Streit um Rufbereitschaft

Notdienst: Apothekerin verklagt Kammer

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Berlin -

In Hessen streitet eine Apothekerin mit der Kammer über den Notdienst. Weil nur wenig los ist, würde sie gerne von zu Hause aus arbeiten. Doch ihr Antrag auf Rufbereitschaft wurde abgelehnt – weil angeblich kein begründeter Einzelfall vorliegt. Jetzt muss das Verwaltungsgericht in Frankfurt entscheiden, in welchem Umfang die privaten und beruflichen Umstände zu berücksichtigen sind.

Eigentlich ist Cordula Eichhorn in einer komfortablen Situation. Die Inhaberin der Rathaus-Apotheke in Eppstein nordwestlich von Frankfurt hat nur alle 23 Tage Notdienst. Kein Vergleich zu anderen Kolleg:innen im Kammerbezirk, die teilweise zweiwöchentlich oder gar wöchentlich ran müssen.

Und trotzdem ist die Bereitschaft eine Belastung für die Apothekerin: Weil ihre approbierten Mitarbeiterinnen schon über 60 Jahre sind, will sie ihnen den Nachtdienst nicht zumuten. Mit exakt 120 Quadratmetern führt Eichhorn nach eigenen Angaben die „vermutlich kleinste Apotheke in ganz Deutschland“. Im Backoffice ist daher nur Platz für eine Klappliege. Bequem ist anders, findet Eichhorn.

Hinzu kommt, dass die Bereitschaft nur selten nachgefragt wird: Keine 15 Kunden hat sie während ihrer letzten Schicht am vergangenen Freitag bedient. Häufiger sind Anrufe, doch in neun von zehn Fällen geht es dann um Schnuller, Hustensäfte und andere Bagatellen. Auch mit Belästigung am Telefon hat Eichhorn schon Erfahrungen machen müssen. Am nächsten Tag steht sie dann oft wieder bis Feierabend in der Apotheke, die angespannte Personalsituation lässt es nicht anders zu.

450 Meter zur Apotheke

Vor diesem Hintergrund war Eichhorn überzeugt, eine gute Lösung gefunden zu haben: Ihr Lebensgefährte hat eine Wohnung in der Nachbarschaft der Apotheke, keine 450 Meter entfernt. Also beantragte die Apothekerin im Mai bei der Landesapothekerkammer (LAK) die Umstellung auf Rufbereitschaft. Dank Rufumleitung sei sie jederzeit auf dem Handy erreichbar und bei Bedarf innerhalb von zwei Minuten in der Apotheke.

Doch die Kammer lehnte ihren Antrag im Sommer unter Verweis auf die gesetzlichen Vorgaben ab. Nach § 23 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) muss sich der Apothekenleiter oder eine vertretungsberechtigte Person während der Dienstbereitschaft in „unmittelbarer Nachbarschaft zu den Apothekenbetriebsräumen“ aufhalten und jederzeit erreichbar sein. „Die zuständige Behörde kann in begründeten Einzelfällen einen Apothekenleiter auf Antrag von der Verpflichtung nach Satz 1 befreien, wenn der Apothekenleiter oder eine vertretungsberechtigte Person jederzeit erreichbar und die Arzneimittelversorgung in einer für den Kunden zumutbaren Weise sichergestellt ist.“

Für beide Szenarien seien die Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Wohnung des Lebensgefährten liege nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft: Sie stehe in keinem Bezug zu den Betriebsräumen, vielmehr werde der Weg durch andere Gebäude und Parallelstraßen unterbrochen. „Bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch kann hier, obgleich eine Strecke von 450 m fußläufig oder mit dem Fahrzeug zurückgelegt wird, von unmittelbarer Nachbarschaft nicht mehr die Rede sein“, so die Kammer. Allenfalls treffe es der weiter gefasste Begriff der „näheren Umgebung“. Insofern könne Eichhorn habe sich nicht einfach darauf berufen können, sondern korrekterweise einen Antrag auf Befreiung gestellt.

10 Minuten Wartezeit

Und den hätte man auf Grundlage der räumlichen Gegebenheiten auch genehmigen können, da die Wartezeit von zehn Minuten für die Kund:innen durchaus zumutbar sei. Doch laut Kammer bestehen Zweifel an der jederzeitigen Erreichbarkeit: „Ein Hinweis auf die Möglichkeit telefonischer Kontaktaufnahme, auch bei Nutzung von Mobiltelefonen, genügt dieser Anforderung nicht. Vielmehr muss eine Notdienstklingel vorhanden und auf ein Klingeln mittels Gegensprechanlage o.ä. reagiert werden können.“ Überdies müsse die Erreichbarkeit auch für die Wegstrecke zur Apotheke sichergestellt werden. Den Nachweis sei Eichhorn jedoch bisher schuldig geblieben. Die Apothekerin selbst argumentiert, dass sie über das Handy sogar Einblick in die Warenwirtschaft nehmen könne.

Doch selbst dann fehle es am gesetzlich geforderten „begründeten Einzelfall“ für eine Ausnahmeregelung, mit der „persönliche Interessen des Diensthabenden“ und die „jederzeitige Leistungsfähigkeit während der Dienstbereitschaft“ in Einklang gebracht werden sollen. Für Eichhorns persönliche Situation habe man zwar Verständnis: „Jedoch handelt es sich um keinen Grund, der für die Annahme des Ausnahmetatbestands genügt“, so die Kammer barsch.

Keine triftigen Gründe

So sei die Entscheidung, jeden Notdienst mangels Personal selbst zu übernehmen, ausschließlich wirtschaftlicher Natur und rechtfertige nicht die Annahme eines begründeten Einzelfalls. Auch andere Gründe wie hoher Krankenstand im Team und private Belastungen ließ die Kammer nicht gelten: Zwar könnten „triftige familiäre Gründe“ im Grundsatz ein Kriterium für die Annahme eines begründeten Einzelfalls sein. Eichhorns Kinder seien aber in einem Alter, das „keine unterbrechungsfreie Betreuung durch einen Erziehungsberechtigten“ mehr erfordere. Auch gebe es keine nahen Angehörigen, die derzeit gepflegt werden müssten.

Eichhorn ärgert sich maßlos über das Gebaren der Kammer. Offen und ehrlich habe sie im Antrag selbst ihre privaten Umstände dargelegt – nur um jetzt dermaßen „abgewatscht“ zu werden, wie sie es empfindet. Ihre Mutter habe sie bis zu ihrem Tod vor zwei Jahren unter großem Einsatz gepflegt, die Doppelbelastung habe massive gesundheitliche Auswirkungen gehabt, deretwegen sie auch in ärztlicher Behandlung sei. Und was ihre Kinder angehe: In einem der letzten Notdienste sei sie von Nachbarn angerufen worden, weil ihr 16-jähriger Sohn in ihrer Abwesenheit eine Hausparty veranstaltet habe.

Vergleichsweise wenig Stress

Die Kammer dagegen verweist noch darauf, dass Eichhorn mit ihrem Turnus im Vergleich zu anderen Kollegen doch gut aufgehoben ist. Und dass der Notdienst eine berufstypische Pflicht sei und für die Befreiung entsprechend hohe Hürden gelten müssten. „Ohne die Auswirkungen der Belastungen, denen die Klägerin unterliegt, schmälern zu wollen, unterscheiden sich diese jedoch nicht in einer solchen Weise von der wirtschaftlichen, privaten und gesundheitlichen Situation anderer Apothekenleiter oder vertretungsberechtigter Personen, dass ein Einzelfall angenommen werden könnte, der von der berufstypischen Bereitschafts- und Anwesenheitspflicht befreit.“

Um Eichhorn zu entlasten, habe man im Vorfeld eine Verkürzung der Öffnungszeiten angeboten. Doch die Apothekerin kann damit nichts anfangen: Sie könne doch nicht ernsthaft die Apotheke am Mittwochnachmittag schließen, wenn da bei ihr die Praxen geöffnet hätten.

Was Eichhorn zusätzlich ärgert, ist die Tatsache, dass in anderen Kammerbezirken ganz anders mit dem Thema umgegangen wird. In Bayern etwa könne man sich den Antrag auf der Website der Kammer herunterladen, auch in Thüringen werde proaktiv mit dem Thema umgegangen. In Frankfurt will man davon nichts wissen: „Wie andere zuständige Behörden Anträge bescheiden, obliegt allein ihrer Rechtsauffassung und ihrem Ermessen.“

Reform der Notdienstkreise

Schon seit längerem setzt sich Eichhorn für eine Reform der Notdienstkreise ein. „Nicht auszurechnen, was hier für die notdienstleistenden zahlenden Mitglieder an finanziellen und personellen Ressourcen, aber auch an Energie und Lebensqualität eingespart werden könnte, wenn sich die LAK Hessen etwas flexibler zeigen und die Notdienstkreise weiter fassen würde.“

Hintergrund ist, dass ihre Apotheke an der Grenze mehrerer Notdienstbezirke (Bad Soden, Rheingau-Taunus-Kreis, Wiesbaden) liegt. Im Umkreis von zehn Kilometern haben laut Eichhorn stets fünf Apotheken gleichzeitig Notdienst, im Umkreis von 15 Kilometern sind es sogar Betriebe. Legt man einen Radius von 25 Kilometern zugrunde, seien zuletzt zwischen 22 und 27 Apotheken dienstbereit gewesen, auch über Weihnachten und Silvester hätten die Kund:innen unter 20 Notdienstapotheken im Umkreis wählen können.

Und es tut sich etwas. Auch andere Inhaber:innen ärgern sich über das Vorgehen der Kammer; ein Drittel der Mitglieder ihres Notdienstkreises habe gegen die Verkürzung des Turnus zuletzt Widerspruch eingelegt, berichtet Eichhorn. „Da die Hoheitsgewalt der Kammern unantastbar ist, wurde dieser zur Kenntnis genommen, dokumentiert, allen Mitgliedern postalisch (!) zugesandt und – Überraschung – nicht stattgegeben.“ Eichhorn will nicht locker lassen. Gerade erst hat sich eine Whatsapp-Gruppe gegründet, in der sich Kolleg;innen über ihre Situation austauschen. „Was Sie da für Geschichten hören, macht einen sprachlos.“

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