Greetsiel ist ein beliebter Urlaubsort an der ostfriesischen Nordseeküste. Normalerweise leben hier 1500 Menschen, in der Hochsaison kommen zuweilen noch einmal so viele Urlauber und Tagesgäste hinzu. Sie alle können bei gesundheitlichen Problemen in die Apotheke der Gemeinde kommen. Zeit, um auch noch Impfzertifikate für Touristen auszustellen, hat Inhaber Wolfgang Schönfeld-Kaiser nach eigenem Bekunden nicht. Das brachte ihm jetzt Ärger mit einem wütenden Besucher ein.
Für viele Apotheken waren die Impfzertifikate im vergangenen Jahr eine gute Erlösquelle, um die Einbußen im Kerngeschäft wenigstens teilweise zu kompensieren. Immerhin 6 Euro können je ausgestelltem Nachweis abgerechnet werden. Doch in der Apotheke Greetsiel sieht man die Sache mit gemischten Gefühlen. Denn Schönfeld-Kaiser stemmt den Betrieb gemeinsam mit einer PTA und einer Reinigungskraft – außerhalb der Saison, wenn nur 20 Prozent seiner Kund:innen Touristen sind, genauso wie in der Urlaubszeit, wo der Anteil der Gäste doppelt so hoch liegt.
„Wenn jemand mit seinem Impfpass in die Apotheke kommt, fragen wir zunächst nach, ob er in der Nähe wohnt“, erklärt der Apotheker. Denn aufgrund der Arbeitsbelastung könne man den Service nur den Einwohnern anbieten. „Unsere Personaldecke ist extrem knapp“, sagt Schönfeld-Kaiser. „Wenn Sie schon einmal zu zweit 250 bis 300 Leute an einem Tag bedient haben, dann wissen Sie, was ich meine.“ Gerade in der Hochsaison sei das in seinem Betrieb das täglich Pensum – von 8.15 bis 18 Uhr mit zwei Stunden Mittagspause. Nur am Mittwochnachmittag ist die Apotheke geschlossen, die dafür auch am Samstagvormittag drei Stunden geöffnet hat.
Doch es geht dem Apotheker, der ursprünglich aus Schleswig-Holstein kommt und den Betrieb 1996 übernommen hat, nachdem dieser aufgrund eines Todesfalls ein halbes Jahr geschlossen war, nicht nur um die Arbeitsbelastung. Für ihn hat vor allem dei Arzneimittelversorgung absoluten Vorrang. „Wir legen sehr viel Wert darauf, unseren Kunden eine vernünftige Beratung zu ihren Medikamenten anzubieten“, sagt er. Gespräche von zehn Minuten seien daher die Regel. „Wir hören ziemlich oft von Gästen, dass ihnen solche Informationen noch nie jemand gegeben habe.“ Für ihn ist das der Kern des Apothekerberufs. Mit ein paar einfachen Fragen ließen sich viele Unklarheiten oder Probleme identifizieren und beseitigen – Schönfeld-Kaiser will nicht nur „Packungen über den Tisch schieben“.
Umso mehr ärgert er sich, wenn er dann hinterher negative Rückmeldungen bekommt. Negative Google-Bewertungen wegen angeblicher Unfreundlichkeit, Barzahlung bis zehn Euro oder der streng durchgesetzten Maskenpflicht hat die Apotheke zu Hauf. Doch jetzt hat es Schönfeld-Kaisers Betrieb sogar in die Lokalzeitung geschafft.
Nachdem er sich im mobilen Impfteam des Landkreises Aurich eine Corona-Auffrischungsimpfung hatte verabreichen lassen, wollte ein Urlauber vor kurzem in der Apotheke sein Zertifikat aktualisieren lassen. Als der Apotheker dies verweigerte, drohte der Mann mit einer Anzeige bei der „Innung“. In einem Leserbrief an die Ostfriesen-Zeitung machte er seinem Ärger schließlich Luft: Es sei die „schlechteste Überraschung“ gewesen, die er in den vergangenen zehn Jahren bei seinen Urlauben in Greetsiel erlebt habe. Das Vorgehen des Apothekers sei „nicht nur diskriminierend, sondern auch rechtswidrig“.
Immerhin: Unterstützung kam prompt vom Landesapothekerverband: Dessen Vorsitzender Berend Groeneveld bestätigte gegenüber dem Blatt, dass es jedem Berufskollegen selbst überlassen sei, an wen er Zertifikate ausstelle und an wen nicht. Es
handele es sich dabei nicht um eine Pflichtleistung. Apotheken obliege „die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung“. Zertifikate für Urlauber gehörten nicht dazu.
APOTHEKE ADHOC Debatte