Bereits beim Anflug auf Pjöngjang erlebt Apotheker Lars Schmitz* die strenge Hand des Regimes. Mitarbeiter der nationalen Fluglinie Air Koryo weisen auf das Fotoverbot hin: Luftaufnahmen sind nicht gestattet. Elf Tage reist der Pharmazeut durch das abgeschottete Land. Er besucht Apotheken, bringt Einheimischen heimlich Deutsch bei und ist vom „gelben Licht“ fasziniert. In zwei Jahren will er wieder in die Demokratische Volksrepublik Korea.
Nordkorea gilt als eines der für Ausländer am schwersten zugänglichen Länder. Diese Abgeschiedenheit reizt Schmitz. Der Apotheker schließt sich einer organisierten Rundreise an. Von Peking aus geht es zunächst nach Pjöngjang. Untergebracht ist er im Yanggakdo International Hotel mit dem berüchtigten 5. Stockwerk, das nicht in den Aufzügen als Anzeige erscheint. Vor Reisebeginn werden der kleinen Truppe die drei wichtigsten Verhaltensregeln genannt: Kein Militär fotografieren, keine Baustellen fotografieren und keine Personen ohne Erlaubnis fotografieren.
Spätestens in der Apotheke hält sich der Pharmazeut nicht mehr daran. Zufällig kommt er an dem Betrieb vorbei. Die Apotheke liegt in der Nähe eines Restaurants, das die Gruppe besucht. „Von außen hat man nicht erkannt, dass es dort Arzneimittel gibt.“ Nur ein Schild mit einem stilisierten grünen Kreuz und koreanischen Schriftzeichen verweist auf den Eingang zur Offizin. Hinter den vergitterten Fenstern befindet sich ein kahler Raum mit Glasvitrinen und einem Tresen.
Die Gruppe betritt das Geschäft, nachdem Schmitz sein Interesse bekundet hat. „Die Apotheke war für die gehobene Bevölkerung in Pjöngjang und nicht für Touristen.“ Eine Ärztin leitet den Betrieb, wie der Apotheker erfährt. Zwei Mitarbeiterinnen beraten Kunden. Die Angestellten betonen: „No photo!“ Schmitz macht dennoch Aufnahmen. „Das Risiko ist mir bewusst gewesen. Am Ende hat es dort keinen mehr gejuckt, dass ich fotografiere.“ Die Grenzen des Erlaubten übertritt er auch, als er einer jungen interessierten Kellnerin bei einem Restaurantbesuch später heimlich deutsche Vokabeln beibringt.
In den Apothekenvitrinen befinden sich zahlreiche Produkte aus Übersee: Generika von Biomo, Aliud und Ratiopharm aus Deutschland, Voltaren aus Frankreich, verschreibungspflichtige Produkte von Eli Lilly, Sandoz, Novo Nordisk sowie Nahrungsergänzungsmittel von Doppelherz aus Russland. Auch die dm-Eigenmarke „Das gesunde Plus“ taucht auf. Zudem gibt es eine reine Ginseng-Abteilung. „Die meisten Apotheken sind nur für den 08/15-Bedarf ausgelegt. Die Nordkoreaner werden über Kliniken mit Arzneimitteln versorgt“, so Schmitz.
Insgesamt besucht er zwei Apotheken. Generell ist die medizinische Versorgung landesweit äußerst unzureichend. Wegen des allgemeinen Mangels an Medikamenten, Verbandstoffen, medizinischen Instrumenten und Hilfsmitteln empfiehlt das Auswärtige Amt eine gut ausgestattete Reiseapotheke. Selbst spezielle Krankenhäuser für Ausländer böten nicht annähernd „westlichen“ Standard. Ernstere Erkrankungen müssten in Nachbarländern oder in Deutschland behandelt werden.
Eine freie Reise durch das Land ist untersagt. Spontane Unterhaltungen mit Nordkoreanern können dem Auswärtigen Amt zufolge die Angesprochenen in Schwierigkeiten bringen. Die Einschränkungen spürt auch Schmitz. Das Überqueren der Straße sei verboten, sagt er. Obwohl auf den breiten Autobahnen kaum Verkehr herrscht. Verstöße würden mit Geldstrafen geahndet. „Ich habe gedacht, das kriegt doch keiner mit. Aber überall stehen Menschen in komischen schwarzen Anzügen.“ Taxifahrer dürfen keine Ausländer mitnehmen. Deshalb fragen der Apotheker und sein Reisebegleiter, ob sie nach dem Abendessen nicht gemeinsam mit der Reiseleitung einen Spaziergang machen könnten, um mehr vom Land zu sehen. „Die Reiseführer waren weniger streng als erwartet.“ Immerhin durften sie sich rund 800 Meter vom Hotel entfernen.
Die Nordkoreaner verhielten sich generell ruhig, zurückhaltend und gesittet. „Die Menschen laufen in Reih und Glied.“ Alle Altersgruppen seien auf den Straßen zu sehen, jedoch keine behinderten Menschen. Barrierefreiheit gebe es nicht. In Pjöngjang sei man an westliche Touristen gewöhnt. Anders in der Hafenstadt Wŏnsan an der Ostküste: „Die Menschen haben uns angesehen, als wären wir von einem anderen Planeten.“ Auf den Autobahnen liefen Ziegenherden, die Straßen seien von Rissen und Schlaglöchern übersät.
Bei Überlandfahrten seien nur Agrarkulturlandschaften zu sehen. Bauern bearbeiteten die Felder mit Ochsen und Pflug, Reis werde mit der Sichel geschnitten. „Von kleinen Hochständen im Feld aus überwachen Soldaten die Ernte.“ Brückenbauarbeiten würden von 100 Soldaten händisch mit Hammer und Meißel durchgeführt. Die Straßen seien mit pinkfarbenen Wildblumen bepflanzt. Bei Wanderungen fällt dem Apotheker auf, dass keine Vögel oder andere Kleintiere zu hören oder zu sehen sind. „Während der Hungersnöte wurde alles aufgegessen“, so Schmitz.
Erwartungsgemäß werden der Gruppe bei der Rundreise vor allem die Prachtbauten und Monumente präsentiert. „Der Personenkult ist schockierend“, so der Apotheker. Was direkt negativ für das Image des Landes sei, werde nicht gezeigt. Doch bei den Fahrten zu Sehenswürdigkeiten kommt der Apotheker an abgewrackten Häuserzeilen und Menschenschlangen vor Einkaufsläden vorbei. Beim Besuch eines „landwirtschaftlichen Vorzeigebetriebs“ sieht er in der Kindertagesstätte „militärisch gedrillte Fünfjährige, die wie Soldaten marschieren“. Auf einem Spielplatz hat die Rutsche die Form einer Atomrakete.
Das Fotografieren wird Schmitz auch zum Verhängnis. Mehrmals verlangen die Staatsdiener sein Handy, kontrollieren die Bilder und löschen Aufnahmen. „Statuen und Bilder wie von Kim Jong-un dürfen nicht abgeschnitten werden. Auf dem Foto müssen die Figuren auch immer größer sein, als man selbst.“ Man stehe ständig unter Beobachtung. „Im schlimmsten Fall muss man das Handy abgeben.“ Deshalb ließ der Apotheker sein Privattelefon zu Hause und nahm ein Ersatzgerät mit, das er am Ende auch wieder mit nach Deutschland bringt.
Schmitz fand die Reise interessant. Die „Macht des Bildes“, mit der überall gespielt werde, sei imposant. Er besucht beispielsweise eine öffentliche Massen-Gymnastik-Parade, bei der Tausende von Jugendlichen im Hintergrund mit bunten Schildern für eine gigantische Farbanzeige im „LED-Look“ sorgen. Die Massenchoreografie und die Freude der Teilnehmer seien faszinierend gewesen.
Das schönste Erlebnis sei das das Herbstlicht gewesen. „Ich habe noch nie so ein gelblich-milchiges Licht gesehen.“ Wie in einem surrealen Traum, so der Apotheker. „Man sollte sich aber natürlich im Klaren sein, dass dort Menschen weggesperrt werden“, betont er. Die Partei habe ihre Finger überall, alles sei gesteuert, niemand handele individuell.
* Name von der Redaktion geändert.
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