Orthopäde schickt Patienten nach Polen

Nicht lieferfähig: Ministerium empfiehlt Versandapotheken

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Berlin -

Die Lieferengpässe sorgen nicht nur bei Apothekenangestellten und ihrer Kundschaft für Sorgenfalten. Auch in Arztpraxen ist der Ärger groß: Der Orthopäde Reiko Mortag aus Brandenburg verordnet regelmäßig Alendronsäure-haltige Arzneimittel. Da diese Osteoporosemittel in den Apotheken vor Ort nicht verfügbar waren, schrieb er an das Gesundheitsministerium. Dort wurde er an Versandapotheken verwiesen. Der Arzt überlegt jetzt, seine Kundschaft stattdessen ins benachbarte Polen zu schicken. Dort seien die Medikamente ohne Probleme zu beziehen. 

In der Praxis von Orthopäde Reiko Mortag aus Frankfurt (Oder) werden Patienten mit Rezepten über Alendronsäure nach Polen geschickt.Foto: Mortag

Mortag führt in Frankfurt (Oder) eine Praxis. Bei bestimmten Verordnungen setzte er lange das Aut-idem-Kreuz. „Bei Osteoporose möchte ich, dass der Patient das bekommt, was ich aufschreibe“, sagt er. Wegen Lieferschwierigkeiten insbesondere bei Alendronsäure wich er zuletzt davon ab. „Doch seit einer Woche hilft das auch nicht mehr.“ Die Apotheken erklärten ihm, dass sie in den kommenden neun bis zehn Wochen keine entsprechenden Arzneimittel bekämen.

Brandbrief an Ursula Nonnemacher

Der Arzt meldete den Missstand in einem Brandbrief dem Gesundheitsministerium. Er schrieb Ministerin Ursula Nonnemacher (Bündnis 90/Die Grünen) an, die selbst Ärztin ist. „Seit dieser Woche besteht ein akuter Mangel an dem Osteoporosemedikament Alendron in Brandenburg. Nach mehrfachen Problemen mit E-Rezepten und unzähligen Telefonaten mit Apotheken und Patienten, welche den Praxisablauf massiv stören und somit die Behandlung gefährden, erhielt ich nun die Antwort verschiedener Apotheken, dass das Osteoporosemittel Alendron (egal welcher Hersteller) nicht mehr lieferbar sei und in den nächsten 9 Wochen auch nicht sein wird“, erklärte er in dem Schreiben.

Er fragte, wie er unter diesen Umständen Patientinnen und Patienten mit Osteoporose behandeln soll. Außerdem stellte er klar, dass hundert Meter weiter in Polen kein Lieferengpass bestehe. „Soll ich jetzt alle Patienten mit einem Privatrezept nach Polen schicken?“ Mortag bat „umgehend“ um eine Antwort, „da die Gesundheit und das Leben meiner Patienten auf dem Spiel steht“.

Vier Tage später meldete sich das Ministerium zurück. „Leider kommt es seit geraumer Zeit immer wieder zu Engpässen bei der Arzneimittelversorgung“, räumt Volker Gieskes, Referent für Apotheken, Arzneimittel, Medizinprodukte im Gesundheitsministerium, im Auftrag der Ministerin ein. Trotz verschiedenen Maßnahmen der Bundesregierung sei bislang keine „vollständige Trendwende eingetreten“.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) liste Alendronsäure-haltige Arzneimittel jedoch nicht als Engpass-Medikament auf, schreibt er weiter. Auch eine Information des BfArM, dass es zu einem längerfristigen Ausfall bei Alendronsäure-haltigen Arzneimitteln bei verschiedenen Herstellern kommt, liege derzeit nicht vor.

Ministerium empfiehlt Versandapotheken

„Eine stichprobenhafte Recherche zur Verfügbarkeit von Alendronsäure-haltigen Arzneimitteln bei Versandapotheken hat ergeben, dass verschiede Arzneimittel einiger Hersteller derzeit nicht lieferbar sind. Allerdings haben alle aufgerufenen Versandapotheken (z.B. Medpex, Shop Apotheke, DocMorris) verschiedene Alendronsäure-haltige Arzneimittel als lieferfähig gelistet.“

Zur bestmöglichen Versorgung schlägt er zum einen vor, Wirkstoffverordnungen vorzunehmen oder auf der Verordnung einen generischen Austausch des verordneten Arzneimittels in der Apotheke nicht auszuschließen. „Sollten unter diesen Voraussetzungen die Verordnungen durch Apotheken vor Ort trotzdem nicht zeitnah beliefert werden können, könnte Ihrerseits auf Versandapotheken verwiesen werden, die das Arzneimittel als lieferfähig auf ihrer Internetseite ausweisen“, heißt es weiter.

Mortag ist mit der E-Mail des Ministeriums nicht zufrieden: „Das was er schreibt, ist eine pauschale Antwort.“ In der Praxis würden die Arbeitsbedingungen immer schlimmer. „Die Patienten rennen von Apotheke zu Apotheke und selbst online gibt es nicht viel. Ich schreibe jetzt Privatrezepte auf und schicke sie nach Polen. Sie hoffen dann, dass die Krankenkassen die Kosten von 30 bis 40 Euro für eine Quartalspackung erstatten.“ Die Versorgung werde sich mit Blick auf die Reformpläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) weiter verschlechtern: „Er will die ambulante Facharztschiene komplett abschaffen. In fünf Jahren gibt es hier das amerikanische Modell, das er haben will.“

Apotheker verärgert

In Apotheken sorgt die Antwort des Gesundheitsministeriums für Kopfschütteln. „Ich finde es eine Frechheit, zumal in Deutschland momentan vieles nicht lieferbar ist, was woanders lieferbar ist“, sagt Apotheker Enrico Martini aus Frankfurt. Er kennt Mortag und weiß um die Problematik. Wegen Zwangsrabatten sei der Markt in Deutschland „uninteressanter für Hersteller“, so der Inhaber der M-Apotheken. Als es beispielsweise im Sommer 2023 Antibiotikaengpässe besonders bei flüssigen Formen gegeben habe, habe man im Ausland Ware beziehen können.

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