Weihnachten ist das Fest der Familie. Man hat sich das ganze Jahr kaum gesehen und dann kommen alle auf einem Fleck zusammen und genießen die gemeinsame Zeit – so zumindest die Theorie. Allzu vielen Menschen in Deutschland bleibt das verwehrt, besonders oft Heilberuflern. Apothekerin Brita von Bothmer ist so jemand: Heiligabend sitzt sie allein in ihrer Hamburger Lilien-Apotheke und sorgt dafür, dass die Menschen selbst dann zur Apotheke kommen können, wenn ihnen etwas fehlt.
Von Bothmer zeigt sich dabei als vorbildliche Chefin. Sie ist selbst Mutter von vier Kindern und Oma von acht Enkelkindern, will den Dienst aber niemandem zumuten. „Das ist Chefsache“, sagt sie. „Als erstes bin ich dran und wenn ich den Dienst dann einem Approbierten geben würde, dann dürfte der keine Kinder haben.“ Zwei approbierte Apothekerinnen arbeiten in ihrer Offizin. „Eine ist Rentnerin, der will ich das nicht zumuten. Die andere hat vier Kinder, die alle nach Hause kommen, der will ich Heiligabend auch nicht nehmen.“
Sie selbst tut sich die Entbehrung an, will sich aber darüber nicht beschweren, sondern erklärt, dass es sie weniger hart treffe als ihre Angestellten. „Meine Kinder sind schon erwachsen und haben eigene Familien und die Familien ihrer Partner, die sie besuchen“, erzählt sie. Ich fahre vorher und nachher einzeln zu allen, dann habe ich sie auch gesehen.“ Wie es wird, weiß sie trotzdem noch nicht genau, denn es ist das erste Mal, dass sie sich Heiligabend allein in der Apotheke die Nacht um die Ohren schlagen muss. Bis 13 Uhr ist die Apotheke regulär geöffnet, danach sitzt sie bis neun Uhr morgens allein in der Offizin.
Und anders als viele Menschen in Deutschland ist von Bothmer gläubig, Weihnachten bedeutet ihr auch spirituell etwas. Sie gehe nicht jede Woche in die Kirche, anders als die meisten aber auch nicht nur an Weihnachten oder Ostern. „Ich hatte deshalb kurz überlegt, ob ich eine Kollegin frage, ob sie nicht eine Stunde für mich einspringen kann, damit ich wenigstens zur Mitternachtsmesse in die Kirche kann.“ Doch letztendlich wollte sie sie nicht belasten. „Auch wenn man mal nicht in die Kirche kann, hindert einen das nicht am Glauben“, sagt sie.
Eine Belastung sieht sie also schon darin, den Weihnachtsabend in der Offizin zu verbringen – gibt sich aber ihrem Schicksal hin. „Es macht mir schon etwas aus. Aber wenn man ja sagt zu dem, was man ohnehin nicht ändern kann, dann ist es einfacher.“ Außerdem sei sie ja auch nicht allein. Sie wisse, dass die Kollegin einer benachbarten Apotheke den Tag nach ihr Dienst hat und sie sich mit ihr austauschen kann, falls Bedarf besteht. Nur ihre Zeit absitzen will sie dennoch nicht. „Ich bin nicht hier, um meine Ruhe zu haben, sondern um zu helfen.“
Das hat sie aus der Familie. Denn schon ihr Vater Dr. Olaf Klingmüller war Apotheker aus Leidenschaft: Mehr als 50 Jahre stand er in der Offizin, erst nach schwerer Erkrankung hörte er mit 81 Jahren auf. 2012 hat von Bothmer den Betrieb von ihrem Vater übernommen. Der war aber nach ihren Kindheits- und Jugenderinnerungen nie zu Weihnachten abwesend. „Mir ist nicht bewusst, dass er Heiligabend mal nicht da war“, sagt sie. „Wahrscheinlich hat er jedes Mal eine andere Lösung gefunden.“
In ihrem Betrieb war das den bekannten Gründen nicht möglich. Also verdingt sich Apothekerin von Bothmer am 24. Dezember allein in ihrem Betrieb und versucht wieder das Positive an ihrem Los zu sehen: „Es ist schon ganz positiv, dass von meinen Kindern jeder bei sich feiert. Wenn alle auf einem Fleck wären, würde ich da unbedingt sein wollen.“ Etwas weihnachten soll es aber dennoch, auch wenn sie allein in der Apotheke sitzt: „Ich mache mir dann eine Kerze an und habe mir auch ein Radio organisiert, damit ich nicht allein singen muss.“
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