Personalmangel und AvP-Schulden

Neustart mit 60: Inhaberin wird Angestellte

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Berlin -

„Ist ja schön, dass Sie in den Ruhestand gehen können.“ Die Turm-Apotheke im Berliner Stadtteil Moabit ist dicht – Inhaberin Dr. Heidi Schindler hat die Reißleine gezogen. Anders als einige Kund:innen aber denken, geht sie nicht in den wohlverdienten Ruhestand, sondern als Angestellte in eine andere Apotheke. Schließlich muss eine unverschuldete Schieflage ausgeglichen werden, denn die Apothekerin ist eine der Betroffenen der AvP-Pleite.

Die Turmstraße im Stadtteil Moabit gilt seit Langem als Hotspot, was die Apothekendichte angeht: Auf der Straße kämpfen ganze sieben Apotheken um die Kundschaft, im näheren Umfeld liegen sechs weitere. An der Straße selbst gibt es seit Jahresanfang eine Apotheke weniger: Schindler führte mit ihrer Turm-Apotheke seit 2001 eine Institution, die es nun nicht mehr gibt. Mitte Dezember schloss sie die Türen der Offizin endgültig, Ende Dezember war offiziell Schluss.

Dem vorausgegangen waren bereits im Herbst Zeiten mit verschlossenen Türen, denn am Ende hielt häufig – trotz bester Innenstadtlage – allein die Inhaberin das Geschäft am Laufen. Zum Ende der Apotheke haben nun mehrere Faktoren geführt: „Kurz gesagt: die Arbeitsbedingungen, die die Regierung uns auferlegt, die mangelnde Kompetenz des zur Verfügung stehenden Personals, die Miete für die Apotheke und nun soll das Haus auch noch kernsaniert werden“, fasst die Inhaberin zusammen.

Letzteres hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Zwei der Ärzte im Haus sind bereits umgezogen, die Apotheke hätte die Miete nur noch jahresweise verlängern können – auf diese Zukunft wollte Schindler nicht mehr bauen. Das eine Jahr mögliche Mietdauer machte es ihr auch unmöglich, die Apotheke zu verkaufen: „Von der Wirtschaftlichkeit her hätte ich sie verkaufen können, aber nicht mit nur einem Jahr Mietvertrag.“

„Es gab Tränen“

Die starke Konkurrenz in der Gegend sei nie ein Problem gewesen. Und obwohl es direkt nebenan die nächste Apotheke gibt, trauern die Kund:innen der Turmapotheke: „Es gab Tränen!“ Das hat die Inhaberin dann doch überrascht, die typisch Berlin selbst kein Blatt vor den Mund nimmt. Durch ihre Stammkund:innen bekam sie trotzdem regelmäßig positives Feedback. „Aber mit der Reaktion habe ich nicht gerechnet. Ich habe mich hier etabliert.“ Und so wird die Apothekerin mit der direkten Art auch von vielen Kund:innen künftig vermisst werden.

Jetzt geht es um die Abwicklung der Apotheke. „Das ist wie bei einer Wohnung“, so Schindler, die jetzt für sämtliches Inventar Abnehmer sucht. Sogar das Apothekenschaufenster hat sie zu Weihnachten und jetzt auch schon für Ostern dekoriert – und an das Dekomaterial gleich die Preise geklebt, falls Passant:innen Interesse haben.

Und das alles wäre vielleicht auch nur halb so schlimm, wenn sie nicht zu den Geschädigten der AvP-Pleite gehören würde. „Ich hätte hier mit plusminus Null rausgehen können, wenn uns die Regierung nicht mit AvP hängen gelassen hätte.“ Also steht sie nun vor Schulden. „Die erste Tranche ist nun gelaufen, wenn es gut läuft, bekomme ich 60 Prozent wieder. Das ist als Angestellte jetzt natürlich bitter.“

Neustart mit 60

Denn entgegen der Annahme einiger Kund:innen ist es nun nicht an der Zeit für den Ruhestand, sondern für einen Neuanfang als Angestellte. Den Job hat sie schon und sich einfach bei einer Apotheke in Wohnortnähe beworben, um nicht mehr täglich den langen Weg in die Stadt auf sich nehmen zu müssen. „Was ich auf gar keinen Fall mehr will, ist die Fahrerei“, sagt Schindler, teilweise brauchte sie mehr als eine Stunde vom Berliner Stadtrand zur Apotheke. Als diejenige, die immer da sein musste, kostete das einfach Zeit und Nerven.

Eine Inhaberschaft lohne sich einfach nicht mehr, so Schindler: „Man verdient nicht mehr genug, um das bewerkstelligen können und um auch die Mitarbeitenden den steigenden Forderungen entsprechend zu bezahlen. Das passt nicht mehr.“ Die goldenen Zeiten für Apotheken seien schon längst vorbei, in den vergangenen 20 Jahren habe auch das Engagement gefehlt für den Berufsstand, sagt Schindler. „Wir haben auch keine Lobby mehr. Das sind alles Schlaftabletten. Da ist kein Rückgrat mehr.“ Als Angestellte freut sie sich nun trotz der Schulden auf ein „normales Leben“. Nach der Auflösung geht es zwar ohne Pause direkt los in der neuen Apotheke, dafür habe sie ja aber dann irgendwann wirklich mal Urlaub.

Daran war seit der Eröffnung 2001 immer weniger zu denken. Eine Apothekerin, die sie im vergangenen Jahr vertreten wollte, sagte kurz vorher ab – und auch sonst sei gutes Personal in den vergangenen Jahren Mangelware gewesen. Teilweise habe sie die Nachmittage stundenlang allein mit einer Hilfskraft bewerkstelligt, die insgesamt etwa 200 Kund:innen täglich landeten also folglich zumeist bei ihr selbst, aber wenigstens hatte sie mal jemanden, der im Backoffice etwas erledigte oder ans Telefon ging.

Vom Staat allein gelassen

Ihren Job habe sie immer mit Herzblut gemacht, so Schindler. Dass sie nun nicht nur personell vor immer größeren Herausforderungen stand, sondern wegen AvP auch noch finanziell in Problemen ist, lässt sie wütend werden. Sie fühlt sich vom Staat alleingelassen und hintergangen. „Das ist nicht unsere Angelegenheit, meinte Spahn damals, sondern Sache der Apotheken. Aber wir mussten doch eine Rezeptabrechnung haben! Und wie kann es sein, dass so ein Unternehmen einen solchen Dispo eingeräumt bekommt?! Das war die größte Rezeptabrechnung Deutschlands – wie konnte das passieren?“

Als Selbstständige hat sie nun das Nachsehen. „Jede popelige GmbH wäre da mit einem blauen Auge rausgekommen. Wir arbeiten mehr als alle Anderen im pharmazeutischen Bereich, um dann mit Minus rauszugehen?!“

Für die Apotheken sei die Zukunft nicht gerade rosig, glaubt Schindler. „Das hat 2004 angefangen mit den Filialen und den Rabattarzneimitteln. Chronisch Kranke werden bald direkt von den Krankenkassen versorgt, alles andere landet bei den Apotheken. Das werden irgendwann alles Drugstores. Irgendwann wird auch das Fremdbesitzverbot fallen und dann gibt es auch hier Ketten“, ist sie sich sicher.

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