Apotheken bauen Notversorgung auf

Not-Botendienst: 15 Minuten-Stopps im Hochwassergebiet

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Arzneimittel für Hochwasser-Opfer: Die Jesuiten-Apotheke im Kaufhaus Moses fährt zentrale Punkte im Katastrophengebiet an der Ahr an.Foto: Jesuiten-Apotheke im Kaufhaus Moses
Berlin -

In den vom Hochwasser stark betroffenen Regionen arbeiten Apotheken an schnellen Notlösungen. Heinz Brands aus Bad Neuenahr-Ahrweiler etwa bietet einen Not-Botendienst an, der an zentralen Punkten Kund:innen erwartet. Jürgen Lutsch aus Kall setzte sich für einen Notbetrieb in seiner zerstörten Apotheke ein. Nicht immer funktioniert dabei die Abstimmung mit den Behörden reibungslos.

Brands versorgt seit Anfang der Woche am späten Nachmittag drei zentrale Punkte in den Orten Mayschoß, Dernau und Rech. „Der Bote steht dort eine Viertelstunde, nimmt Bestellungen entgegen und gibt Produkte ab“, sagt der Inhaber der Jesuiten-Apotheke im Kaufhaus Moses. Vorher habe die zerstörte Infrastruktur kein Durchkommen zugelassen. „Eine geregelte Belieferung in die Orte ist auch jetzt noch nicht möglich.“ Dafür seien zu viele Häuser zerstört. „In einigen Orten offenbaren sich nur noch Ruinen. Da wohnen keine Menschen mehr.“

Die Nachfrage sei noch verhalten. Dem Apotheker zufolge liegt das daran, dass sich diese „neue Realität“ zunächst einspielen müsse. Wichtig sei, dass der Service regelmäßig angeboten werde. Im Fokus stehe aktuell Dauermedikation, so Brands. Die Erstversorgung mit Arzneimitteln nach der Katastrophe sei zunächst über Hilfsorganisationen und die Bundeswehr gelaufen. Diese zögen sich derzeit stückweise zurück. „Die Straßen sind größtenteils vom Schutt befreit und die Frequenz der Helfer wird geringer.“ Jetzt sei mehr Eigenversorgung gefragt.

Auch die Jesuiten-Apotheke in Bad Neuenahr war vom Hochwasser betroffen – jedoch weit weniger schlimm als Kolleg:innen in der Stadt. Das Untergeschoss inklusive Labor und Aufenthaltsräumen habe komplett unter Wasser gestanden. Der Verkaufsraum sei etwa 25 Zentimeter überflutet gewesen. „Wir konnten schnell in den Notbetrieb wechseln“, so Brands. Privat wohne er erhöht und habe deshalb Glück gehabt.

Apotheker Lutsch war in den vergangenen Tagen ebenfalls damit beschäftigt, schnell eine Notlösung für seine Kund:innen aufzubauen. Seine Linda Apotheke in Kall wurde komplett überflutet – der Inhaber konnte nur noch einen Totalschaden verzeichnen. Knapp eine Woche nach dem Hochwasser erhielt er die Freigabe, mit den Aufräumarbeiten beginnen zu können. Medikamente und Chemikalien seien ordnungsgemäß entsorgt worden. Erste Lösungen der Notversorgung, die wenige Tage nach der Katastrophe „mit sehr viel Aufwand“ gestanden waren, seien von der Kreisbehörde verboten worden.

Dirk Vongehr, geschäftsführender Vorstand beim MVDA, lobte die große Hilfsbereitschaft, kritisierte jedoch das Verhalten einzelner Apotheker:innen. „Da wird in den zerstörten Städten und Gemeinden versucht eine Notversorgung aufzubauen, schon kommen die ersten gierigen ‚Kolleg:innen‘ und wollen das Geweih der Platzhirsche zerteilen und an sich reißen.“ Notkonzepte würden torpediert sowie die betroffenen Kolleg:innen bei den Behörden angeschwärzt, um die Situation vor Ort für sich „auszuschlachten“. Dabei gehe es nicht um die Not der Menschen oder darum, kreative Lösungen zu unterstützen, „sondern allzuoft alleine darum, sich die Kund:innen der anderen zu grabschen, Heimversorgung abzugreifen und Profit aus der Not der anderen zu schlagen“, kritisiert Vongehr.

Letztlich setzte sich Lutsch durch und konnte am Montag „nun doch in enger Abstimmung mit den Behörden des Kreises Euskirchen“ den Notbetrieb in den noch Mitte Juli überfluteten Räumen der Apotheke aufnehmen. Die Räume seien „einigermaßen betriebsbereit“, die Öffnungszeiten noch eingeschränkt: Zunächst sei zwischen 9 und 14 Uhr geöffnet. Alle bis 10:30 Uhr vorliegenden Rezepte und Wünsche könnten noch am gleichen Tag zwischen 13 und 14: Uhr abgeholt werden, teilt Lutsch seinen Kund:innen mit. Zudem bietet er einen Botendienst an. Individuelle Rezepturen könnten noch nicht hergestellt werden. An der telefonischen Erreichbarkeit werde gearbeitet.

Das Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen verweist bei Fragen zur Notversorgung auf die Kreise und Städte. Im konkreten Einzelfall werde vor Ort entschieden, ob und unter welchen Bedingungen der Betrieb beschädigter Apotheken weitergeführt werden könne, sagt ein Ministeriumssprecher. „Die ambulante Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch Apotheken ist infolge der Unwetterkatastrophe vom 14. Und 15. Juli 2021 stark betroffen, aber nach Informationen der nordrhein-westfälischen Apothekerkammern weiterhin sichergestellt.“

Die Spendenbereitschaft für die Opfer des Hochwassers ist groß. Auch EL PATO Medien leistet einen Beitrag zum Wiederaufbau: Die beiden geschäftsführenden Gesellschafter Patrick Hollstein und Thomas Bellartz spenden alle Ticketeinnahmen der Digitalkonferenz VISION.A 2021 für die Flutopfer. VISION.A findet am 1. September 2021 zum sechsten Mal statt. Tickets gibt es hier.

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