Der Schockmoment ist verdaut, der Ärger bleibt: Nachdem Inhaberin Kerstin Boragk im Januar Hals über Kopf ihre Apotheke räumen musste, weil das Deckengewölbe einsturzgefährdet war, musste sie Improvisationstalent zeigen. Seit mehr fast fünf Monaten arbeiten sie und ihr Team nun in einem Notquartier und müssen ständig 150 Meter über den Marktplatz laufen, um Labor oder Lager zu nutzen. Doch es geht voran: Die Löwen-Apotheken Großenhain wird nun saniert – und hat dabei ein paar Überraschungen zum Vorschein gebracht.
Die Mitarbeiter der Löwen-Apotheke wirken nicht so, wie man es sich in der aktuellen Situation vorstellen würde: Durchweg bester Laune scheinen alle zu sein, freundlicher könnten sie kaum werden. „Ich hoffe, das liegt auch an mir“, sagt Inhaberin Boragk scherzhaft. „Für meine Angestellten ist es natürlich gruselig. Denn die Arbeitsbedingungen sind gerade eine Katastrophe. Deshalb sage ich ihnen auch jeden Tag, dass ich größte Achtung vor dem habe, was sie gerade leisten.“ Denn in Boragks Sonnen-Apotheke ist Ausnahmezustand: Anfang Januar musste sie evakuiert werden. Ein Wasserschaden über dem Gewölbe der historischen Offizin destabilisierte die gesamte Decke. Es herrschte akute Einsturzgefahr. Also mussten Boragk und ihre Mitarbeiter schnell umsatteln: Durch glücklichen Zufall konnte sie Geschäftsräume auf der gegenüberliegenden Seite des Großenhainer Markts anmieten. Aus dem Stegreif bauten sie dort eine Behelfsapotheke hinein – in der Hoffnung, dass sie nur kurz dort bleiben werden.
Mittlerweile sind fast fünf Monate vergangen und aus dem Provisorium ist ein Stück weit anstrengende Routine geworden. Denn mehr als die Hälfte des Generalalphabets, Labor und Rezeptur sind noch in dem Teil des Gebäude, der nicht einsturzgefährdet ist. Für Boragk und ihre Mitarbeiter heißt das: Sie müssen ständig die 150 Meter von der Behelfsoffizin in die eigentliche Apotheke und zurück, um Ware zu holen. „Das ist schon ein logistischer Mehraufwand. Ich weiß nicht, wie viele Kilometer wir da am Tag zurücklegen“, erzählt sie. „Aber wenigstens hatten wir keinen Schnee und keinen Regen. Damit wäre es noch viel schwerer gewesen.“ Denn der Marktplatz ist mit ebenfalls historischem Kopfsteinpflaster belegt. „Da kann man leicht umknicken, wenn man eine schwere Kiste trägt und nicht nach unten schauen kann.“
Verletzt hat sich zum Glück noch niemand – und auch mit der Apotheke geht es voran. Das Deckengewölbe wurde mittlerweile mit einem umlaufenden Stahlbeton-Ringbalken gesichert, der zurzeit noch aushärten muss. Der befürchtete Einsturz konnte also abgewendet werden. Und noch mehr: Bei den Sanierungsarbeiten kamen einige historische Überraschungen in dem Gebäude aus dem 13. Jahrhundert zum Vorschein.
So wurde hinter einer Holzverkleidung ein historischer Apothekenschrank entdeckt, von dem Boragk selbst nichts wusste. Wie alt er genau ist, weiß niemand, fest steht nur, dass er sehr alt sein muss. Das Denkmalschutzamt will sich der Sache nun annehmen. Und es scheint kein einfaches Regal gewesen zu sein. „Der Schrank war offensichtlich durch Scharniere und eine Verriegelung besonders gesichert“, erzählt sie. „Es kann gut sein, dass darin damals die Betäubungsmittel aufbewahrt worden.“ Derartige Entdeckungen rufen immer auch den Denkmalschutz auf den Plan, was die Sanierungsarbeiten zusätzlich verkompliziert. So geschehen auch bei zwei historischen Schränken, die nun wegen der neuen Verankerung oben gekürzt werden müssen und bei Farbresten aus dem 19. Jahrhundert, die bei den Sanierungsarbeiten entdeckt worden.
Wie es damit weitergeht und was das für die Malerarbeiten bedeutet, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Denn eigentlich will Boragk bereits in ein paar Wochen die Maler anrücken lassen. Wenn alles gut geht, will sie spätestens Anfang September zurück in der alten Apotheke sein. Dann werden sie und ihr Team fast ein Dreivierteljahr in der 27 Quadratmeter großen Behelfsoffizin gewesen sein. Und in der haben sie mittlerweile auch schon einiges durchgemacht: Denn als wären Havarie und lange Wege nicht genug, kam im März auch noch Covid-19 hinzu. Und da sich das Virus herzlich wenig darum kümmert, ob es sich um ein Ausweichquartier handelt, musste auch dort mit Plexiglas nachgerüstet werden
„Corona haBen wir auch noch gemeistert“, sagt Boragk. „Wir haben sogar im alten Apothekengebäude noch literweise Desinfektionsmittel hergestellt.“ Der Kundenansturm im März ging natürlich nicht an ihr vorbei, „aber wir waren immer gut versorgt“.
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