Städte leiden unter Entfernungsparameter

Notdienst: Bürgermeister kritisiert Verteilung

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Berlin -

Die Arzneimittelversorgung schränkt sich nicht nur auf dem Land weiter ein. Auch deshalb stellen Apothekerkammern vermehrt auf neue Notdienstsysteme um – vor einem Jahr war es Hessen, zuletzt Bayern. Auch Baden-Württemberg setzt seit Januar ein KI-gestütztes System ein. Der Bürgermeister von Hanau in Hessen, Dr. Maximilian Bierie (SPD), findet jedoch, dass die Stadt nicht mehr ausreichend versorgt sei, es sei eine Grenze überschritten. Er fordert einen gesicherten Apothekennotdienst für Städte. Bei Inhaberinnen und Inhabern erntet sein Vorstoß Kritik.

Der Softwareentwickler ist seit 2023 Bürgermeister der Stadt Hanau. Mit Gesundheitsthemen ist er vertraut. Der SPD-Politiker ist unter anderem Vorsitzender in den Aufsichtsräten des Klinikums Hanau und des Medizinischen Versorgungszentrums Hanau. „Eine verlässliche Gesundheitsversorgung darf keine Frage des Wohnorts sein“, betonte er. Es sei nicht hinnehmbar, dass in einer Großstadt wie Hanau mit über 106.000 Einwohnerinnen und Einwohnern der Apothekennotdienst an bestimmten Tagen nicht erreichbar sei.

Ältere leiden unter fehlenden Notdienst-Apotheken

Die aktuelle Situation belaste „vor allem ältere und weniger mobile Menschen erheblich“, sagte er. Sie „leiden unter der aktuellen Regelung, die an einigen Tagen keine dienstbereite Apotheke in Hanau ermöglicht.“ Dies müsse sich ändern. Zuspruch kommt – wenig überraschend – von der SPD Hanau, die seinen Beitrag als „wichtiges Thema“ einstuft.

„Als zentraler Standort für Gesundheit, Arbeit, Verkehr und Bildung im Rhein-Main-Gebiet fordere ich von der Landesapothekerkammer Hessen: Hanau braucht eine gleichberechtigte Notdienstversorgung – so wie jede andere kreisfreie Großstadt in Hessen auch.“ Mit der Notdienstreform in Hessen wurde im vergangenen Jahr die Entfernung zwischen den Apotheken von 20 auf 25 Straßenkilometer angehoben. Ausnahmen gab es für die Städte Frankfurt, Wiesbaden, Offenbach, Darmstadt und Kassel. Auch Hanau solle diesen Status erhalten, da die Stadt Anfang 2026 kreisfrei werde.

Notdienst nicht nur nach Entfernung festlegen

Seit Februar 2024 sei die Stadt „mehrfach in Kontakt mit der Landesapothekerkammer Hessen (LAK) getreten, um auf die Problematik der Notdienstplanung in der Stadt Hanau aufmerksam zu machen“, sagt er. Die Stadt spiele eine zentrale Rolle für die Region und stelle als Oberzentrum mit Kliniken und einem Krankenhaus der Maximalversorgung eine umfassende Versorgung sicher. „Eine reine Betrachtung der Entfernungen, wie sie in ländlichen Räumen üblich ist, spiegelt nicht die tatsächliche Erreichbarkeit für die Bürgerinnen und Bürger Hanaus wider. Die Organisation des öffentlichen Nahverkehrs nach Stadtgrenzen führt dazu, dass innerstädtische Entfernungen oftmals besser erreichbar sind als kürzere Wege über die Stadtgrenzen hinaus.“

Kritik aus Apotheken

In Apotheken stößt sein Vorstoß auf gemischte Gefühle: „Er jammert, wir seien schuld daran, dass es immer weniger Notdienst beziehungsweise weitere Strecken dorthin gibt, und sieht uns beziehungsweise die Apothekerkammer Hessen als Verursacher“, kritisiert eine Inhaberin. Der Bürgermeister verstehe die Zusammenhänge nicht. „Und jetzt kommt die SPD als Heiland, und fordert uns auf, das zu ändern. Die gleiche SPD, die das Gesundheitsministerium inne hat und zum Beispiel das Skonto-Urteil per Gesetz anpassen könnte oder das Rx-Versandhandelsverbot aussprechen könnte, um uns zu stärken.“

Dass in Hanau gar keine Apotheke für den Nacht- und Notdienst eingeteilt ist, kommt nicht häufig vor. Tatsächlich müssen die Stadtbewohner der Avoxa zufolge aber das nächste Mal am 24. Januar in das rund 5 Kilometer entfernte Maintal oder noch einen Kilometer weiter nach Erlensee fahren, wenn sie dringend Arzneimittel benötigen.

Auch sein Parteikollege Karl Lauterbach (SPD) will den Notdienst reformieren. Der noch amtierende Bundesgesundheitsminister schlug im vergangenen Jahr einen zentralen Apothekennotdienst in Notfallzentren vor. Diese sollten jedoch nur bis 21 Uhr geöffnet haben. Auch nahe Apothekenstandorte sollten für den Bezug von Medikamenten in Betracht kommen. Schon seit vielen Jahren wird diskutiert, ärztlichen Bereitschaftsdienst und Apothekennotdienst besser zu verzahnen.

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