Für Apotheken gehören Parkplätze zum wichtigsten Kriterium für einen guten Standort. Die Humme-Apotheke im niedersächsischen Groß Berkel könnte ihre bald verlieren. Nach mehr als 36 Jahren will der Ortsrat vor dem Ärzte- und Apothekerhaus ein Halteverbot durchsetzen. Hausbesitzer und Apotheker Ralf Kielhorn wehrt sich.
Ab 1. April sollen an der Kreuzung Dorfstraße/An der Kirche keine Autos mehr parken dürfen. Nur zum Be- und Entladen dürften sie vor dem Haus halten. Insgesamt sechs Parkplätze würden durch das eingeschränkte Halteverbot wegfallen; Kunden der Praxis von Dr. Tanja Weiß, Ärztin für Allgemein- und Palliativmedizin, und der Apotheke von Kielhorns Ehefrau Julia wären betroffen.
„Wir fühlen uns in unserer wirtschaftlichen Freiheit eingeschränkt“, sagt Kielhorn, der selbst im Nachbardorf eine Apotheke führt. „Man fragt sich schon, ob man vertrieben werden soll.“ Sollte das Verbot durchgesetzt werden, könnte dies starke Auswirkungen auf die Apotheke haben. Kielhorn fürchtet, dass möglicherweise Kunden abwandern: „Viele kommen mit dem Auto. Es geht auch darum, dass Patienten, die krank und schlecht zu Fuß sind, gut zum Arzt kommen.“ Die Dorfbevölkerung werde massiv in ihrer Versorgung beeinträchtigt.
Ortsbürgermeisterin Renate Oetzmann (SPD) sieht keine Gefahr für die Versorgung: „Die Ärztin ist die einzige vor Ort, die Leute müssen nur ihr Verhalten ändern. Wenn ich meine Mutter bringe, kann ich sie vor dem Haus aussteigen lassen und später abholen.“ Auch die Apotheke ist die einzige im Dorf, die nächste sei 3,5 Kilometer entfernt. „Die alten Leute werden dort nach wie vor hingehen.“
Sie hält das Parkverbot für notwendig, weil die Apothekenkunden teilweise rücksichtslos und auch auf der gegenüberliegenden Seite parkten. Dort aber habe ein Friseur private Parkplätze und ein Wohnhaus seine Einfahrt. „Wenn an beiden Seiten geparkt wird, ist gar kein Durchkommen mehr.“ Die Straßen im Dorf seien in den 1950er Jahren gebaut und damit grundsätzlich sehr eng, das Problem bestehe seit langem.
Sowohl Fußgänger als auch Fahrzeuge hätten Schwierigkeiten, die Straße zu passieren. „Die Autos stehen halb auf der Straße, halb auf dem Fußweg. Wenn ich als Mutter mit Kinderwagen das Haus passiere, muss ich dreimal gucken“, sagt Oetzmann. In der Straße sei außerdem ein landwirtschaftlicher Betrieb angesiedelt; der Bauer habe große Probleme, mit seinem Traktorengespann durch die enge Passage zu kommen. Auch biete die Straße nicht genügend Platz für Rettungswagen.
Im vergangenen Sommer hat die Stadt Kielhorn deshalb ein direkt neben der Apotheke gelegenes leer stehendes Grundstück zum Kauf angeboten: „Wir haben extra ein Haus weggerissen. Da könnte man mindestens sieben Parkplätze bauen.“ Man wurde sich aber nicht handelseinig. Kielhorn erwarte von der Stadt, Parkplätze einzurichten, so Oetzmann. „Das können wir wir nicht leisten. Wir haben hier große Betriebe, stellen Sie sich vor, wir würden Parkplätze für alle bauen“, so die Bürgermeisterin. „Kielhorn hat ein Haus, ich denke, er ist in der Pflicht.“
Das sieht der Apotheker anders: „Das ist ein alteingesessenes Arzt-Apotheker-Haus – und plötzlich meint die Gemeinde, ein eingeschränktes Halteverbot aussprechen zu müssen.“ Er kann die Entscheidung nicht nachvollziehen. „Wir haben alle Auflagen und Pflichten der Gemeinde erfüllt, Parkplätze zu schaffen.“
Zudem: Ein Parkplatzproblem gebe es nicht: Noch nie in der Vergangenheit sei es zu einer Gefährdungssituation gekommen, zumal auf der Straße Tempo 30 vorgeschrieben sei. „Wir reden von einer Dorfstraße in einer 2000-Einwohner-Gemeinde, nicht von einer Großstadt“, so Kielhorn. Grundsätzlich sei eine ausreichende Durchfahrtsbreite gesichert, „wenn einseitig geparkt wird“.
Gelegentlich könne es etwas eng werden, das liege aber nicht an den Patienten, sondern daran, dass das Parkverbot auf der gegenüberliegenden Seite nicht eingehalten werde. Daran ändere aber ein eingeschränktes Halteverbot vor der Apotheke nichts. Laut Kielhorn werden die Parkflächen vor dem Haus auch von Anwohnern genutzt. Diese müssten dann auf noch engere Straßen im Altdorf ausweichen. „Das ist doch sinnlos.“
Bis Ende März sollen die Angestellten die Kunden auffordern, auf dem nahe gelegenen Parkplatz von „Kathers Hof“, einem ehemaligen Bauernhof, zu parken. „Aber das Problem ist, dass wir nicht weisungsbefugt sind. Wir können auch nicht auf die Straße gehen und kontrollieren“, so Kielhorn. Zudem biete der Platz nicht ausreichend Parkfläche, der Weg dorthin sei nicht beleuchtet, dafür übersät mit Schlaglöchern.
Die Hausgemeinschaft will sich wehren: „Die örtliche Zeitung hat das Thema aufgegriffen und unsere Sicht dargestellt“, sagt Kielhorn. Darüber hinaus wollen die Beteiligten den Gemeindebürgermeister Bernhard Wagner (SPD) um Stellungnahme bitten. „Wir hoffen, dass wir ins Gespräch kommen. Bleiben Ortsrat und Gemeinde bei ihrer Meinung, werden wir weitere Maßnahmen einleiten und für unsere Patienten kämpfen“, so Kielhorn.
In der Bevölkerung habe man großen Rückhalt: „Den Bürgen ist klar, dass der Beschluss Nachteile bringt“, so Kielhorn. In einem Leserbrief an die Lokalzeitung etwa bemängelte eine Bürgerin das fehlende Fingerspitzengefühl des Ortsrates und „wenig Interesse an einer funktionierenden Infrastruktur, die die Wohnqualität eines Ortes eigentlich ausmachen sollte“.
Groß Berkel sei im Gegensatz zu vielen Orten auf dem Lande in der glücklichen Lage, eine Arztpraxis und eine Apotheke zu haben, zentral gelegen und unter einem Dach. Dafür würden viele Gemeinden sich „verbiegen und einen Arzt auf Händen tragen, also entsprechende grundlegende Rahmenbedingungen versuchen herzustellen.“
Sie betont, dass auch dann mindestens sechs Autos auf beiden Seiten der Straße stünden, wenn Praxis und Apotheke geschlossen seien. Ärztin und Apotheker würden aber als Sündenböcke auserkoren, ihnen würden Steine in den Weg gelegt. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis beide dorthin gingen, wo sie mit Kusshand empfangen würden. „Dann könnte man in Groß Berkel auch das Geld für Parkplätze und Bürgersteige sparen, weil dann die letzten grundlegenden Einrichtungen, die den Ort noch einigermaßen lebenswert machen, fehlen.“
Laut Kielhorn haben in den vergangenen Jahren um die Apotheke herum ein Bäcker, ein Fleischer, ein Papiergeschäft, eine Drogerie, eine Post und ein Edeka ihre Türen geschlossen. Vor Ort seien neben Arztpraxis und Apotheke nur noch eine Bank und ein Friseur. „Es ist das typische Bild des aussterbenden Dorfes.“
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