Bur. „Uns geht es jetzt darum, erst einmal zu eruieren, bei wem welche Schäden aufgetreten sind und dann möglichst schnell Hilfe zur Verfügung zu stellen“, sagt er. Zuerst musste er herausfinden, wie viele Kooperationsmitglieder überhaupt betroffen sind: „Von unseren 38 Mitglieder liegen zehn im am schwersten betroffenen Gebiet“, erklärt er. „Ich gehe derzeit davon aus, dass acht Apotheken betroffen sind. Von sechs weiß ich es genau, zwei habe ich aufgrund der Situation noch nicht erreichen können. Ich weiß aber schon, dass eine davon massiv, die andere wirklich extrem beschädigt ist.“

Die einzelnen Kollegen seien momentan gar nicht zu erreichen, weil sie mit anderen Aufgaben wie Aufräumarbeiten beschäftigt sind. „Wir haben einige Apotheken dabei, bei denen – in Anführungszeichen! – nur der Keller vollgelaufen ist. Das ist natürlich schlimm, aber nicht unbedingt existenzgefährdend“, so Bur. Er wisse von einer Apotheke, dass sie ihr Labor im Keller hatte. „Das ist natürlich hinüber, aber zur Not kann man auch mal ein paar Wochen ohne Labor arbeiten. Wenn die EDV, der Kommissionierer oder das Lager zerstört sind, geht das natürlich nicht mehr.“

Er selbst habe Glück gehabt, seine Hirsch-Apotheke in Hermeskeil sei nicht betroffen. Für die weniger glücklichen Kollegen ist er seit Donnerstagmorgen durchgehend im Einsatz und versucht, auf mehreren Ebenen zu helfen. So versuche er, zu koordinieren, dass Apotheken für ihre Kollegen in die Bresche springen können, indem sie Lieferverträge für die Heimversorgung erfüllen können. „Da ist in manchen Apotheken die ganze IT ausgefallen, Medikationspläne fehlen, Telefon und Internet funktionieren nicht, aber die Heime müssen natürlich trotzdem beliefert werden“, erklärt Bur. Andere betroffene Apotheken seien in der Substitution aktiv – es müssen nun Kollegen gefunden werden, die deren suchtkranke Patienten versorgen. „Es macht sich hier im Umland gerade bemerkbar, dass wichtige Strukturen des Gesundheitswesens ausgefallen sind“, sagt Bur.

Doch die akute Hilfe zur Aufrechterhaltung der Versorgung ist nur die Spitze des Eisbergs. Auf die betroffenen Inhaber könnten harte Zeiten zukommen. „Wir überlegen gerade, wie wir den Kollegen schnell und unbürokratisch mit einem Sofortkredit helfen können. Denn bald stehen wieder größere Verpflichtungen wie die Lohnzahlungen an und wenn man in den kommenden Tagen oder Wochen Kosten hat, aber keine Einkünfte, weil man nicht arbeiten kann, dann kann man da schnell in Schwierigkeiten kommen.“ Das sei ein wichtiger Aspekt, den man im Moment nicht vergessen solle, „denn die Betroffenen haben gerade so unglaublich viel mit der akuten Notsituation zu tun, dass sie im Moment gar nicht ans Geld denken können.“

Die Frage ist nur: Wie macht man sowas? „Wir sind eine Einkaufskooperation und ein eingetragener Verein, aber keine Bank“, sagt Bur. Er wolle nun mit den anderen Mitgliedern einen Weg finden, Geld zusammenzulegen und es den betroffenen Kollegen zukommen zu lassen, damit die auch im Notfall ihre Rechnungen zahlen können. „Wie genau wir das machen, wissen wir aber selbst noch nicht.“ Auch sei der Verbund bereits im Kontakt mit dem Großhandel, um vorzufühlen, ob für die betroffenen Apotheken eventuell eine Stundung der Sammelrechnungen erreicht werden kann. Auch Lagerflächen würden er und seine Kollegen versuchen bereitzustellen, falls da aufgrund von Hochwasserschäden Bedarf herrscht.

Wie genau das alles funktionieren wird, kann Bur noch nicht sagen – er ist gerade dabei, an mehreren Fronten gleichzeitig Informationen zu sammeln, Netzwerke zu aktivieren und Pläne zu schmieden. „Wir sind Apotheker, die erst einmal helfen wollen und dann danach schauen, wie wir das alles in trockene Tücher kriegen“, sagt er. Der Verbund sei jedenfalls derzeit ein Segen. „Wir haben auch Pharmazieräte, LAV-Funktionäre und so weiter in unseren Reihen. Da kommen viel Kompetenz und Verbindungen zusammen“, erzählt Bur. „In solchen Situationen zeigt sich der Wert einer solchen Gemeinschaft.“

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